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Kristina Vogt (Linke), Elisabeth Motschmann (CDU), Jens Böhrnsen (SPD) und Karoline Linnert (Grüne) im TV-Studio
© Morris Mac Matzen

Bürgerschaftswahl in Bremen: Warum SPD und Grüne verlieren und die FDP dazugewinnt

Die Verluste der SPD und der Grünen in Bremen sind herb. Die CDU enttäuscht, die FDP ist wieder da. Wie sind die Ergebnisse zu erklären? Und wie geht es nun weiter? Lesen Sie hier Fragen und Antworten zum Wahlergebnis in Bremen.

Schon Monate vor der Bürgerschaftswahl schien festzustehen: In Bremen geht es weiter wie bisher. Auch die letzten Umfragen vor dem Urnengang hatten bestätigt, dass die rot-grüne Koalition nach acht Jahren Regierungsverantwortung zwar deutlich Federn lassen müsste, aber weiterhin über eine klare Mehrheit verfügen würde. Doch der Selbstläufer wurde zum Rohrkrepierer: Nicht nur die Grünen, sondern auch die Sozialdemokraten rutschten viel stärker ab als erwartet.

Warum hat die SPD so unerwartet hohe Verluste eingefahren?

Jahrzehntelang galt an der Weser die Regel: Vor allem Industriearbeiter und Angehörige des Öffentlichen Dienstes halten aus alter Tradition treu zur SPD. Dass Bremen die größte Pro-Kopf-Staatsverschuldung und derzeit sogar die höchste Arbeitslosenquote aller Bundesländer hat und bei Pisa-Bildungstests ständig die rote Laterne trägt, daran schienen sich viele Bremer und Bremerhavener resignierend gewöhnt zu haben – zumal auch die Opposition keine überzeugenden Gegenrezepte anzubieten hatte. Aber im aktuellen Wahlkampf ist es CDU und FDP offenbar gelungen, die Probleme und Versäumnisse wieder stärker ins Bewusstsein der Wählerschaft zu rücken. Dafür haben jetzt SPD und Grüne die Quittung bekommen. Allerdings kommt wohl auch hinzu, dass viele Rot-Grün-Anhänger erst gar nicht zur Wahl gingen, weil sie dachten, die Koalition würde ohnehin locker wieder im Amt bestätigt.

Warum mussten die Grünen diesmal damit rechnen, besonders viele Wählerinnen und Wähler zu verlieren?

Als die Grünen bei der letzten Bürgerschaftswahl erstmals an der CDU vorbeizogen und auf unglaubliche 22,5 Prozent der Stimmen kamen, war klar, dass sich dieses Ergebnis nicht wiederholen ließe. Denn damals wirkte der Fukushima-Effekt: Nach dem Unglück im japanischen Atomreaktor entschieden sich viele Wählerinnen und Wähler für die Öko-Partei. Fukushima ist inzwischen Geschichte, und die Bremer Grünen mussten als Regierungspartei manche Kompromisse mit der Wirklichkeit und mit dem Koalitionspartner SPD schließen. Daher haben sich viele Wähler von ihnen abgewandt. Vermutlich sind einige auch über den strikten Sparkurs der Finanzsenatorin und Spitzenkandidatin Karoline Linnert enttäuscht. Gerade für die Schulen mit ihrem hohen Unterrichtsausfall hätten sich viele Bremer deutlich mehr Geld gewünscht, als Rot-Grün bereits draufgelegt hat.

Warum schafft die Bremer CDU es nicht, so gut wie im Bund abzuschneiden?

Die Christdemokraten an der Weser leiden an einem strukturellen und einem hausgemachten Problem. In Bremen und Bremerhaven leben relativ wenige Katholiken und fast keine Landwirte; anderenorts ist das die typische Unionsklientel. Hausgemacht sind Streitigkeiten, die den Ruf der Partei lange Zeit beschädigten, vor allem vor der Wahl 2011. Dabei ging es weniger um politische Flügelkämpfe, sondern mehr um persönliche Animositäten. Vor der aktuellen Wahl hatte die CDU das Problem, keinen Spitzenkandidaten zu finden. Nach der Absage mehrerer Favoriten einigte sich die Partei schließlich auf eine Verlegenheitslösung, die 62-jährige Bundestagsabgeordnete Elisabeth Motschmann. Sie legte einen engagierten Wahlkampf hin und erreichte zumindest ihr Wahlziel, die Grünen zu überholen. Aber die erhofften 25 Prozent waren wohl zu hochgesteckt.

Wer verhandelt jetzt mit wem über die nächste Regierungskoalition?

CDU-Spitzenfrau Motschmann sieht das Wahlergebnis als „klares Signal“ für die Bildung einer großen Koalition. Doch SPD und Grüne möchten ihr seit acht Jahren bestehendes Bündnis unbedingt fortsetzen, notfalls auch mit nur einer Stimme Mehrheit. Am späten Sonntagabend war unklar, ob es am Ende zu einer solchen Mehrheit sicher reichen würde.

Wie hat es die FDP geschafft, nach ihrem respektablen Hamburger Ergebnis vom Februar nun auch in Bremen nach vier Jahren Auszeit wieder ins Parlament zurückzukehren?

Ähnlich wie in Hamburg mit Katja Suding hat die FDP auch an der Weser einen pfiffigen Personenwahlkampf mit einer jungen, fotogenen Frau geführt: mit der politisch unerfahrenen und sogar parteilosen Jungunternehmerin Lencke Steiner (29). Eine ihrer beiden Firmen trägt das zur FDP passende Motto „In jeder Finsternis leuchtet ein Stern“. Nach ihrem Einzug in die Bürgerschaft wird sie beweisen müssen, dass sie mehr als nur eine Sternschnuppe ist.

Für die AfD war der Wahlabend eine Zitterpartie. Warum wurde es für die Partei so knapp?

Der AfD-Spitzenkandidat Christian Schäfer beklagte am Wahlabend ein „Störfeuer durch interne Streitigkeiten“ im Bundesverband, womit er wohl den plötzlichen Rücktritt von Vizeparteichef Hans-Olaf Henkel meinte. Erschwerend kam hinzu, dass die AfD im selben Wählerreservoire wie die noch rechtslastigeren „Bürger in Wut“ (BiW) fischten. Deren Vorsitzender Jan Timke dürfte es geschafft haben, wieder über die Arbeitslosenhochburg Bremerhaven ins Landesparlament des Zwei-Städte- Staates einzuziehen; nach Bremer Wahlrecht reicht es, in nur einer der beiden Städte die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden.

Warum bekam die Linke deutlich mehr Zuspruch als vor vier Jahren?

Damals war sie ähnlich intern zerstritten wie die CDU. Ihre Fraktionsvorsitzende Kristina Vogt hat inzwischen wesentlich mit dazu beigetragen, dass die Partei geschlossener auftritt und eine überwiegend sachlich-konstruktive Oppositionspolitik betreibt. Nur in einem Punkt macht die Linke keine Kompromisse: Sie ist die einzige Partei, die sich gegen die ab 2020 geltende Schuldenbremse wendet, weil dadurch der Staat kaputtgespart werde.

Wie entwickelte sich die Wahlbeteiligung?

Schon bei der letzten Bürgerschaftswahl gaben nur 55,5 Prozent der rund 500000 Wahlberechtigten ab 16 Jahren in Bremen und Bremerhaven einen Stimmzettel ab. In sozial schwachen Stadtteilen sank die Beteiligung sogar bis auf 38 Prozent. Diesmal sackte sie im Landesschnitt auf nur noch etwa 50 Prozent ab. Offenbar fühlen sich viele gesellschaftlich abgehängte Bürger nicht mehr richtig von den Parteien vertreten.

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