Merkel versus Trump in der Corona-Pandemie: Warum in den USA die Merkel-Mania floriert
In der Coronakrise lebt die Rivalität zwischen Merkel und Trump erneut auf. Nicht wenige sehen die Kanzlerin in einer globalen Führungsposition. Eine Analyse.
Wenn amerikanische Medien ihre Brillen mit den rosaroten Gläsern aufsetzen, sehen sie in Angela Merkel eine gelernte Physikerin, die auf den Rat von Wissenschaftlern hört. Seit 15 Jahren amtiert sie als Bundeskanzlerin, ist krisenfest und erfahren. Auf die Corona-Pandemie-Gefahr hat sie früh und entschlossen reagiert. Die Zahl der Neuinfektionen sowie die der an Covid-19-Verstorbenen ist in Deutschland stark rückläufig.
Hinzu kommt: Angela Merkel ist ruhig, maßvoll, kompromissbereit. Auch die globale Dimension der Krise hat ihre Regierung erkannt.
Mehr als 200 an Covid-19-Erkrankte aus Europa – insbesondere aus Frankreich, den Niederlanden und Italien - wurden nach Deutschland gebracht und werden dort intensivmedizinisch behandelt. Mit mehr als einer Milliarde Euro werden Entwicklungsländer in ihrem Kampf gegen das Coronavirus unterstützt.
Die Brille mit den dunkel getönten Gläsern zeichnet ein anderes Bild. Da ist der Ex-Immobilien-Unternehmer und großmäulige Twitter-König, der sich US-Präsident nennt, keine Ahnung von Wissenschaft und Pandemie-Bekämpfungsstrategien hat, der erst von sich behauptet, mehr Autorität als die Gouverneure der Bundesstaaten zu haben, dann aber allein diese in die Verantwortung nimmt.
Eine alte Rivalität lebt auf
Hinzu kommt: Die Widersprüchlichkeit seiner Aussagen scheint Donald Trump nicht im Geringsten zu stören. Mal ist das Virus nicht schlimmer als eine Grippe, ein anderes Mal rechnet er mit 100.000 Toten.
Mal empfiehlt er dringend, sich an die Regeln der sozialen Distanz zu halten, ein anderes Mal lobt er die schwer bewaffneten Gegner jeder Art von Shutdown. Den Vorwurf, viel zu spät das Seuchenkontrollzentrum CDC und das Nationale Gesundheitsinstitut NIH instruiert zu haben, weist Trump zurück.
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Merkel versus Trump: In der Coronakrise lebt die alte Rivalität erneut auf. Unvergessen sind Trumps massive Kritik im amerikanischen Wahlkampf an Merkels Flüchtlingspolitik, sein verweigerter Handschlag bei ihrer ersten Begegnung sowie der trockene Satz Merkels: „Die Weltlage muss sich neu sortieren nach der US-Wahl.“ Zwischen den beiden stimmt mehr als nur die Chemie nicht.
"Vergesst Washington und Peking"
Doch jetzt, angesichts der Coronavirus-Tragödie in den USA, floriert dort die Merkelmania. Das sind einige aktuelle Schlagzeilen aus amerikanischen Medien: „Vergesst Washington und Peking.
In diesen Tagen kommt die globale Führung aus Berlin“ ("Foreign Polic"). „Lokal, praktisch, unpolitisch – Über Deutschlands erfolgreiche Coronavirus-Strategie“ ("Wall Street Journal"). „In einer Krise stechen wahre Führungskräfte hervor“ ("New York Times").
Der TV-Sender CNN kommentiert die transatlantischen Föderalismus-Unterschiede: Während sich Trump an der US-Verfassung die Zähne ausbeiße, erhalte ein anderes dezentralisiertes Land in mehr als 6000 Kilometern Entfernung „eine gänzlich andere Lektion in Führungskraft“.
In Deutschland sei das Gesundheitssystem stabil, die Todesrate niedrig. In den USA dagegen gingen die Infektions- und Todeszahlen steil nach oben, das Gesundheitssystem stehe auf der Kippe.
Auch der sonst eher zurückhaltende Microsoft-Gründer Bill Gates kritisiert die Trump- und lobt die Merkel-Administration. In den Vereinigten Staaten habe das Testen von mutmaßlich Infizierten nicht die notwendige Priorität gehabt, es gebe keine klaren Anweisungen in Bezug auf Restriktionen des öffentlichen Lebens, die Zahlungen an die Weltgesundheitsorganisation WHO einzustellen, sei falsch, so Gates. Merkel dagegen versuche, „eine Führungsfigur und eine klare Stimme“ in Deutschland zu sein.
Eine "Darwinsche Situation" ist entstanden
Die „New York Times“ reiht Merkel in die Riege jener Politiker ein, die auf die Krise „entschlossen, mutig, mit Empathie, Respekt für die Wissenschaft und elementarem Anstand“ reagiert haben.
Merkel sei zwar eine der am wenigsten charismatischen und eloquenten europäischen Führungspersönlichkeiten, heißt es, aber keiner würde je ihre Anständigkeit bezweifeln. Wenn sich die Kanzlerin an ihre Nation wende, gebe es in ihren Reden nichts „Pompöses oder Bombastisches“.
In „Foreign Policy“ wird die deutsche Politik auch als Ergebnis eines globalen Führungsvakuums gewertet. Normalerweise würden in einer globalen Krise die Vereinigten Staaten die Führungsrolle übernehmen.
Doch diese Zeiten seien seit Trump vorbei. Entstanden sei eine „Darwinsche Situation“, in der die Staaten gegeneinander agierten und um medizinische Schutzausrüstungen, Medikamente und Zugänge zu Impfstoffen wetteiferten.
Der Artikel endet mit den Worten: „Die Welt sollte den Deutschen danken – und sie um mehr globale Führung bitten."