Wahlkampf bei RTL: Was Angela Merkel "richtig sauer" macht
RTL konfrontiert die Kanzlerin im Studio mit Bürgern. Die wollen von "Richtlinienkompetenz" nichts hören. Doch die Zeit ist kurz für komplexe Themen.
„Egal, was die Wahl bringt“, verspricht Angela Merkel, „ich komme Sie nächstes Jahr besuchen!“ Das findet Axel Kaiser schon mal in Ordnung. Ansonsten ist der Glühwein-Verkäufer vom Berliner Breitscheidplatz eigentlich noch nicht zufrieden. Kaiser war in seinem Stand, als Anis Amri mit dem entführten Lastwagen auf dem Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche Menschen zu Tode und zu Krüppeln fuhr. Jetzt steht der 61-jährige Händler im RTL-Studio und möchte von der Kanzlerin wissen, wie sie verhindern will, dass sich noch einmal jemand so durch die Maschen der Sicherheitsbehörden windet wie der algerische Terrorist.
„An einem Tisch mit ...“ ist für Politiker, die RTL-Chef Peter Kloeppel ins Studio bittet, kein einfaches Format. Nicht Profis fragen, sondern Bürger. Bürger wollen, dass ihre Probleme gelöst werden. Der Bürger Kaiser will zum Beispiel nicht hören, dass für die Überwachung von Gefährdern oder die Ausrüstung der Polizei die Länder zuständig sind. Hat eine Kanzlerin nicht diese sagenumwobene „Richtlinienkompetenz“? Hat sie nicht, wird später der Wirtschaftsprüfer Udo Potthast aus Hamburg fragen, mal eben so den Atomausstieg verfügt – wieso geht das nicht genau so mit einer Entschädigung für Diesel-Fahrer, wie sie in den USA gezahlt wird?
Die Kanzlerin schimpft auf die Autoindustrie
Der Hinweis auf unterschiedliche Rechtslagen dies- und jenseits des Atlantik reicht dem Hamburger erkennbar nicht. Sein Diesel-Golf, rechnet er vor, ist jetzt viel weniger wert als vorher. „Ich versteh' ja Ihre Wut“, gibt Merkel zurück. „Dass hier richtig hintenrum betrogen wurde, darauf bin ich auch richtig sauer. Dafür könnse sich aber nix kaufen.“ Für sie gehe es aber jetzt erst einmal darum, Fahrverbote zu vermeiden, wegen der Arbeitsplätze und weil der Diesel ja noch gebraucht werde aus Klimaschutzgründen.
Das Diesel-Geplänkel ist ziemlich typisch für die gute Stunde im Studio. Da kann man Themen grade mal eben anreißen; der Bereich Pflege fällt am Ende der Uhr zum Opfer. Oft fragt Merkel zurück, wenn Menschen ihre Probleme schildern. Da ist zum Beispiel der Iraner Ayoub Chak, der berichtet, dass er seit acht Jahren hier als Geduldeter lebt, aber von seinem Asylantrag seit fünf Jahren nichts gehört habe. „Das kommt mir relativ erstaunlich vor“, sagt die Regierungschefin – er möge ihr doch mal seine Unterlagen schicken. Da ist die Flüchtlingshelferin aus Bayern, die sich beschwert, dass die CSU-Landesregierung Flüchtlingen systematisch Arbeitschancen verweigere. Genau darüber, sagt Merkel, habe sie mit Horst Seehofer gerade erst geredet; der wolle sich dieses Thema jetzt noch mal genauer anschauen.
Oder da ist die Alleinerziehende, die sich beschwert, dass sie im Steuerrecht viel schlechter behandelt werde als Verheiratete. Merkel marschiert von ihrem Stehtisch zu den Zuschauerbänken, schubst sich den Platz neben der jungen Frau frei („Sie geh'n weg, und ich setz' mich da hin!“) und übernimmt kurzerhand selbst Mikrofon und Gesprächsregie. Dass die Ehe im Grundgesetz nun mal besonders geschützt sei, will die Zuschauerin nicht hören: „Also mir steht kein besonderer Schutz zu!“ empört sie sich. Ihr Fall ist für Merkel trotzdem einfach. Im CDU/CSU-Wahlprogramm steht die genau passende Antwort: Für Kinder soll künftig der gleiche – höhere – Steuerfreibetrag gelten wie für Erwachsene.
Eine Rentnerin lebt in Armut
Lioba Bichl hat davon nichts mehr. Die 75-Jährige hat 42 Jahre als Frisörin gearbeitet, und jetzt muss sie in der Rente jeden Cent zweimal umdrehen. „Es weiß jeder, wie es ist, wenn man unglücklich ist“, sagt die Münchnerin. „Und so fühlt man sich, wenn man arm ist.“ Merkel versucht es wieder mit Nachfragen: Ob sie nicht von der höheren Mütterrente profitiert habe? Ach, sagt Frau Bichl, das seien grad mal 50 Euro. Merkel runzelt zweifelnd die Stirn: „Bei zwei Kindern müssten's eigentlich hundert sein.“
Aber warum, wirft jetzt Kloeppel ein, warum erhöht die Regierung nicht die ganz kleinen Renten um, sagen wir, 200 Euro? „Wir müssen da aufpassen“, wendet Merkel ein – dann würden als nächstes die mit den etwas höheren Renten kommen und fragen, wieso sie nicht mehr bekämen als andere, die ihr Leben lang weniger in die Kasse gezahlt hätten. Und die junge Generation müsse man auch im Blick behalten, die die Renten finanziert.
Und das ist ja alles richtig. Aber vor den traurigen Augen der Lioba Bichl erscheint die Mechanik der Sozialsysteme doch sehr kalt. Und von der Aussicht, dass sich nach der Wahl eine Kommission mit der Verhinderung von Massen-Altersarmut nach 2030 beschäftigen werde, hat sie in ihrem Leben auch nichts mehr. „Uns kleine Leute hält man klein“, klagt die Frau. „Was hab' ich denn falsch gemacht?“ Nichts, beeilt sich Merkel zu trösten, nichts. Aber außer dem sehr vagen Hinweis, die Union wolle „bei der Mütterrente und der Anrechnungen“ ja auch noch etwas machen, kann sie der Rentnerin keinen Trost bieten.