Schüsse auf Georgier im Kleinen Tiergarten: Was die Ermittler über den mutmaßlichen Mörder wissen
Die Bundesanwaltschaft hat Hinweise, dass ein Georgier in Berlin im Auftrag Russlands ermordet wurde. Tatverdächtig ist der Russe Vadim Krasikov alias Sokolov.
Die Bundesanwaltschaft hat die Ermittlungen zum Mord an dem Georgier Zelimkhan Khangoshvili am 23. August 2019 im Kleinen Tiergarten in Berlin-Moabit an sich gezogen. Hier die wichtigsten Informationen zum Täter.
Tatverdächtig ist der Russe Vadim Krasikov alias Vadim Sokolov.
In einer Pressemitteilung vom 4. Dezember 2019 äußerte sich die Bundesanwaltschaft ausführlich zum Stand der Ermittlungen und zum Hintergrund des Verdächtigen und des Ermordeten.
Das Mordopfer nennt sie dabei Tornike K., weil Khangoshvili sich aus Furcht vor einem Attentat offenbar einen anderen Namen zugelegt hatte.
Keine Hinweise auf „Auftrag eines nichtstaatlichen Akteurs“
Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass der russische Staat in die Tat verwickelt ist. Es gebe bisher keine Anhaltspunkte dafür, dass der Mord im Kleinen Tiergarten „im Auftrag eines nichtstaatlichen Akteurs erfolgt ist“. Die Ermittlungen haben demnach auch keine Hinweise ergeben „auf eine wie auch immer geartete Verbindung zwischen dem Beschuldigten und dem Tatopfer, geschweige denn für ein persönliches Motiv des Beschuldigten“. Auch gebe es keinen Bezug zur organisierten Kriminalität oder zum islamistischen Terrorismus.
Mord in Moskau nach demselben Muster – Fahrrad und Kopfschüsse
Identifiziert wurde Krasikov demnach durch den Abgleich seines Fotos mit dem eines Mannes namens Sokolov, der in Berlin in Untersuchungshaft sitzt. Daraus ergab sich, „dass es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um ein und dieselbe Person handelt“.
Krasikov wurde von den russischen Behörden am 23. April 2014 zur Fahndung ausgeschrieben. Er wurde gesucht wegen eines Mordes vom 19. Juni 2013 in Moskau. Eine Überwachungskamera hatte die Tat festgehalten.
Zu sehen ist, wie sich der Täter auf einem Fahrrad seinem Opfer nähert. Der Angegriffene kann den Täter zunächst zu Fall bringen. Doch der Attentäter folgt seinem Opfer und tötet den Mann durch mindestens zwei Schüsse in Oberkörper und Kopf. Auch beim Mord in Berlin war der Täter per Fahrrad unterwegs und tötete sein Opfer durch Kopfschüsse.
Gut ein Jahr nach dem Fahndungsausruf zog Russland diesen jedoch wieder zurück – nur zwei Monate später stellten die russischen Behörden der Bundesanwaltschaft zufolge einen Inlandsreisepass auf den Namen Vadim Sokolov aus. Bei seiner Festnahme in Berlin hatte Sokolov einen Reisepass dabei, der auf den Namen Vadim Sokolov ausgestellt und den russischen Behörden zufolge ein echtes Ausweisdokument war.
Spur führt zum russischen Verteidigungsministerium
Die deutschen Ermittler stellten fest, dass Sokolov am 17. August 2019 von Moskau nach Paris geflogen war. Er benutzte dafür ein Visum mit einer Arbeitgeber-Bescheinigung einer Firma namens „Zao Rust“ mit Sitz in St. Petersburg. Demnach war Sokolov dort als Bauingenieur angestellt. Die weiteren Angaben zu dem Unternehmen standen aber im Widerspruch zu denen im russischen Handelsregister. Eine „Zao Rust“ zugeordnete Telefaxnummer führte nach Angaben der Bundesanwaltschaft zu zwei Unternehmen, die dem russischen Verteidigungsministerium gehören.
Drei Tage nach seiner Ankunft in Frankreich flog Sokolov am 20. August 2019 von Paris nach Warschau. Dort bezog er ein Hotelzimmer, das er über das Internet zunächst bis zum 25. August und dann vor Ort noch einen Tag länger buchte. Allerdings verließ Sokolov das Hotel vorzeitig am Morgen des 22. August und kehrte nicht wieder zurück.
Lücke zwischen Abreise aus Warschau und Mord in Berlin
Was Sokolov zwischen der Abreise vom Warschauer Hotel und dem Mord in Berlin am Mittag des 23. August getan hat, ist bislang unklar. Es gebe keine Hinweise darauf, „dass sich der Beschuldigte vor dem 22. August 2019 in Berlin aufgehalten, das spätere Tatopfer dort zum Zwecke der Durchführung des Anschlags selbst ausgespäht oder selbst die Tat vor Ort logistisch vorbereitet hatte“, stellt die Bundesanwaltschaft fest.
Der zum Tatzeitpunkt 40 Jahre alte Zelimkhan Khangoshvili wurde von den russischen Behörden als Terrorist eingestuft und verfolgt. Er sollte getötet oder nach Tschetschenien entführt werden. Der Georgier hat den Ermittlungen zufolge unter anderem zwischen 2000 bis 2004 als Kommandeur einer tschetschenischen Miliz im zweiten Tschetschenienkrieg gegen russische Streitkräfte gekämpft.
Am 28. Mai 2015 wurde Khangoshvili Ziel eines Anschlags in der georgischen Hauptstadt Tiflis. Ein unbekannter Täter gab acht Schüsse auf ihn ab, von denen vier das Opfer trafen. Khangoshvili wurde schwer am Arm verletzt.
Das Attentat vom 23. August 2019 in Berlin überlebte er nicht.