Stühlerücken im Kanzleramt: Warum Olaf Scholz auf die „Hamburger Schule“ setzt
Angela Merkel ist ausgezogen, doch wer wird künftig die Regierungspolitik bestimmen? Olaf Scholz holt kluge Köpfe – die sein Machtprinzip verinnerlicht haben.
Die Hamburger Schule ist bekanntermaßen eine Musikbewegung, die sich aus Indie-, Pop- und Punk-Einflüssen speist, die Texte immer auf Deutsch. Sie wurde stilbildend, Teil einer Jugendbewegung.
Bands wie Die Sterne, Tocotronic oder Blumfeld, letztere wegen der sinnierenden Songtexte vom Virologen Christian Drosten sehr geschätzt, schufen einen besonderen Sound.
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Der neue Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt lud Protagonisten jener Schule zu Konzerten in die Hamburger Landesvertretung ein, als er sie noch leitete. Wenn man so will, setzt auch Olaf Scholz auf die Hamburger Schule.
Aber auf die Politische. Ob es da einen neuen Sound gibt? Erstmal hört es sich nach professioneller Kontinuität an. Er bringt fast sein ganzes Team aus dem Bundesfinanzministerium mit, viele Ursprünge der loyalen und verschwiegenen Zusammenarbeit haben Hamburger Wurzeln, entscheidend für ein Mitspielen im Team Scholz ist eine Mischung aus hoher fachlicher Expertise, Loyalität und Verschwiegenheit.
Schmidt ist bestens verdrahtet in der Bundespolitik und anders als Scholz ein Menschenfänger, bei der Kanzlerwahl redete er lange mit Scholz‘ Frau Britta Ernst, mit Angela Merkel, mit früheren und künftigen Ministerinnen und Ministern.
Seine Zuhör- und Vermittlungsqualitäten werden gerade in so einem Ampelbündnis sehr gefragt sein. Der frühere Sprecher von Thomas Oppermann und dann Außenminister Heiko Maas, Steffen Rülke, wird das Büro des Kanzleramtschefs leiten. Beide spielen seit Jahren auch zusammen in einer Hobbytruppe Fußball, nur ist Schmidt Fan vom FC St. Pauli, Rülke vom Hamburger SV.
Rülke hat bereits seine Triathlonpläne für 2022 de facto ad acta gelegt. Denn Scholz und Schmidt sind als Arbeitstiere bekannt, die viel fordern. Maas würdigte den ins Kanzleramt wechselnden Rülke ganz besonders bei der Amtsübergabe an die neue Außenministerin Annalena Baerbock. „Für den positiven Teil meines öffentlichen Bildes bist du verantwortlich, für den Rest ich.“
Scholz nimmt die Vertrauten aus dem Finanzministerium mit
Das Kanzlerbüro wird Jeanette Schwamberger leiten, sie wird sozusagen die neue Beate Baumann. Die erfahrene Ökonomin leitete früher das Bundestagsbüro von Altkanzler Helmut Schmidt und zuletzt bereits das Büro des Bundesfinanzministers Scholz.
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Auch Benjamin Mikfeld, der frühere Stratege im Bundesarbeitsministerium von Andrea Nahles und zuletzt Leiter des Planungsstabs in Scholz‘ Ministerium, wechselt mit in das Kanzleramt und soll dort den Planungsstab leiten. Er gilt als kluger Kopf, der Strategien und neue Ideen entwickeln soll.
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Neuer Regierungssprecher wird Scholz‘ bisheriger Sprecher, der hochgewachsene Steffen Hebestreit, der frühere Korrespondent der „Frankfurter Rundschau“ wurde 2015 auf Vermittlung Schmidts zunächst Leiter der Vertretung der Freien und Hansestadt Hamburg beim Bund in Berlin, seither gehört auch er zu den Erklärern der „Sphinx Scholz“, dessen Taktiken und Agieren sich nicht immer jedem erschließen.
Dass Scholz Taktgeber dieses Bündnisses sein wird, zeigte sich vor der Kanzlerwahl in der Bundespressekonferenz, als FDP-Chef Christian Lindner und Grünen-Chef Robert Habeck fast wie Scholz allen Fragen auswichen, den USA zu folgen und zumindest keine politischen Vertreter zu den Olympischen Spielen in Peking zu schicken.
Ein Problem taucht auf, erstmal will Scholz intern eine Position finden, dann wird diese kommuniziert. Und er macht auch dezent an die Adresse von Annalena Baerbock deutlich, dass er die Leitlinien der Außenpolitik vorgibt, dafür sprechen auch hochkarätige Nominierungen für Schlüsselpositionen.
Kukies wird neuer Chef-Berater
Die Scholz-Truppe im Kanzleramt eint, dass sie von ihm verinnerlicht haben, wann sie zu schweigen haben. Als Nachfolger von Merkels wirtschaftspolitischem Berater Lars-Hendrik Röller soll Jörg Kukies die internationalen Verbindungen stärken und die G20-Gipfel als Sherpa vorbereiten, zudem wird er auch der europapolitische Berater.
Der frühere Deutschland-Chef von Goldman Sachs war bisher Staatssekretär im Finanzministerium – er war früher mit Nahles bei den Jusos in Rheinland-Pfalz aktiv, unter anderem über das damalige SPD-Mitglied und den heutigen FDP-Schatzmeister Harald Christ wurde Scholz auf Kukies aufmerksam. Und jeder, der sich bewährt, hat sein Vertrauen.
Die bisherige Parlamentarische Finanz-Staatssekretärin Sarah Ryglewski aus Bremen wechselt ebenfalls mit und soll sich als Staatsministerin um die schwierigen Bund-Länder-Beziehungen kümmern.
Ein erfahrener Kopf aus dem Auswärtigem Amt
Als außenpolitischer Berater im Kanzleramt kommt der ebenfalls aus Norddeutschland stammende Jens Plötner. Er war zuletzt Politischer Direktor des Auswärtigen Amtes, gilt als überaus klug und gut vernetzt. Er hat auch schon mehrere Botschafterposten ausgeübt, unter anderem in Griechenland. Er hat fast alle Härtefälle der internationalen Politik bearbeitet, und er war meist dabei, wenn der Minister im In- oder Ausland wichtige Gespräche führte.
Als außenpolitischer Berater des Kanzlers führt er diese Aufgabe nun weiter – allerdings auf einer anderen Ebene, was Konflikte mit seinem alten Haus nicht ausschließt. Der Diplomat hat ähnlich wie sein neuer Chef eine blitzschnelle Auffassungsgabe, zudem ist er ein kommunikatives Talent mit eigenem politischen Kopf.
Die Mahnung des Personalchefs im Kanzleramt
Da sich fast alle schon lange kennen, sollen Anlaufprobleme und Reibungsverluste beim Machtwechsel minimiert werden. 600 Mitarbeiter arbeiten im Kanzleramt, der Etat beträgt 3,65 Milliarden Euro. Bevor Angela Merkel am Mittwoch, den 8. Dezember 2021 um 15.20 Uhr endgültig das Kanzleramt verließ und in ein neues Leben fuhr, hatte Daniel Krause, der Personalratsvorsitzende des Kanzleramts, ganz besondere Worte für sie gefunden: „In den letzten 16 Jahren haben sie nicht nur dieses Haus geprägt, sondern das ganze Land, Europa und die Welt. Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hätten uns durchaus mal ein paar ruhige Jahre gewünscht, vielleicht auch mal ein altmodisches Sommerloch.“
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Merkel sei aber stets nahbar gewesen „Sie hatten ein nettes Wort und einen Gruß, auch für die kleinen Lichter. Und Krause ergänzte, das ist auch eine Mahnung an Scholz: „Das kann ich aus eigener Erfahrung beurteilen. Sie haben alle auf Augenhöhe behandelt. Das ist nicht selbstverständlich.“ Merkel habe stets unaufgeregt, unprätentiös und nahbar im Haus agiert.
Nun kommt eine neue Truppe, doch Krause machte auch klar, dass Scholz jenseits aller Veränderungen und dem Wechsel von einer CDU-Kanzlerin zu einem SPD-Kanzler eine Spitzenmannschaft als Basis guten Regierens erwarte. „Niemand ist zufällig ins Kanzleramt gekommen. Es ist schon eine ausgewählt und besondere Mannschaft, die Sie erwartet, keiner Partei verpflichtet, sondern dem Land gut vernetzt und sachkundig, um ihnen die bestmögliche Information und Beratung zu liefern.“
Und Scholz betonte mit Blick auf sein Team, dessen Philosophie und die Herkunft der meisten: "Ich will gerne an die ‑ wie soll man das sagen ‑ nordostdeutsche Mentalität anknüpfen, die bisher geherrscht hat. So viel wird sich da nicht ändern."
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