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Es sei darum gegangen, Julian Assange fertig zu machen, sagt UN-Sonderberichterstatter Melzer.
© Henry Nicholls/Reuters

Appell für Freilassung von Wikileaks-Gründer: Warum in den Fall Assange wieder Bewegung kommen könnte

Mehr als 130 Politiker, Künstler und Journalisten fordern die schnelle Freilassung von Julian Assange. Der Bericht eines UN-Experten hat sie wachgerüttelt.

Nils Melzer hat in seinem Berufsleben schon viel gesehen. Umso schwerer wog die Warnung, die der UN-Sonderberichterstatter für Folter vergangenen Mai abgab. Er hatte Julian Assange – den Gründer der Enthüllungsplattform Wikileaks – im Gefängnis in Großbritannien besucht, im Schlepptau zwei Ärzte. Melzer war beunruhigt. Assange zeige typische Anzeichen von „psychologischer Folter“, berichtete Melzer. Zudem sei ihm in den 20 Jahren seiner Tätigkeit noch nie Vergleichbares begegnet: dass sich nämlich eine Gruppe demokratischer Staaten zusammentue, um einen Menschen absichtlich „zu isolieren, zu dämonisieren und zu missbrauchen“ – unter geringer Berücksichtigung der Menschenwürde und der Rechtsstaatlichkeit.

Doch trotz Melzers eindringlichen Worten blieb das öffentliche Interesse an dem Fall gering. Bei einer Anhörung im November im Bundestag berichtete Melzer, dass er zwar zum Fall Assange ins Auswärtige Amt eingeladen worden sei, man ihm aber sagte, man habe seine Berichte nach wie vor nicht gelesen und habe auch keine Zeit dazu.

„Ein gefährlicher Präzedenzfall“

Nun könnte wieder Bewegung in den Fall kommen. Mehr als 130 Politiker, Künstler und Journalisten fordern die sofortige Freilassung von Assange. In einem gemeinsamen Appell, der am Donnerstag in Berlin vorgestellt wurde, rufen sie Großbritannien dazu auf, den 48-Jährigen aus medizinischen und menschenrechtlichen Gründen aus der Haft zu entlassen. Assange werde „unter unnötig belastenden Bedingungen isoliert und überwacht“, die ihn in „Lebensgefahr bringen könnten“. Zu den Unterzeichnern der Erklärung gehören unter anderen zehn ehemalige Bundesminister wie der frühere Außenminister Sigmar Gabriel, der Enthüllungsjournalist Günter Wallraff und die Schriftstellerin Elfriede Jelinek.

Assange sitzt seit April 2019 im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh im Osten Londons. Die USA haben seine Auslieferung beantragt. Sie werfen ihm vor, der amerikanischen Whistleblowerin Chelsea Manning – damals noch Bradley Manning – geholfen zu haben, geheimes Material von US-Militäreinsätzen im Irak und in Afghanistan zu veröffentlichen. Assange drohen 175 Jahre Gefängnis. Sollte er ausgeliefert und verurteilt werden, weil er Kriegsverbrechen öffentlich machte, wäre dies „ein gefährlicher Präzedenzfall“, erklärte Melzer dem Tagesspiegel.

Vergewaltigungsvorwürfe wurden fallengelassen

Der Beginn des Auslieferungsverfahrens ist für Ende Februar vorgesehen. Assange war im April 2019 in London verhaftet worden und sitzt eine fast einjährige Gefängnisstrafe wegen Verstoßes gegen Kautionsauflagen ab. Zuvor hatte er sich sieben Jahre lang in der ecuadorianischen Botschaft in London verschanzt, um einer Auslieferung nach Schweden wegen Vergewaltigungsvorwürfen aus dem Jahr 2010 zu entgehen. Die schwedische Justiz hat die Vergewaltigungsvorwürfe gegen Assange zwar im November 2019 fallengelassen. Sie hängen ihm aber weiter nach.

Ein Interview, das der UN-Sonderberichterstatter Melzer dem Schweizer Onlinemagazin „Republik“ gab, könnte dazu beitragen, dass sich die öffentliche Meinung im Fall Assange wandelt. Darin spricht Melzer von konstruierten Vergewaltigungsvorwürfen in Schweden, manipulierten Beweisen und befangenen Richtern. Melzer wirft den USA, Großbritannien, Ecuador und Schweden vor, sie hätten sich zusammengetan, um aus Assange ein „Monster“ zu machen. Dem Tagesspiegel sagte Melzer: „Es ging darum, ihn sichtbar fertigzumachen. Zu zeigen: Wenn jemand solche Geheimnisse veröffentlicht, gibt es für ihn kein Entkommen.“

Julian Assange gründete die Enthüllungsplattform Wikileaks 2006 mit einigen Mitstreitern. In den ersten Jahren publizierte Wikileaks geheime Dokumente etwa zur isländischen Bankenkrise, zu toxischen Abfällen in der Elfenbeinküste und einen Bericht von Feldjägern der Bundeswehr zur umstrittenen Bombardierung zweier Tanklaster in Afghanistan. „Mich und Julian eint die Überzeugung, dass wir eine andere Kultur der Transparenz brauchen“, erzählt Wikileaks-Mitgründer Daniel Domscheit-Berg dem Tagesspiegel. Er beschreibt Assange als hochintelligent. Als einen, der eine einzigartige Kompetenz habe, Sachverhalte zu verstehen und Dinge zu analysieren.

Eines der größten Leaks der US-Militärgeschichte

Doch schon 2010 gab es Konflikte unter den Gründern von Wikileaks. „Für Julian ist die Plattform eine Möglichkeit, Politik zu machen, Einfluss zu nehmen“, sagt Domscheit-Berg. Er selbst habe es als kritisch gesehen, dass eine Plattform so viel Macht habe, und sei auch der Meinung gewesen, dass es nicht reiche, die Informationen online zu stellen. Man müsse sie auch einordnen. Assange habe bald hinter jeder Kritik Hochverrat gewittert, sei paranoid gewesen.

2010 veröffentlichte Wikileaks in Zusammenarbeit mit mehreren Medien das sogenannte „Afghan War Diary“ – eines der größten Leaks in der Geschichte des US-Militärs. Doch wegen der Meinungsverschiedenheiten trennten sich danach die Wege von Assange und Domscheit-Berg. In den Jahren, die Assange im Exil in der ecuadorianischen Botschaft verbrachte, veröffentlichte Wikileaks unter anderem interne Dokumente der Demokraten – und unterstützte damit den Kandidaten Donald Trump.

„Bankrotterklärung westlicher Rechtsstaatlichkeit“

Ex-Außenminister Gabriel betonte am Donnerstag, der Rechtsstaat dürfe sich nicht beeinflussen lassen, auch wenn er mit „einer Person nicht übereinstimmt“. Im Fall Assange spielten aber politische Gründe „eine Rolle“, sodass die Rechtsstaatlichkeit hinten angestellt wurde. Investigativjournalist Wallraff sagte, er wolle mit dem Appell zur Freilassung Assanges die „Bankrotterklärung westlicher Rechtsstaatlichkeit“ verhindern.

UN-Experte Melzer hält den Fall Assange für enorm bedeutsam. Für ihn ist der Umgang mit dem Wikileaks-Gründer richtungsweisend: „Wir sind drauf und dran, die Pressefreiheit zu verlieren, das Recht auf Wahrheit und die demokratische Grundlage unseres Staatswesens.“ Gewaltenteilung funktioniere nur mit einer unabhängigen Presse und genügend Transparenz, um die Machtausübung der Regierung kontrollieren zu können.

Wikileaks-Mitgründer Domscheit-Berg meint: „Die Frage ist: Wie gehen wir als Öffentlichkeit damit um, was da gerade vor unseren Augen mit Julian Assange passiert? Wie gehen Journalisten damit um, dass einer von ihnen so unter Druck gesetzt wird?“

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