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Selbstbild. Viele Türken sind mit Präsident Erdogan überzeugt davon, dass es um die Partnerschaft mit dem Westen nicht mehr gut bestellt ist.
© Murad Sezer/Reuters

Türkei first: Warum sich die Türkei stark fühlt

Viele Türken setzen wie Präsident Erdogan auf Eigenständigkeit gegenüber dem Westen – und sehen sich in Streitfragen im Recht. Ist das Bündnis am Ende?

Falls die EU gehofft haben sollte, mit ihren Sanktionen gegen Ankara die türkische Erdgas-Suche im Mittelmeer um Zypern stoppen zu können, dann hat sie sich getäuscht. Sein Land werde die Erforschung der Gasvorräte unter dem Meeresboden als Reaktion auf die EU-Maßnahme sogar noch verstärken, sagte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu.

Auch im Streit mit den USA um die Lieferung eines russischen Luftabwehrsystems an den Nato-Staat Türkei bleibt Ankara gelassen. Ankara sieht sich in der Auseinandersetzung mit ihren westlichen Partnern am längeren Hebel.

Der harte Kurs im Umgang mit den traditionellen Verbündeten in Europa und Amerika entspricht Recep Tayyip Erdogans Weltsicht. Obwohl die Türkei politische und militärische Bündnisse mit dem Westen abgeschlossen habe, „sehen wir, dass die größten Bedrohungen von eben dort kommen“, sagte der Präsident vor wenigen Tagen.

Unter seiner Regierung hat sich das Selbstbild der Türkei gewandelt: vom treuen Partner des Westens zur eigenständigen Regionalmacht mit der Entschlossenheit, eigene Interessen durchzusetzen – notfalls gegen die Einsprüche von USA und Europa.

Murat Yetkin, ein angesehener türkischer Journalist und Verfasser des Nachrichtenblogs „Yetkin-Report“, spricht von einer „Neudefinition der Beziehungen mit USA und EU“. Erdogans Satz von der „Bedrohung“ durch den Westen sei ernst zu nehmen, betonte Yetkin: Viele Türken seien derselben Ansicht. Und sie sind wie Erdogan der Auffassung, dass der Westen bei dem Umsturzversuch vor drei Jahren seine Hände im Spiel hatte.

Im Streit mit der EU um das Gas vor Zypern sieht sich die Türkei ohnehin im Recht. Teile der Meeresgebiete, in denen die zur EU gehörende griechische Inselrepublik nach Gas suchen will, gehören nach Ankaras Verständnis zum Festlandsockel der Türkei, andere zum Gebiet der türkischen Zyprer.

Die Sanktionen der EU – unter anderem eine Kürzung der finanziellen Beitrittshilfen für das kommende Jahr von 400 Millionen auf 250 Millionen Euro – nehme er nicht ernst, sagte Außenminister Cavusoglu. Türkische Bohrschiffe bei Zypern werden von Kriegsschiffen begleitet.

Waffenhilfe aus Russland. Die Türkei bekommt das Raketenabwehrsystem S 400 - und erzürnt damit die USA.
Waffenhilfe aus Russland. Die Türkei bekommt das Raketenabwehrsystem S 400 - und erzürnt damit die USA.
© Turkish Defense Ministry/XinHua/dpa

Ankara fühlt sich im Zypernstreit aus zwei Gründen sehr sicher. Erstens werde Europa wohl kaum wegen Zypern einen militärischen Konflikt riskieren, sagt Experte Yetkin. Zweitens ist die Europäische Union in der Flüchtlingsfrage auf die Mitarbeit der Türkei angewiesen.

„Die EU braucht uns beim Thema Flüchtlinge und bei anderen Themen“, betonte Cavusoglu denn auch am Dienstag. „Die werden zu uns kommen und reden, da führt kein Weg dran vorbei.“ Die EU-Sanktionen wegen Zypern seien deshalb „wertlos“.

Als Reaktion auf die Entscheidung der Europäer will die Türkei nach der Entsendung von drei Forschungs- und Bohrschiffen nun ein viertes Schiff in die Gewässer um Zypern entsenden.

Auch bei den Differenzen mit den USA wegen der Lieferung des russischen Flugabwehrsystems S 400 an das Nato-Mitglied Türkei glaubt die Erdogan-Regierung, gute Karten in der Hand zu haben. Mit ihrer geografischen Lage zwischen Mittelmeer, Schwarzem Meer und Nahem Osten ist das Land wichtig für Amerikas Sicherheitsinteressen.

In Syrien befürchtet das US-Verteidigungsministerium einen Einmarsch der türkischen Armee im Einsatzgebiet amerikanischer Soldaten. Erdogan setzt daher darauf, dass Donald Trump die angedrohten Wirtschaftssanktionen doch noch verhindern wird.

Allerdings geht es für die USA in der Debatte um die S 400 nicht nur um die Türkei. Yetkin zitiert einen amerikanischen Gewährsmann mit der Einschätzung, dass auch andere Nato-Mitglieder an dem russischen System interessiert sein könnten. Wenn die Türkei ohne Sanktionen davonkommen sollte, könnte ihr Beispiel im westlichen Bündnis Schule machen.

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