Pandemie-Bekämpfung: Warum Gerichte das Beherbergungsverbot kippen
Die Regelung soll die Gesundheit schützen, ist aber nicht zielgenau. Die Entscheidungen geben auch der Debatte um das Infektionsschutzgesetz Auftrieb. Eine Analyse.
Nun kann sie fahren, die Familie mit drei Kindern aus Recklinghausen in Nordrhein-Westfalen. Ab diesem Freitag haben sie sich für eine Woche im Kreis Ravensburg eine Ferienwohnung gebucht. Doch das baden-württembergische Beherbergungsverbot kam ihnen zunächst dazwischen. Dies hat der zuständige Verwaltungsgerichtshof in Mannheim am Donnerstag auf ihren Eilantrag hin aber ausgesetzt. Das Verbot greife in unverhältnismäßiger Weise in das Grundrecht der Freizügigkeit im Bundesgebiet ein, wie es Artikel elf Grundgesetz vorsieht. Auch Niedersachsens Oberverwaltungsgericht kippte das Verbot. Geklagt hatte dort der Betreiber eines Ferienparks.
Ähnliche Regelungen gibt es noch in weiteren Bundesländern. Sachsen setzt seine nun ebenfalls aus, in Bayern will man vorerst dabei bleiben. Im Prinzip handelt es sich um eine Art Corona-Testpflicht. Legen Urlaubsgäste aus Risikogebieten einen negativen Test vor, der nicht älter als 48 Stunden ist, dürfen sie einchecken. In anderen Fällen greift das Verbot. Im Kreis Recklinghausen hatten die Neuinfektionen den Schwellenwert von 50 pro 100000 Einwohnern innerhalb einer Woche am 10. Oktober überschritten.
„Voraussichtlich verfassungswidrig“
Das vielfach umstrittene Verbot ist „voraussichtlich verfassungswidrig“, erklärte das Mannheimer Gericht. Eingriffszweck und Eingriffsintensität stünden nicht in einem angemessenen Verhältnis zueinander. Zwar solle die Regelung dem Zweck dienen, die Pandemie einzudämmen. Jedoch hätten die zuständigen Behörden „bereits nicht dargelegt, dass im Zusammenhang mit der Beherbergung ein besonders hohes Infektionsrisiko bestehe, dem mit so drastischen Maßnahmen begegnet werden müsste“. Ein „Ausbruchsgeschehen“ sei trotz insgesamt steigender Fallzahlen in Beherbergungsbetrieben nicht bekannt. Treiber der Pandemie seien Gruppenfeiern oder der Aufenthalt in räumlicher Enge wie in Pflegeheimen oder Flüchtlingsunterkünften.
In Niedersachsen ging es um die Berufsfreiheit
In Niedersachsen wurde ein anderes Grundrecht in Anschlag gebracht, Artikel zwölf, die Berufsfreiheit. Das Gericht kritisierte bereits, das Verbot sei im Kern keine Schutzmaßnahme gegen Corona, weil es sich auf touristische Betriebe konzentriere, während Tagestouren oder Berufspendler unberücksichtigt blieben. Damit stelle es einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Rechte des Ferienparkbetreibers dar. Hinzu komme, dass schon die Formulierung zu unbestimmt sei, da Menschen allgemein „aus“ Corona-Risikogebieten erfasst würden. Damit sei ungewiss, ob man dort seinen Wohnsitz haben müsse oder ein sonstiger Aufenthalt ebenfalls bereits genüge.
Reicht eine allgemeine Befugnis?
Die Regelungen in den Bundesländern stammen überwiegend aus dem Sommer, blieben damals aber eher unbeachtet, weil die Fallzahlen niedrig lagen. Mit Herbstbeginn hat sich die Lage vielerorts verschärft. Die Gerichtsbeschlüsse dürften auch der Diskussion Auftrieb geben, ob mögliche Maßnahmen gegen die Ausbreitung im Einzelnen im Infektionsschutzgesetz geregelt werden müssen. Bisher enthält es nur eine allgemeine Befugnis zum Erlass von Verordnungen.
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