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Chinas Präsident Xi Jinping
© Aris MESSINIS / AFP

Unterdrückte Uiguren in China: Was der Leak für Xi Jinping bedeutet

Geleakte Dokumente aus China verdeutlichen das Ausmaß der Internierung der Uiguren. Die Unterdrückung wurde vom Staats- und Parteichef angeordnet.

Anfänglich hatte China die Existenz von Lagern für Uiguren und andere muslimische Minderheiten in der westchinesischen Provinz Xinjiang schlichtweg geleugnet. Später deklarierte die kommunistische Diktatur die Lager als „Umerziehungslager“, in denen die Uiguren eine Berufsausbildung erhalten würden.

Das sei nötig, um den Extremismus und Terrorismus in der Region zu bekämpfen. Menschenrechtsorganisationen hingegen sprechen von einem „kulturellen Völkermord“ in Xinjiang.

Mindestens eine Million Menschen befinden sich demnach in den Lagern, es gibt Berichte von Zwangsarbeit, Zwangssterilisationen, Folter und Todesfällen in den Lagern.

Am Samstag veröffentlichte die „New York Times“ Dokumente, die von einem chinesischen Regierungsbeamten geleakt worden sind, der offenbar Chinas Staatschef Xi Jinping und andere hohe Beamte der kommunistischen Partei nicht aus ihrer Verantwortlichkeit entkommen lassen will. Denn die veröffentlichten Papiere dokumentieren das Ausmaß der staatlichen Unterdrückung in Xinjiang.

Was steht in den Dokumenten der „New York Times“?

In den Hunderten von Seiten wird deutlich, dass Chinas Staats- und Parteichef die Unterdrückung der Uiguren veranlasst hat. So habe Xi Jinping 2014, einige Wochen nachdem Uiguren bei einem Anschlag auf eine Bahnstation 31 Menschen getötet hatten, in einer Reihe privater Reden in Xinjiang ein hartes Durchgreifen gegen die Uiguren gefordert.

„Wir müssen genauso hart sein wie sie“, sagte Xi Jinping den Dokumenten zufolge. Er fügte hinzu: „Und überhaupt keine Gnade zeigen“.

Die Kommunistische Partei solle die „Mittel einer Diktatur“ nutzen. Eine direkte Anweisung zur Bildung eines Lagersystems gab er den Dokumenten zufolge nicht. Die Beamten sollten sich Elemente des US-amerikanischen „Krieges gegen den Terrorismus“ nach dem 11.September zum Vorbild nehmen.

Die Dokumente der „New York Times“ zeigen auch, wie die Beamten mit den Fragen von Studenten umgehen sollen, die aus den östlichen Provinzen heimkehren und deren Eltern und Verwandten in der Zwischenzeit in den Lagern verschwunden waren. Sie sollten die Situation der Verschwundenen mit Krankheitssymptomen beschreiben. Zum Beispiel: „Die Freiheit ist nur möglich, wenn das ,Virus’ in ihrem Denken ausradiert ist und sie guter Gesundheit sind“, heißt es den Dokumenten.

Die Papiere beschreiben auch den Druck, dem die chinesischen Beamten in Xinjiang ausgesetzt sind. So gab es 2017 rund 12.000 Untersuchungen gegen Parteimitglieder wegen Verstößen im Zusammenhang mit dem „Kampf gegen den Separatismus“. Ein Beamter im Bezirk Yarkand weigerte sich sogar, den Befehlen zu folgen und entließ heimlich über 7000 Gefangene. Er soll inzwischen selber bestraft worden sein.

Wie reagiert die Politik auf den Bericht?

In China gibt es bislang keine offizielle Stellungnahme. Die australische Außenministerin Marise Payne sagt: „Ich habe zuvor schon unsere starken Bedenken aufgrund der Berichte von Masseninhaftierungen von Uiguren in Xinjiang zum Ausdruck gebracht, die beunruhigenden aktuellen Berichte verstärken nur Australiens Sichtweise und wir wiederholen daher unsere Bedenken.“

In Deutschland sieht Margarete Bause die Dokumente als Beweis dafür, dass Peking der Weltöffentlichkeit bewusst die Unwahrheit gesagt habe. „Die Gräueltaten an den Uiguren und anderen muslimischen Minderheiten wurden direkt von Xi angeordnet“, sagt die Menschenrechtsbeauftragte der Grünen.

„Die Dokumente zeigen auch, wie systematisch und geplant das Vorgehen der KP ist. Damit erhärten sich die Indizien, dass es sich um Verbrechen gegen die Menschlichkeit handelt.“ Sie fordert ernsthafte Konsequenzen für die Beziehungen Deutschlands und Europas zur Volksrepublik China.

Was bedeuten die Dokumente für Xi Jinping?

Die aktuellen Anschuldigung dürften das China-Bild im Ausland weiter beschädigen und setzen den chinesischen Staats- und Parteichef weiter unter Druck.

Zuletzt wurde bereits über Machtkämpfe innerhalb der Kommunistischen Partei spekuliert, weil seit langem nicht mehr so viel Zeit zwischen zwei Plenumssitzungen der KP vergangen war. Zudem wird Xi Jinping zurzeit durch den Handelskrieg mit den USA und die andauernden Demonstrationen in Hongkong herausgefordert.

Was wusste man bisher über die Lager?

In den vergangenen Jahren drangen immer wieder vereinzelte Berichte aus den Lagern an die Öffentlichkeit. Eine der prominentesten Betroffenen ist die Uigurin Mihrigul Tursun, die 2015 mit ihren neugeborenen Drillingen aus Ägypten nach Xinjiang eingereist war.

Nach ihrer Aussage wurde sie bald nach ihrer Ankunft in ein „Umerziehungslager“ gebracht. Ihre Kinder wurden ihr weggenommen. Nach drei Monaten wurde sie wieder freigelassen. Ärzte erzählten ihr, dass ihr Sohn Mohaned im örtlichen Kinderkrankenhaus nach einer Operation gestorben sei.

Arbeiter gehen an einem "Umerziehungslager" für Uiguren in Dabancheng in der Provinz Xinjiang entlang.
Arbeiter gehen an einem "Umerziehungslager" für Uiguren in Dabancheng in der Provinz Xinjiang entlang.
© Thomas Peter/Reuters

Sie habe nie erfahren, warum ihre Drillinge überhaupt in einem Krankenhaus waren, berichtete sie unter anderem dem US-amerikanischen Sender „CNN“. Anschließend wurde ihr Pass konfisziert und sie kam noch zweimal in Umerziehungslager. Dabei seien in einem Lager über 50 Frauen in einem Raum untergebracht gewesen, der so klein war, dass die Insassen nur abwechselnd in Schichten auf dem Boden schlafen konnten.

Auch könne sie bezeugen, dass neun Menschen aufgrund der unmenschlichen Bedingungen umgekommen seien. China weist gegenüber „CNN“ diese Vorwürfe von sich und bestätigt lediglich, dass Mihrigul Tursun 2017 für 20 Tage festgenommen wurde, weil sie „ethnischen Hass und Diskriminierung“ geschürt hätte. Auch der Tod des Sohnes sei „völlig falsch“, er könnte vielmehr in der Türkei bei Verwandten leben.

In den vergangene Jahren wurde auch immer mehr über das Ausmaß der Lager bekannt. Inzwischen gehen auch die Vereinten Nationen von mehr als einer Million Gefangener aus. Zuletzt entdeckten US-Aktivisten nach eigenen Angaben noch hunderte bislang unbekannte Lager in China.

Die in Washington ansässige Gruppe „East Turkistan National Awakening Movement“ (ETNAM) erklärte, mehr als 450 Orte lokalisiert zu haben, an denen China mutmaßlich Uiguren festhalte. Die Regierung in Peking wies die Anschuldigen zurück. Ein Großteil der Orte sei bislang unbekannt gewesen, sagte der Aktivist Kyle Olbert, weshalb die Organisation davon ausgehe, dass die Gesamtzahl der von China inhaftierten Uiguren weitaus höher sei als die bislang genannten eine Million.

Der frühere US-Geheimdienstmitarbeiter Andres Corr, der die Aktivistengruppe berät, sagte, rund 40 Prozent der erwähnten Standorte seien zuvor nicht offiziell als Gefängnisorte bekannt gewesen.

Was unternehmen die Vereinten Nationen?

Im Sommer prangerten 22 Staaten, darunter auch Deutschland, aber nicht die USA, bei einer Sitzung des UN–Menschenrechtsrates die willkürlichen Verhaftungen der Volksrepublik in Xinjiang in einem Brief an. Allerdings konterte China mit einem eigenen Brief, in dem 37 Staaten die Politik Chinas im Kampf gegen den islamischen Terrorismus ausdrücklich lobten.

Zu den Unterstützerstaaten zählten Nordkorea und Russland, aber auch auffallend viele muslimische Staaten wie Saudi-Arabien, Algerien, Ägypten und Pakistan. Diese Staaten unterhalten alle wichtige politische und wirtschaftliche Beziehungen zu China.

Die Geschäftsbeziehungen scheinen den Blick auf Xinjiang besonders trüben zu können. Das zeigt auch die Antwort des Volkswagen-Chefs Herbert Diess, dessen Konzern eine Fabrik in der westchinesischen Provinz betreibt. Auf die Frage nach den dortigen Umerziehungslagern antwortete Diess, er wisse nicht, was mit der Frage gemeint sei. (mit AFP)

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