Nach den Krawallen in Hamburg: Was folgt aus der Gewalt beim G20-Gipfel?
Wird das Vermummungsgesetz in Berlin wirklich gelockert? Muss Hamburg die "Rote Flora" dulden? Die wichtigsten Fragen und Antworten zu den Folgen der Ausschreitungen.
Nach den Krawallen beim G20-Gipfel mehren sich die Forderungen nach politischen Folgen der Ausschreitungen. So sprechen sich einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes YouGov zufolge 50 Prozent der Befragten dafür aus, dass der Staat Gewalt bei Demonstrationen unbedingt verhindern müsse, auch wenn damit das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit beschränkt werde. Auch für Berlin, das mit dem 1. Mai und in der Rigaer Straße regelmäßig Erfahrung mit linksextremen Demonstrationen sammelt, werden Konsequenzen diskutiert.
Soll Berlin wirklich das Vermummungsverbot lockern?
Seit 1985 ist das Anlegen von Vermummung eine Straftat, Auslöser waren damals brutale Demos bei der Startbahn West in Frankfurt und in West-Berlin. Das Anlegen von Vermummung gilt als Indikator für Gewalt. Innensenator Andreas Geisel (SPD) hatte sich in der vergangenen Woche vor dem G20-Gipfel im Parlament für ein „Versammlungsfreiheitsgesetz“ auf Berliner Ebene ausgesprochen.
Seit einigen Jahren dürfen Bundesländer das Versammlungsrecht selbst bestimmen, wenige Bundesländer haben von der Möglichkeit Gebrauch gemacht. In Schleswig-Holstein ist ein Verstoß gegen das Vermummungsverbot nur noch eine Ordnungswidrigkeit.
In Hamburg hatte die Polizei beim G20-Gipfel die Autonomendemo gestoppt wegen Vermummung des Schwarzen Blocks. Dies war als Eskalation kritisiert worden.
Im Berliner Polizeipräsidium wird dennoch energisch vor einer Herabstufung zur Ordnungswidrigkeit gewarnt. „Wir geben ein wesentliches Steuerungselement aus der Hand.“ Zwar sei nicht jeder Vermummte ein Straftäter, „aber jeder Straftäter ist vermummt“, sagte ein leitender Beamter.
In Schleswig-Holstein sei die Herabstufung zur Ordnungswidrigkeit unproblematisch, „dort demonstrieren ja auch nur zehn Trecker“. Berlin und Hamburg habe eine andere Demolage.
Die Berliner Linksfraktion hält auch nach den Ausschreitungen in Hamburg an ihrer Forderung fest, das Vermummungsverbot in Berlin zu lockern. „Es ist das legitime Recht der Menschen, ihre Augen oder Teile des Gesichts zu verdecken“, sagte Innenexperte Hakan Tas. Die Polizei werte oftmals bereits Schals als Vermummung, was zur Deeskalation nicht beitrage, sagte Tas. Straftaten wolle man aber natürlich weiter ahnden.
Ob die Linke mit ihrer Forderung Erfolg hat, ist fraglich. Martin Pallgen, Sprecher der Berliner Innenverwaltung, bestätigte auf Tagesspiegel-Anfrage, dass im Zuge des Gesetzgebungsprozesses für ein Versammlungsrecht auch das Vermummungsverbot überprüft werde.
Der innenpolitische Sprecher der FDP im Berliner Abgeordnetenhaus, Marcel Luthe, kritisierte die Idee. In einem Rechtsstaat müsse jedes Handeln einer Person zugeschrieben werden. „Zieht sich der Staat an dieser Stelle zurück, ist das vollkommen indiskutabel und der bisher größte Unsinn in dieser Legislaturperiode“, sagte Luthe.
Der SPD-Innenpolitiker Tom Schreiber unterstützte zwar die Ankündigung, das Versammlungsgesetz offener und liberaler zu gestalten, von einer Herabstufung des Vermummungsverbots hält er allerdings nichts: „Jeder Mensch sollte auf einer Demonstration sein Gesicht zeigen.“ Das stärke die friedlichen Demonstranten.
Wie ging die Polizei in Berlin bislang mit vermummten Demonstranten um?
In Berlin ist in den letzten Jahren nie eine Demo wegen Vermummung zerschlagen worden wie auf dem G20-Gipfel geschehen. Zwar verlangt das Legalitätsprinzip, dass die Polizei bei erkannten Straftaten einschreitet. Diesem Prinzip werde aber laut Berliner Polizei Genüge getan, wenn der Vermummte videografiert und ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird.
Der Täter wird dann in einem taktisch günstigen Moment aus der Demo geholt, dies sei in Berlin hundertfach praktiziert worden in den letzten Jahren. Innensenator Geisel hatte sich auch mit dem Argument einer größeren „Flexibilität“ für ein neues Versammlungsrecht ausgesprochen.
Auch diesem Argument wird im Präsidium der Berliner Polizei widersprochen. Selbstverständlich dürften Weihnachtsmänner oder die Gruppe „Anonymous“ maskiert demonstrieren – weil es möglich sei, das Verbot für eine Demo außer Kraft zu setzen. Berlin ist mit zuletzt 5000 Kundgebungen Deutschlands Demo-Hauptstadt.
Muss Hamburg die „Rote Flora“ dulden?
Das Hamburger Autonomenzentrum „Rote Flora“ ist eine Art heiliger Tempel für die Szene bundesweit. Linksradikale besetzten 1989 das ehemalige Theater. Seit 2014 gehört die „Rote Flora“ der städtischen Lawaetz-Stiftung. Die Autonomen dominieren jedoch weiter das Gebäude. Hier finden „Vollversammlungen“ der Szene statt, aber auch Rockkonzerte und andere Kulturveranstaltungen.
Bis zur Krawallnacht vergangene Woche schien auch zumindest ein Teil der Anwohner im Schanzenviertel die „Rote Flora“ als eine Art Kiez-Institution zu akzeptieren. Die Stimmung scheint sich nach der Gewaltorgie, bei der auch Geschäfte geplündert wurden, zu wandeln.
Die Betreiber der „Roten Flora“ befürchten nun, den Rückhalt im Viertel zu verlieren. Außerdem untersuchen die Sicherheitsbehörden, in welchem Maße das Autonomenzentrum für die Ausschreitungen in der Gipfelwoche mitverantwortlich ist. Der Sprecher der „Roten Flora“, Andreas Blechschmidt, hatte die Demonstration „Welcome to Hell“ angemeldet, die am Donnerstag kurz nach dem Start von der Polizei gestoppt wurde.
Kurz darauf kam es zu Krawallen. Während der Ausschreitungen am Freitagabend versorgte Blechschmidt mit weiteren Autonomen in der „Roten Flora“ Verletzte. Sicherheitskreise warnen allerdings davor, das Autonomenzentrum zu schließen. Dies könne zu einer Eskalation linksextremer Gewalt führen, sagte ein Experte dem Tagesspiegel.
Ausschreitungen seien dann nicht nur in Hamburg, sondern auch in anderen Städten mit autonomen Szenen zu erwarten, vor allem in Berlin, Frankfurt am Main und Leipzig.
Soll Berlin die linksautonome Szene in der Rigaer Straße auflösen?
Vor allem in der Rigaer Straße lieferten sich die Berliner Polizei und Linksextreme in der Vergangenheit immer wieder gewalttätige Auseinandersetzungen und Verfolgungsjagden. Geht es nach dem FDP-Politiker Marcel Luthe, muss der Senat dort nach Hamburg endlich aktiv werden. „In der Rigaer Straße muss endlich wieder gültiges Recht herrschen“, sagte Luthe und forderte die Räumung der besetzten Hinterhauswohnungen.
Räumungen schließt auch Tom Schreiber von der Berliner SPD nicht aus, wenn sie wirklich rechtssicher sind. Die pauschale Aussage des Bundestagsabgeordneten Armin Schuster (CDU), autonome Zentren zu schließen, nannte er „irre“. „Eine Hau-drauf-Politik wie bei Frank Henkel ohne rechtliche Grundlage ist vollkommen falsch“, sagte Schreiber, der sich aber auch für eine zeitnahe Lösung aussprach. Schreiber bevorzugt einen Dialogprozess mit Mediator. Dabei sollen die Anwohner – auch die Autonomen – sogenannte Kiez-Räte bilden und gemeinsam über die Zukunft der Straße entscheiden.
Was steckt hinter der Forderung nach einer „Demokratieerklärung“ für Initiativen?
CDU-Politiker wie Generalsekretär Peter Tauber treten dafür ein, bei der Vergabe staatlicher Mittel an bürgerschaftliche Initiativen ein Bekenntnis zur Demokratie zu fordern. Das wäre eine Wiederauflage der sogenannten Extremistenklausel, die 2011 auf Initiative der damaligen Familienministerin Kristina Schröder (CDU) eingeführt und 2014 unter Amtsnachfolgerin Manuela Schwesig abgeschafft wurde.
Derzeit wird in einem Begleitschreiben zum Zuwendungsbescheid festgelegt, dass keine Mittel an Organisationen oder Personen fließen dürfen, die sich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung betätigen.
Warum ist die Forderung umstritten?
Die Träger geförderter Maßnahmen sollten sich verpflichten, dass mit einer als Partner ausgewählten Organisation oder beispielsweise eingeladenen Referenten „keinesfalls der Anschein erweckt werden darf, dass einer Unterstützung extremistischer Strukturen durch die Gewährung materieller oder immaterieller Leistungen Vorschub geleistet wird“.
Betroffene haben das als Einschränkung ihres bürgerschaftlichen Engagements empfunden. Die Verwendung der Klausel führte auch zu gerichtlichen Auseinandersetzungen. Ein Verwaltungsgericht stellte fest, dass die Anforderungen zu unbestimmt seien. In den Begleitschreiben ist deshalb auch nicht mehr von „Extremismus“ die Rede. Der Grünen-Politiker Christian Ströbele kritisierte eine mögliche Wiederauflage als „wirkungslosen Aktionismus“.