Martensteins Berlinale (2): Was den Unterschied ausmacht
Dieter Kosslick hat Künstler nicht eingeladen, weil sie Fehlverhalten zugegeben haben. Das wirft Fragen auf. Eine Berlinale-Kolumne.
Diesmal muss man bei der Berlinale nicht lange nach dem Leitthema suchen. Das eine Thema ist Dieter Kosslick, der Festivalleiter, der zum vorletzten Mal verantwortlich ist. Kosslick war lange Chef. Am Ende der Ära Kosslick steht die Berlinale deutlich besser da als die CDU am Ende der Ära Merkel.
Das zweite Thema ist „MeToo“, die Kampagne gegen sexuelle Übergriffe aller Art. Kosslick sagte dazu: „Wir haben in diesem Jahr Arbeiten von Leuten nicht im Programm, weil sie für ein Fehlverhalten zwar nicht verurteilt worden sind, es aber zumindest zugegeben haben.“
Dazu hätte ich ein paar Fragen. Um welche Leute handelt es sich? Wie viele wurden wegen Fehlverhaltens abgelehnt? Da diese Personen ihr Fehlverhalten zugegeben haben, dürften keine juristischen Gründe gegen eine Veröffentlichung sprechen. Wen betrifft diese Maßnahme überhaupt? Nur Regisseure? Oder auch Schauspieler und Autoren? Und was ist überhaupt mit „Fehlverhalten“ gemeint? Der Begriff ist, wie „Leute“, recht schwammig. Genügt eine schlüpfrige Bemerkung, um von der Berlinale ausgeschlossen zu werden? Nach wie vielen Jahren ist eine solche Bemerkung verjährt, oder verjährt sie nie, wie Mord? Sollte eine Person, die sich fehlverhält, nie wieder in ihrem Beruf arbeiten dürfen? An einem Film sind immer viele Menschen beteiligt. Inwiefern ist es gerecht, Dutzende von Künstlern für das Fehlverhalten einer einzigen Person zu bestrafen, indem man ihr gemeinsames Werk mit einem Bann belegt? Hält Dieter Kosslick es für ausgeschlossen, dass ein Mensch, der sich fehlverhalten hat, ein wichtiges Kunstwerk schaffen könnte, das man dem Publikum nicht vorenthalten darf? Sollte die Berlinale nie wieder Filme von Roman Polanski zeigen, etwa als Retrospektive? Was ist mit Pasolini, der Sex mit minderjährigen Strichjungen hatte?
Der feine Unterschied
Kosslick hat allerdings entschieden, dass „Human, Space, Time and Human“ von Kim Ki-duk in der Sektion Panorama laufen darf. Der koreanische Regisseur wurde nicht verurteilt, zahlte aber eine Geldstrafe und war, was den Vorwurf, er habe eine Schauspielerin geohrfeigt, geständig. Kim Ki-duk ist berühmt, die Festivals buhlen um ihn. Nach Kosslicks Kriterium – zugegebenes Fehlverhalten – müsste er ausgeschlossen werden. Es scheint einen Unterschied zu machen, wie berühmt jemand ist. Zum Glück versucht die echte Justiz, im Gegensatz zu Richter Kosslick, ohne Ansehen der Person zu urteilen.
Harald Martenstein