Reform: Was bleibt von der Bundeswehr?
Es ist die bisher umfassendste Reform der Bundeswehr. Die Truppe soll kleiner werden. Verteidigungsminister Thomas de Maizière lässt dennoch einige Fragen offen.
Was er sich und der Bundeswehr da aufgeladen hat, ist Thomas de Maizière nur allzu bewusst: Die Neuausrichtung der Armee „gleicht einer Operation am offenen Herzen, während der Patient weiter auf der Straße spazieren geht“. Das abenteuerliche Bild hat ihm einer seiner Vorgänger als dezente Warnung mitgegeben. Mit allen Ex-Ressortchefs hat der neue Verteidigungsminister gesprochen – auch mit Karl-Theodor zu Guttenberg natürlich, nur Helmut Schmidt hat demnächst erst Zeit –, mit Generälen und Staatssekretären a. D., mit Frank-Jürgen Weise und und zuletzt mit dem Finanzminister. Zwei Monate hat Thomas de Maizière gebraucht, bis er einen Plan aus dem gemacht hat, was sein Vorgänger ihm als Baustelle hinterlassen hat. Wenn der Plan aufgeht, wird aus der Bundeswehr eine andere Armee – und das nicht nur, weil sie jetzt ohne Wehrpflichtige auskommen muss.
UMFANG DER TRUPPE
Für den Umfang der Bundeswehr hat de Maizière eine Formel parat: 170.000 Zeit- und Berufssoldaten plus 5000 Freiwillige plus X. Eine Armee mit 15.000 Freiwilligen, wie sie Guttenberg angepeilt hatte, hält sein Nachfolger angesichts sinkender Geburtenraten für illusorisch. Aber er mag auch keinen guten Bewerber abweisen. Das X steht deshalb für bis zu 10.000 weitere Freiwillige. Die Zahl der Zivilstellen sinkt auf 55.000. Der Großteil des Personalabbaus von der heutigen Sollstärke von 250.000 Mann besorgt quasi automatisch die auslaufende Wehrpflicht. Die Militärprofis müssen sich auf den Wegfall von rund 16.000 Stellen einrichten, bei den Zivilen werden 21.000 Posten überflüssig. Generalinspekteur Volker Wieker rechnet damit, dass der gesamte Umbau sechs bis acht Jahre dauern wird.
Trotz der Verkleinerung soll die Bundeswehr aber leistungsfähiger werden. Statt derzeit 7500 Männern und Frauen sollen rund 10.000 Soldaten gleichzeitig in Einsätzen stehen können. Das entspricht der Beteiligung an zwei im internationalen Maßstab „großen“ Einsätzen von Afghanistan-Format plus sechs kleineren Missionen – kleine Hilfeleistungen wie ein paar Stabssoldaten für die UN- Mission im Sudan nicht mitgerechnet. Ebenfalls nicht eingerechnet in diese 10.000 sind die Soldaten, die der Nato und der EU als ständige schnelle Eingreifkräfte zugesagt sind.
VERTEIDIGUNGSPOLITISCHE RICHTLINIE
Hinter diesen Zahlen steckt ein politisches Konzept. Deshalb hat de Maizière zeitgleich mit den Grundlinien der Reform neue „Verteidigungspolitische Richtlinien“ veröffentlich. Sie beschreiben das mittlerweile klassische Aufgabenfeld – von der derzeit eher unwahrscheinlichen Landesverteidigung bis zur Sicherung von Handelsrouten. Doch der Minister geht über Peter Strucks Formel von der „Verteidigung am Hindukusch“ hinaus. De Maizière sieht Deutschland nicht nur in der Pflicht, eigene Interessen zu verteidigen, sondern darüber hinaus in Verantwortung gegenüber der Weltgemeinschaft. Er wählt den Vergleich mit dem Grundgesetz-Artikel, dass „Eigentum verpflichtet“. Genauso erwachse Deutschland aus seinem Wohlstand und seiner Stellung im Kreis der Nationen die Pflicht zum Engagement. „Wir wollen als starke Partner in einem vereinten Europa dem Frieden in der Welt dienen“, heißt es in den neuen Richtlinien.
MINISTERIUM ALS VORBILD
Das Verteidigungsministerium soll nach de Maizières Willen als gutes Vorbild vorangehen und deshalb schon in etwa einem Jahr umgebaut sein. Es wird von etwa 3300 auf rund 2000 Stellen verkleinert, nicht ganz so stark wie in Guttenbergs Konzept. Die Inspekteure der Teilstreitkräfte ziehen mit ihren Mitarbeitern aus. Zugleich wird das Haus intern massiv umstrukturiert. Führungsebenen fallen weg, Verantwortlichkeiten werden neu zugewiesen und Entscheidungsstränge gestrafft. Mit dem Brauch, dass Zivilangestellte lebenslang an Zuständigkeiten kleben, soll Schluss sein.
De Maizière will damit ein Problem angehen, das seit Jahrzehnten alle folgenlos beklagen: Die Bundeswehr leidet an einem Wasserkopf, der weniger die Armee verwaltet als sich selbst. Unklare Zuständigkeiten, Hin- und Hergeschiebe von Verantwortung, zu viele Vorschriften und zu wenig Entscheidungen, „zu viele Stäbe und damit auch zu viele Generalssterne“ – de Maizières Analyse deckt sich mit der Kritik, die die Weise-Kommission unter Guttenberg geäußert hatte. Dass die Bundeswehr heute mit gut 200 Generälen fast so viele Sterne-Träger braucht wie die viel größere Armee des Kalten Kriegs, in der sein Vater Ulrich Generalinspekteur war, mag er nicht einsehen. Folgerichtig setzt die Reform vor allem oben an. Im Ministerium werden ganze Stäbe einfach aufgelöst, darunter der Planungsstab, den Helmut Schmidt einst als persönliche Denkfabrik in dem CDU-dominierten Ministerium installiert hatte. Das Prinzip setzt sich nach unten hin fort. Heer, Marine und Luftwaffe müssen künftig ohne eigene „Ämter“ und Führungsstäbe auskommen. Deren Funktionen sollen, sofern noch nötig, bei den Inspekteuren gebündelt werden. Allein dadurch werden sechs Generäle arbeitslos – oder, wie es im Fachjargon unfreiwillig komisch heißt: „frei fallend“.
Für den obersten Soldaten allerdings geht die Reform mit einer Aufwertung einher. Der Generalinspekteur, der bisher keinem seiner Generäle etwas befehlen durfte, wird Dienstvorgesetzter der gesamten Armee. Das hat schon Guttenberg so vorgesehen. Anders als der Vorgänger belässt de Maizière dem Vier- Sterne-General aber die Zuständigkeit für Planung und Militärpolitik. Dass der Generalinspekteur ohne diese Abteilungen seine Rolle als militärischer Chefberater der Regierung nur schlecht würde ausüben können, war einer der zentralen Kritikpunkte an Guttenbergs Konzept.
STANDORTE
Das genaue Standortkonzept soll – ebenso wie der Detailzuschnitt des Ministeriums – erst im Herbst vorliegen. Allerdings hat sich de Maizière schon entschieden, dass es bei der Präsenz der Armee „in der Fläche“ bleiben soll. Die Idee des Wehrbeauftragten, Großstandorte zu schaffen, lehnt der Minister ab: Regelrechte Militärstädte schadeten der Integration der Soldaten in die Gesellschaft. Ausdrücklich nicht ausschließen will de Maizière übrigens, dass die Zweiteilung des Ministeriums zwischen Bonn und Berlin auf den Prüfstand kommt. „Es ist vielleicht nicht ganz unwahrscheinlich, dass es Handlungsbedarf gibt“, sagt er. Aber der Minister will diesen heiklen Punkt so behandeln wie die Reform insgesamt: Mit allen Betroffenen reden, im Stillen eine Lösung suchen – und erst laut darüber reden, wenn die da ist.
SPAREN UND FINANZIEREN
Über den heikelsten Punkt noch jeder Bundeswehrreform redet de Maizière nur in Andeutungen: das liebe Geld. „Die Bundeswehr ist schon lange strukturell unterfinanziert“, hat er in seiner Rede unwidersprochen festgestellt. Dass das ursprüngliche Sparziel von 8,3 Milliarden Euro nicht zu erreichen ist, hatte schon der Vorgänger eingeräumt. De Maizière hat sich mit Finanzminister Wolfgang Schäuble im Stillen auf ein Verfahren verständigt, wie das alles trotzdem gehen soll. In seiner Rede fand sich dazu nur die – mit Schäuble abgesprochene – Formel, dass Belastungen des Wehretats „durch die Neuausrichtung ... vermieden werden“ sollen. Dahinter steht im Kern wohl vor allem die Idee, die Pensionskosten für Ausscheidende dem Gesamt-Bundeshaushalt aufzubürden. Wo echte Einsparmöglichkeiten stecken könnten, darüber schweigt sich de Maizière öffentlich noch aus: Das werde unter anderem die Feinplanung bis zum Herbst zeigen. Dass er sich aus der Sparpflicht des Kabinetts nicht herausmogeln will, hat er aber stets versichert.
KÜNFTIGE PROBLEME
Ein Hauptproblem jedes Reformers sind die, die er reformieren soll. Über das Beharrungsvermögen der Apparate macht sich de Maizière wenig Illusionen. Er will aufs Tempo drücken, damit nicht die „frei Gefallenen“ das Klima vergiften. Er appelliert an alle in der Bundeswehr, die Reform nicht als eine „aus Not“ zu begreifen, sondern als Chance. Und er droht unmissverständlich: „Wer das nicht kann, der hat keinen Platz.“ Völlig offen ist auch weiterhin, ob es der Armee gelingt, ausreichend und vor allem ausreichend qualifizierten Nachwuchs zu gewinnen. Bei den Zeit- und Berufssoldaten, sagt de Maizière, gebe es absehbar bisher kein Problem. Bei den Freiwilligen setzt der Minister auf Attraktivität – und auf eine neue Anerkennung des Dienens in Truppe und Gesellschaft: „Wir sind gewissermaßen eine ganz besondere Nationalmannschaft.“ De Maizière scheut dabei auch ein Wort wie „Patrioten“ nicht. Ob das eine Sprache ist, die 19-Jährige im Internet-Zeitalter noch verstehen, erscheint dann allerdings doch eher ungewiss.