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Ein Sieg für das Land? Sicherheitskräfte konnten schon ihre Stimme für die Parlamentswahl abgeben.
© Ahmas al Rubaye/AFP

Krisenregion Naher Osten: Was die Wahlen für den Irak bedeuten

Städte zerstört, Millionen vertrieben: Trotzdem wird im Irak über ein neues Parlament abgestimmt. Kann das Stabilität bringen? Eine Analyse.

Keine Frage: Der Irak ist ein zerrissener Staat. Sunnitische Fanatiker greifen Tag für Tag Schiiten, Christen, Jesiden oder Säkulare an. Immer wieder bombt der „Islamische Staat“ (IS). Doch auch schiitische Milizen, die der offiziellen Regierungsarmee nahestehen, erpressen, foltern und töten.

Die Kurden wiederum hätten immer noch gern ein eigenes Land – sie sind aber in der Defensive. Wenn diesen Samstag im Irak gewählt wird, stellt sich einmal mehr die Frage: Überlebt dieser ohnehin extrem fragile Staat?

Seit dem Sturz des Diktators Saddam Hussein 2003 ist der Irak kein funktionierender Staat.

Die Identifikation mit dem eigenen Land ist oft nicht vorhanden. Das Volk teilt sich vielerorts nach Konfessionen und Sprache, nach Stammestradition und politischem Lager. Nicht nur Angehörige kleinerer Minderheiten wie Assyrer, Jesiden und Armenier fürchten um ihr Leben. Oft herrschen Warlords, die sich zwar an einer Glaubensrichtung orientieren, nachdrücklicher aber Schutzgelderpressung und Schmuggel betreiben.

Wird der Einfluss des Iran noch größer?

Die Parlamentswahl wird vor allem über den Einfluss des Irans auf das Nachbarland entscheiden. Die meisten Iraker sind Araber schiitischen Glaubens – die persischen Mullahs in Teheran appellieren nicht an das arabische, sondern das religiöse Erbe dieser Iraker. Als aussichtsreich gelten die Wahlbündnisse dreier Kandidaten.

Zunächst ist da Haidar al Abadi. Der 66-Jährige ist Ministerpräsident und könnte sich im Amt behaupten. Obwohl auch unter dem Schiiten Abadi aus rigiden Moralvorstellungen harsche Gesetze wurden, hoffen Mittelständler in den Städten und die oft progressiveren Assyrer, Kurden und Armenier, dass er den Einfluss der Religiösen zumindest in Grenzen halten kann. An Korruption, Misswirtschaft und Fragmentierung des Landes dürfte er wohl nur wenig ändern.

Außerdem tritt Nuri al Maliki an, der 67 Jahre alte früher Regierungschef. Gewinnt seine Allianz, wird das den Iran stärken – und somit im Gegenzug die sunnitischen Klerikalen befeuern. Maliki hatte die Sunniten, die unter Saddam die herrschende Kaste bildeten, während seiner Regierungszeit massiv ausgegrenzt.

Kurden sehnen einen eigenen Staat herbei

Ein Sieg wird auch dem Chef der schiitischen Badr-Organisation zugetraut, dem 63 Jahre alten Hadi al Amiri. Hinter ihm stehen vor allem die berüchtigten Haschd-al-Schaabi-Milizen. Ihnen werden schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Sollte Amiri die Wahl gewinnen, hätte Teheran wohl bald die volle Kontrolle in Bagdad.

Nur auf das kurdische Autonomiegebiet dürften die schiitischen Hardliner ihre Macht nicht unmittelbar ausdehnen können. Die Kurden im Norden setzen mehrheitlich auf Nechirvan Barzani und dessen prowestliche KDP. Daneben gibt es noch die kampferprobte PKK.

Im nordirakischen Kurdistan existiert noch am ehesten so etwas wie Staatlichkeit. Allerdings setzen die Feinde der Kurden die Region unter massiven Druck. Erst vor drei Wochen wurde ein Mitglied der regionalen Wahlkommission erschossen.

Vergangenen September hatte das Gremium das Unabhängigkeitsreferendum für die von Iraks Kurden kontrollierten Gebiete organisiert. Iraks Zentralregierung ging mit Hilfe der Türkei und des Iran dagegen vor. Den Kurden wurden das ölreiche Kirkuk abgenommen.

Viele Städte wie die einstige IS-Hochburg Mossul liegen zu großen Teilen noch in Trümmern.
Viele Städte wie die einstige IS-Hochburg Mossul liegen zu großen Teilen noch in Trümmern.
© Kay Nietfeld/dpa

Bei der Parlamentswahl wird über etwa 320 Abgeordnetensitze abgestimmt. Diese repräsentieren die Provinzen und richten sich nach der Einwohnerzahl: rund 100000 Stimmen pro Sitz. Für bestimmte Minderheiten wie die Jesiden sind Sitze reserviert. Das Vertrauen in den Staat stärkt das kaum.

Immer wieder hatten vor allem die Kurden westliche Regierungen darum gebeten, nicht mehr auf den ungeliebten Zentralstaat zu beharren. Aber auch die deutsche Regierung glaubt nicht an eine Föderalisierung, an eine komplette Neuordnung schon gleich gar nicht.

Kürzlich kündigte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) an, fortan dabei helfen zu wollen, Iraks Zentralarmee aufzubauen. Bislang unterstützte die Bundeswehr die prowestlichen Peschmerga der Kurden. Nun rüstet Berlin deren Gegner auf.

Der "Islamische Staat" mordet

Ein weiteres zentrales Problem des Iraks ist der Terrorismus. Kaum ein Tag vergeht ohne einen Bombenanschlag. Oft sind die Attentäter Mitglieder des „Islamischen Staats“. Zwar hat Premier Abadi mehrfach erklärt, die Dschihadistenmiliz sei besiegt und keine nennenswerte Gefahr für das Land. Doch das ist bestenfalls die halbe Wahrheit. Zwar sind die „Gotteskrieger“ weit von einstiger Macht und Einfluss entfernt.

Doch der IS verfügt nach wie vor über Schlagkraft. Die sunnitischen Extremisten tönen, sie unterhielten zig Schläferzellen. Deren Kämpfer, ausgebildet in Guerillataktiken, seien jederzeit in der Lage, zuzuschlagen.

In der Tat kommt es immer wieder zu Angriffen auf Politiker, werden Bomben gelegt, sprengen sich Selbstmordattentäter in die Luft. Wähler, Wahllokale und Kandidaten gelten als legitime Ziele. Dass der IS wieder Terror verbreiten kann, kommt nicht von ungefähr.

Es gibt zum einen Berichte darüber, die USA hätten ihre Bekämpfung der Islamisten etwas zurückgefahren. Und die Kurdenmilizen, lange Zeit effektivster Gegner des IS, hat Milizionäre aus dem Irak abgezogen, um in Syrien dem Einmarsch der Türkei etwas entgegenzusetzen. Den Dschihadisten kommt das zupass.

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