Immunität: Was dürfen Diplomaten?
Eine Hausangestellte soll im Berliner Haushalt eines saudischen Botschaftsmitarbeiters geschuftet haben wie eine Sklavin. Aufgrund seiner Immunität hat das Gericht die Klage abgewiesen. Wie kann das sein?
Das Landesarbeitsgericht Berlin hat die Klage gegen einen saudischen Diplomaten wegen angeblicher Ausbeutung einer Hausangestellten abgewiesen. Grund ist dessen diplomatische Immunität. Ein Urteil, das bei vielen auf Unverständnis stößt. Der Streit geht aber weiter, womöglich muss ein neues Gesetz her, fordert der Ex-Bundesverfassungsrichter Jürgen Kühling.
Warum gibt es Immunität?
Immunität ist ein Privileg, das nicht belohnen, sondern einem Zweck dienen soll. Politische Immunität soll Amts- und Mandatsträger vor Willkür staatlicher Exekutive schützen. Ein Parlament soll funktionieren, ohne dass sich Behörden nach Gutdünken Gründe suchen dürfen, in das Handeln der Abgeordneten einzugreifen. Staatsoberhäupter genießen im Ausland völkerrechtliche Immunität, Entsandte anderer Staaten im Gastland diplomatische Immunität, auch dies ist eine jahrhundertealte Rechtstradition.
Die Immunität sichert heute die Beziehungen zum Entsendestaat und garantiert freie Kommunikation. Sie schützt vor Gerichten und Administration im Gaststaat, es gibt weder strafrechtliche Verfolgung noch sind zivilrechtliche Ansprüche einklagbar. Diplomaten sind aber nicht vollkommen unberührbar, sie können zur „Persona non grata“ erklärt und ausgewiesen werden – dann kann ihnen im Heimatland möglicherweise ein Verfahren drohen.
Wie wird Immunität geregelt?
Vorschriften im Gerichtsverfassungsgesetz befreien „diplomatische Missionen, ihre Familienmitglieder und ihre privaten Hausangestellten“ von der deutschen Gerichtsbarkeit. Völkerrechtliche Grundlage ist das Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen. Die Immunität gilt absolut und lässt nach herrschender Juristenmeinung auch bei Menschenrechtsverletzungen keine Durchbrechung zu. Die Pflege zwischenstaatlicher Beziehungen hat Vorrang.
Worum geht der Streit im Berliner Fall?
Dewi Ratnasari, ihr wirklicher Name ist nicht bekannt, soll fast zwei Jahre lang im Berliner Haushalt eines saudischen Botschaftsmitarbeiters geschuftet haben wie eine Sklavin. Und so soll sie auch behandelt worden sein: Nicht nur, dass man ihr Lohn vorenthielt. Die Frau des Diplomaten und das schon ältere Kind des Paares sollen sie geschlagen und gedemütigt haben. Die Indonesierin ist wieder in ihrer Heimat. Sie hat ihre Ansprüche abgetreten, das Deutsche Institut für Menschenrechte unterstützt das Verfahren.
Wie geht es weiter?
Den Klägern geht es ums Prinzip. Das Berliner Gericht hat die Revision zum Bundesarbeitsgericht in Erfurt zugelassen. Der Ex-Richter und Anwalt Kühling will erreichen, dass zivilrechtliche Ansprüche bei der Ausbeutung von Hausangestellten trotz Immunität eingeklagt werden können. Sollten die Gerichte die Ansprüche weiter verweigern, müsse der Gesetzgeber eingreifen. Der Jurist, der in seiner Karlsruher Zeit mit den verfassungsrechtlichen Bezügen des Arbeitsrechts befasst war, sieht darin keinen Eingriff in die Immunität: Nicht der Diplomat, sondern der deutsche Staat müsse zahlen. Kühling spricht von einem „menschenrechtlichen Standard“, der in einem vergleichbaren Fall vom französischen Verfassungsgericht bestätigt worden sei.
Welche anderen Vorfälle gab es?
Etwa 250 private Hausangestellte arbeiten in diplomatischen Haushalten in Deutschland. Bereits 2008 hatte ein Diplomat aus dem Jemen in Berlin eine Angestellte unter sklavenartigen Bedingungen beschäftigt und physisch misshandelt. Die Botschaft bezahlte damals zwar das ausgebliebene Gehalt, doch für den Diplomaten hatte der Fall keine Konsequenzen. Auch der Botschafter von Bangladesch schikaniert nach Recherchen des Tagesspiegels seine Angestellten – das Auswärtige Amt bestellte ihn zum Gespräch.
Ebenfalls ohne juristisches Nachspiel verprügelte ein kasachischer Botschaftsangestellter im März dieses Jahres in Reinickendorf einen Taxifahrer. Der Mann floh danach, ohne zu bezahlen. Wenige Minuten später wurde er von der Polizei festgenommen. Die musste ihn aber laufen lassen, nachdem er sich als Diplomat ausgewiesen hatte und die Fahrt bezahlte.
Dies sind die spektakulärsten Fälle, doch den meisten Ärger gibt es im täglichen Straßenverkehr. 2010 erreichten die diplomatischen Knöllchen in Berlin einen neuen Rekordwert. Waren es 2009 noch 8 610 Verstöße, stieg die Zahl im vergangenen Jahr auf fast 15 000. Durch nicht bezahlte Strafzettel gingen der Stadt 156 595 Euro verloren. Außerdem haben Diplomaten scheinbar immer Vorfahrt: 2010 waren in 62 Unfälle Diplomatenautos verwickelt, in 40 Fällen floh der Verursacher vom Unfallort. Eine Straftat, die nicht verfolgt wird. So geschehen bei einem Südkoreaner, der sich nach einem Restaurantbesuch in Friedenau betrunken an das Steuer seines Geländewagens setzte, mehrere Fahrzeuge rammte und sich mit dem Auto in einem Hauseingang verkeilte. Die Polizei stellte den 48-Jährigen und forderte ihn zum Promilletest auf. Der Südkoreaner zückte seinen Diplomatenpass und verweigerte die Alkoholkontrolle. Das musste die Polizei akzeptieren.
Wie verhalten sich deutsche Diplomaten im Ausland?
Darüber ist nur wenig zu erfahren. Ein Fall wurde im November 2008 öffentlich, als ein deutscher Lehrer in Russland mit seinem Porsche Cayenne zwei Studenten totfuhr. Er war 50km/h zu schnell unterwegs . Weil er an der Deutschen Schule in Moskau unterrichtete, genoss er diplomatischen Status und damit strafrechtliche Immunität. Er reiste ungehindert aus. Zwar wurde der Lehrer anschließend von einem deutschen Gericht zu einem Jahr auf Bewährung, einem Monat Führerscheinentzug und 5000 Euro Geldbuße verurteilt. Das Urteil wurde jedoch von vielen Stellen – unter anderem dem russischen Außenministerium – als viel zu milde kritisiert.
Auf eine Anfrage vom August dieses Jahres nach Verwicklungen deutscher Diplomaten in Verkehrsunfälle im Ausland antwortete das Auswärtige Amt, dass keine Statistik zu Unfällen deutscher Diplomaten im Ausland erhoben werde. Es bestehe auch keine Meldepflicht der Betroffenen gegenüber dem Auswärtigen Amt. Erhalte man in Einzelfällen dennoch entsprechende Meldungen, so werde dies in der Personalakte vermerkt.
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