Chinesische Sanktionen gegen deutsche Wissenschaftler: Warum ich nicht mehr nach China reise
China setzt deutsche Wissenschaftler unter Druck, das Kanzleramt schweigt. Thorsten Benner erklärt hier, warum er Reisen nach China meidet. Ein Gastbeitrag.
Thorsten Benner ist Direktor des Global Public Policy Institute (GPPi) in Berlin.
Am 10. Dezember 2018 habe ich Peking besucht. Dies wird meine letzte Reise nach China bleiben. Die Gründe dafür verdeutlichen, dass Pekings Repression nicht nur die eigene Bevölkerung, sondern längst auch ausländische Forscherinnen erreicht hat.
In Peking habe ich damals an einer Konferenz von politischen Entscheidungsträgern und Forschern aus China, Europa und einigen anderen Ländern Asiens teilgenommen, organisiert von der Körber-Stiftung gemeinsam mit der Internationalen Abteilung des KP-Zentralkomitees. Wir hatten sehr produktive Diskussionen. Die Veranstaltung brachte ein breites Spektrum von Stimmen außerhalb Chinas (inklusive des Bundespräsidenten, Frank-Walter Steinmeier) und aus dem chinesischen System zusammen. Es gab keine Tabuthemen. Ich selbst sprach an diesem 10. Dezember auf einem Panel zum Thema Anti-Terrorismus über Xinjiang. Es folgte eine offene Diskussion mit den chinesischen Teilnehmerinnen, die weit über Standardphrasen hinausging.
Bis heute sitzt Michael Kovrig in einem chinesischen Gefängnis
Doch an diesem Tag passierte noch etwas anderes in Peking, etwas, von dem ich erst nach meiner Rückkehr erfuhr: die Geiselnahme von Michael Kovrig, ein kanadischer Ex-Diplomat und Forscher, der für den Think Tank „International Crisis Group“ arbeitet. Kovrig sitzt bis heute wegen fingierter Spionagevorwürfen in einer chinesischen Zelle, um Druck auf die kanadische Regierung aufzubauen. Ottawa hatte aufgrund eines US-Auslieferungsersuchens die Huawei-Finanzchefin Meng Wanzhou festgesetzt.
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Für mich war das ein Dammbruch. Mir wurde klar, dass ein ausländischer Pass Forscher nicht mehr davor schützt, jahrelang in ein chinesisches Gefängnis geworfen zu werden. Dass der chinesische Botschafter in Kanada jetzt zynisch versichert, die „überwiegende Mehrheit“ der China-Besucher hätte nichts zu befürchten, unterstreicht diese Gefahr nur. Ausländische Forscher können heute ins Fadenkreuz Pekings geraten, einfach wenn sie Dinge sagen, die der chinesischen Führung nicht passen, oder wenn sie (wie im Falle Kovrigs) als menschlicher Faustpfand nützlich sind.
Chinas Sicherheitsgesetze gelten auch für Handlungen außerhalb Chinas - eine neue Gefahrenstufe
Die Gefahr ist noch größer geworden, seit Peking extraterritoriale Geltung für seine nationalen Sicherheitsgesetze beansprucht. Ausländer können demnach für Handlungen „gegen die nationale Sicherheit“ belangt werden, selbst wenn diese im Ausland begangen wurden. Der Phantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt.
Ich habe deshalb entschieden, nicht mehr nach China reisen, solange dort Machthaber wie Xi das Recht beugen. Zu oft habe ich Dinge geschrieben oder Kontakte gehabt, die Peking leicht als Straftaten deklarieren könnte. Und so sehr ich die Besuche in China und die Gelegenheiten persönlichen Austauschs mit früheren Kooperationspartnern vermissen werde, fällt mir der Schritt vergleichsweise leicht. Ich bin Generalist. Für meine Arbeit ist Zugang nach China nützlich, aber nicht entscheidend.
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Sicherlich ist Angst kein guter Leitstern im Umgang mit autoritären Regimen. Gerade für manche Chinaforscherinnen, die aufgrund ihrer Sprachkenntnisse und Zugänge viel aus Forschungsreisen zu ziehen, gibt es gute Gründe, die Risikoabwägung anders zu treffen. Aber auch für diejenigen, die weiter nach China reisen wollen, brechen dunkle Zeiten an. Schon seit langem nutzt Peking Visa als Waffe. Wer allzu kritisch über den Parteistaat schrieb, ging das Risiko ein, beim nächsten Mal kein oder nur verspätet ein Visum zu erhalten. Diese Nadelstiche sollten die Selbstzensur befördern. Nur wenige Forscher erhielten ein komplettes Einreiseverbot – und auch dieses wurde nie öffentlich ausgesprochen.
China statuiert ein Exempel an Europas größtem China-Forschungsinstitut
Aus den Nadelstichen ist jetzt die Bazooka geworden. Am 22. April verhängte Peking Sanktionen, unter anderem gegen das komplette Berliner Mercator Institute for China Studies (Merics) sowie einige andere prominente europäische Chinaforscher wie Adrian Zenz und Björn Jerdén. Die Sanktionen bedeuten Einreiseverbote sowie das Verbot, „Geschäfte mit China zu machen“. Das Propagandaorgan Global Times frohlockt: „Das Kappen der Verbindungen nach China bedeutet, dass die Forschungskanäle von Merics kaum aufrechtzuerhalten sind und dessen Einfluss entschieden geschwächt wird“.
Man statuiert ein Exempel an Europas größtem China-Forschungsinstitut. Das ist eine massive Attacke auf die Wissenschaftsfreiheit. Peking möchte der unabhängigen Chinaforschung den Garaus machen. Die Botschaft an den Rest der Chinaforscher ist klar: „Allein wir bestimmen, wer ein akzeptabler Gesprächspartner ist. Haltet Euch von den sanktionierten Forschern und Instituten fern. Und wer von euch nicht positiv über den Parteistaat schreibt, den kann bald dasselbe Schicksal treffen.“
Das Schweigen des Kanzleramtes ist beschämend
Es liegt an uns allen sicherzustellen, dass Pekings Kalkül nicht aufgeht. Die Solidaritätserklärungen von mehr als 1300 Forschenden sowie mehr als 30 europäischen Think Tank-Direktorinnen sind ein erster guter Schritt. Auch viele Bundestagsabgeordnete sowie hochrangige Vertreter des Auswärtigen Amtes stellten sich öffentlich hinter Merics. Das Schweigen der Kanzlerin und des Kanzleramtes zu den Sanktionen wirkt so umso beschämender.
Aus wohlverstandenem Eigeninteresse müssen die sanktionierten Institute und Forscher, die unverzichtbare Ressource für uns alle sind, in der China-Arbeit weiter eine prominente Rolle spielen. Sie müssen bei parlamentarischen Anhörungen, Expertentreffen mit Politikerinnen und Unternehmensvertretern oder Veranstaltungen von Stiftungen zum Thema China regelmäßig eingebunden werden, auch und gerade wenn chinesische Vertreterinnen beteiligt sind. Gerade Universitäten, die in den Natur- und Technikwissenschaften enge Forschungsbeziehungen nach China unterhalten, sollten sich eindeutig für die Forschungsfreiheit positionieren.
[Wie schmerzhaft es ist, seine Muttersprache zu verlernen, können Abonnenten von T+ hier lesen: Wie ich mein Chinesisch verlor]
Dass der Präsident der Universität Trier die Sanktionen eindeutig verurteilte und als Antwort die Arbeit des an der Universität angesiedelten und von einem Trierer Professor geleitete Konfuzius-Instituts auf Eis legte, sollte Schule machen. Klar ist: Gelder aus China annehmen (egal vom Staat oder von Firmen) sollte für Universitäten und Think Tanks Tabu sein, um die Unabhängigkeit zu wahren. Auch die Freie Universität Berlin sollte sich endlich von chinesischem Staatsgeld lossagen. Und in China stark tätige deutsche Unternehmen sollten in einen Fonds zur Stärkung unabhängiger Arbeit zu China investieren, um ein klares Zeichen gegen die Sanktionen zu setzen.
Die Chinaforschung muss neue Methoden entwickeln
Chinaforschung muss immer stärker lernen, durch innovative Methoden auch unter immer repressiveren Bedingungen und mit sehr eingeschränktem physischem Zugang die Diversität innerhalb der chinesischen Gesellschaft und dem Parteistaat abzubilden. Gleichzeitig müssen wir hierzulande massiv in Chinakompetenz investieren. Es wäre tragisch, wenn Xis Repressionen weiter zu einem sinkenden Interesse am Lernen der chinesischen Sprache führt. Wer nicht nach Festlandchina darf oder möchte, findet in Taiwan einen offenen und sicheren Hafen für den Aufbau von Sprachkompetenz.
Wir müssen den Austausch zu China mit gleichgesinnten Demokratien gerade in Asien stärken. Wie wir in der GPPi-Studie „Risky Business“ dargelegt haben, können Forschungskooperationen sowie Austausch- und Dialogprogramme gerade in konfliktreichen Zeiten wichtige Brücken sein. Aber diese Brücken sind nur tragfähig, wenn wir mit Risiken besser umgehen und mit Verve für die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit einstehen. Machen wir uns an die Arbeit.
Thorsten Benner