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Ein Verkehrszeichen zur Geschwindigkeitsbegrenzung für die nächsten 57,0 Kilometer auf der Autobahn A13.
© Soeren Stache/dpa
Update

Habeck für 130 auf Autobahnen: Was ein Tempolimit bringt – und was nicht

Die Grünen wollen das Tempolimit zum Prüfstein für eine Koalition machen, die FDP hält das für „absurd“. Das sind die Fakten zu der hitzigen Debatte.

Der neue Streit über ein allgemeines Tempolimit von 130 Stundenkilometern auf deutschen Autobahnen wird emotional geführt: „Lächerlich“ findet Grünen-Chef Robert Habeck den Einwand, es würde eine Einschränkung der bürgerlichen Freiheiten mit sich bringen. „Absurde Prioritätensetzung“ entgegnet ihm nun FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg. „Statt sich um die drängenden Probleme der Menschen in Deutschland wie Infektionsrisiken und Sorgen um die wirtschaftliche Existenz zu kümmern, soll erstmal der grüne Verbotskatalog abgearbeitet werden“, sagte sie der Nachrichtenagentur dpa.

Besonders perfide sei Habecks Begründung, dass - wenn schon Schulen und Kirchen geschlossen werden könnten - Freiheitseingriffe inzwischen kaum noch der Rechtfertigung bedürften. „Das ist eine zutiefst illiberale Instrumentalisierung der Pandemie.“

Die Grünen wollen bei einer Regierungsbeteiligung im Bund möglichst schnell ein flächendeckendes Tempolimit auf den Autobahnen einführen. „Das ist wahrscheinlich die erste Maßnahme einer neuen Regierung, wenn die Grünen dabei sind“, hatte Habeck dem Nachrichtenportal „The Pioneer“ gesagt. Notfalls will er diese Politik auch gegen einen möglichen Koalitionspartner durchsetzen. „Es gibt kein Recht auf Rasen in Deutschland.“

Die Bundestagsfraktion der Grünen fordert das Tempolimit bereits in einem Antrag. Dieser sieht vor:

  • Zum 1. Januar 2021 auf allen Autobahnen eine Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h.
  • Auf zweispurigen Landstraßen soll demnach ein Tempolimit von 80 km/h gelten.
  • Innerorts plädieren die Grünen für ein Limit von 30 km/h. Darüber allerdings sollen die Kommunen selbst entscheiden dürfen.
  • Begründet wird der Antrag damit, dass sich die Bundesregierung sich nicht ausreichend um die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer kümmere.

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil indes einen „Schlussstrich“ unter die Tempolimit-Debatte gefordert - und selbst ein Argument für ein Limit genannt. „Ich kenne auch die Gegenargumente zu einem Tempolimit, aber Erfahrungen aus anderen Staaten zeigen auch, dass ein Limit von Tempo 130 den Verkehrsfluss verbessern kann“, sagte Weil der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“. „Ich finde, wir könnten nach der jahrzehntelangen Diskussion um eine Tempobegrenzung auf den Autobahnen endlich einen Schlussstrich ziehen“.

Autos fahren in der Morgendämmerung über die Bundesstraße B6 und die Autobahn A37.
Autos fahren in der Morgendämmerung über die Bundesstraße B6 und die Autobahn A37.
© dpa

Tatsächlich werden die Gründe für und gegen ein Tempolimit häufig wiederholt. Ein Überblick über die wichtigsten Argumente.

Was bringt das Tempolimit für die Sicherheit?

Für die vielen Verkehrstoten auf deutschen Autobahnen ist überhöhte Geschwindigkeit eine Hauptursache. Auf deutschen Autobahnen sind 2018 laut Statistischem Bundesamt (Destatis) bei Unfällen 424 Menschen ums Leben gekommen. 196 Verkehrstote, und damit fast die Hälfte, starb demnach auch wegen einer nicht angepassten Geschwindigkeit. Insgesamt starben 71 Prozent der Autobahn-Todesopfer auf Strecken ohne Tempolimit.

Allerdings liegt laut der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) der Anteil von Strecken ohne Geschwindigkeitsbegrenzung am gesamten Autobahnnetz bei 70 Prozent. Somit wird der hohe Anteil der Unfalltoten auf Strecken ohne Tempolimit etwas relativiert.

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Wie das Statistische Bundesamt weiter mitteilt, war auf Abschnitten ohne Tempolimit eine unangepasste Geschwindigkeit bei 45 Prozent der Verkehrstoten eine Unfallursache (135 von 301 Unfalltote). Bei Streckenabschnitten mit Geschwindigkeitsbegrenzung spielte sie bei 50 Prozent der tödlich Verunglückten (61 von 123 Unfalltote) eine Rolle.

Was bringt das Tempolimit fürs Klima? 

Der Verkehrssektor war im Jahr 2018 der drittgrößte Verursacher von Treibhausgas-Emissionen in Deutschland: Knapp 164 Millionen Tonnen Treibhausgase gingen auf sein Konto, so das Umweltbundesamt. 88 Prozent davon war CO2.

Je schneller unterwegs, desto höher der Benzinverbrauch – und desto mehr CO2 wird in die Luft gepustet. Berechnungen des Umweltbundesamts (UBA) ergeben, dass ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen den Ausstoß von Treibhausgasen deutlich mindern würde. Je nach Ausgestaltung könnten 1,9 Millionen bis 5,4 Millionen Tonnen Kohlendioxid (CO2) pro Jahr eingespart werden.

Ein Straßenwärter hält an der Autobahn A81 ein Schild mit der Aufschrift "130" in den Händen.
Ein Straßenwärter hält an der Autobahn A81 ein Schild mit der Aufschrift "130" in den Händen.
© Patrick Seeger / picture alliance / Patrick Seege

Eine Höchstgeschwindigkeit von 120 Kilometern pro Stunde würde demnach 2,6 Millionen Tonnen CO2 vermeiden, ein Tempolimit von 130 noch 1,9 Millionen Tonnen - „und zwar sofort und ohne Mehrkosten“, wie UBA-Präsident Dirk Messner sagt. 5,4 Millionen Tonnen CO2 ließen sich sparen, wenn höchstens 100 Kilometer pro Stunde erlaubt wären.

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Die Berechnungen basieren der Umweltbehörde zufolge auf aktuellen Verbrauchsdaten von Pkw und leichten Nutzfahrzeugen. Zudem seien Daten der Bundesanstalt für Straßenwesen zu Geschwindigkeiten auf Autobahnen herangezogen worden. 2018 hatten Pkw und leichte Nutzfahrzeuge auf Autobahnen in Deutschland demnach Treibhausgasemissionen in Höhe von rund 39,1 Millionen Tonnen CO2 verursacht. Damit brächte ein Tempolimit von 120 Stundenkilometer eine Einsparung von 6,6 Prozent in diesem Bereich.

Laut der Agora Verkehrswende wären durch ein Tempolimit von 130 km/h CO2-Einsparungen von ein bis zwei Millionen Tonnen Einsparung möglich. Das entspricht einem Anteil von 0,6 bis 1 Prozent des derzeitigen Ausstoßes des Verkehrssektors.

Aber: Die Einführung eines Tempolimits ist relativ einfach und kostengünstig - verglichen mit aufwendigeren, teureren Maßnahmen, die ein vergleichbar großes Einsparpotenzial hätten.

Die A10 bei Rangsdorf in Brandenburg.
Die A10 bei Rangsdorf in Brandenburg.
© Soeren Stache/zb/dpa

Agora-Verkehrswende-Direktor Christian Hochfeld erwartet neben dem direkten Effekt einen weiteren, der allerdings nicht abschätzbar sei: Mit einem Tempolimit würden dieAutos für den deutschen Markt langfristig wohl nicht mehr so groß und so leistungsstark gebaut.

Andererseits: Laut ADAC zeigt ein Vergleich der Motorisierung der Fahrzeugflotten in der Schweiz, dass dort derAnteil an leistungsstarken Fahrzeugen höher als in Deutschland ist - trotz Tempolimit von 120 Stundenkilometern.

Wo verlaufen beim Tempolimit die Konfliktlinien?

Die Grünen stören sich vor allem an Plänen von Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU): Der will den kürzlich verschärften Bußgeldkatalog wieder abschwächen und Raser doch nicht wie beschlossen strenger sanktionieren. Die monieren eine gefährlich laxe Auffassung von Verkehrssicherheit.

Darüber, ob ein generelles Tempolimit auf Autobahnen sinnvoll wäre, streiten aber auch Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) mit Scheuer – und zwar schon lange. „Ein solches Tempolimit ist vernünftig, auch für den Klimaschutz, meint Schulze. „Es ist in der Gesellschaft mehrheitsfähig.“

Eine repräsentative Bevölkerungsauswahl hat der Verkehrsrecht-Arbeitskreis des Deutschen Anwaltvereins dieses Jahr befragen lassen. Das Ergebnis: 56 Prozent sehen ein Tempolimit als wirksame Maßnahme für mehr Verkehrssicherheit.

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