Kälte, Angst und Schleppernetz: Warum gerade in Serbien Flüchtlinge stranden
Tausende Flüchtlinge leben in Serbien unter katastrophalen Bedingungen. Viele campieren in heruntergekommenen Lagerhäusern - auch Kinder sind unter ihnen.
Der Winter macht es besonders schlimm. Doch schon vor der aktuellen Kältewelle war die Situation für Flüchtlinge in Serbien katastrophal. Bis zu 2000 Menschen, Männer meist, leben in dem Balkanland praktisch auf der Straße. Die Mehrzahl campiert in heruntergekommenen Lagerhäusern hinter dem zentralen Busbahnhof in der serbischen Hauptstadt Belgrad - derzeit bei deutlichen Minusgraden ohne Heizung, ohne Kochgelegenheiten und ohne sanitäre Einrichtungen. Vereinzelt sind auch Kinder unter den Flüchtlingen.
Helfer privater Organisationen verteilen Decken und warmes Essen, doch die Versorgung ist völlig unzureichend. Regierungsvertreter kommen regelmäßig vorbei, um die Männer zu zählen, viel mehr tun sie aber nicht. „Die Regierung hat hier teilweise versagt“, sagt Petar Bogovic von der privaten Hilfsorganisation „Refugee Aid Serbia“. Er wünscht sich auch mehr Engagement aus anderen europäischen Ländern für die Flüchtlinge in seinem Land. „Sie sollten uns helfen und auch Druck auf die serbische Regierung ausüben, mehr zu tun“, so Bogovic am Freitag im Gespräch mit dem Tagesspiegel.
Die flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen, Luise Amtsberg, forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Freitag auf, auf die serbische Regierung einzuwirken, damit diese mehr zum Schutz von Flüchtlingen in ihrem Land unternimmt. „Die aktuelle Politik des Wegschauens darf sich nicht verfestigen“, sagte Amtsberg dem Tagesspiegel. Die EU habe Ländern wie Serbien Mittel für die Flüchtlingshilfe zur Verfügung gestellt, doch diese würden von Serbien nicht abgerufen. „Offenbar will man die Lage gar nicht verbessern, um weitere Flüchtlinge abzuschrecken.“
Für eine neuerliche humanitäre Geste Deutschlands, ähnlich wie 2015, als viele Flüchtlinge im Budapest am Bahnhof festhingen, sieht Amtsberg indes in Deutschland keine Bereitschaft. „Schließlich hat die Bundesregierung gerade erst beschlossen, künftig wieder Flüchtlinge nach Griechenland zurückzuschicken, obwohl auf den griechischen Inseln völlig unhaltbare Bedingungen herrschen“. Auch dort hat es in den vergangenen Tagen geschneit.
Vor allem Afghanen
In Serbien leben derzeit rund 7600 Flüchtlinge, doch nur rund 6000 Notunterkunftsplätze stehen zur Verfügung. Sie bleiben in erster Linie Frauen und Kindern vorbehalten. Petar Bogovic widerspricht der Aussage der serbischen Regierung, wonach die Männer aus den Lagerhäusern sich weigerten, in feste Unterkünfte umziehen, weil sie fürchten, dort festgesetzt oder sogar von dort aus ausgewiesen zu werden. „Manche haben diese Ängste, doch angesichts der Kälte wären viele froh, ein Dach über dem Kopf zu haben“, sagt er. Es gebe aber eben nicht genug Unterkünfte.
Es sind vor allem Afghanen, die in Serbien gestrandet sind. Das ist kein Zufall. Hinter Syrern stellen Afghanen noch immer die zweitgrößte Flüchtlingsgruppe. Doch während es für Syrer noch immer legale Wege in die EU gibt – so lässt Ungarn täglich bis zu zehn Bürgerkriegsflüchtlinge einreisen – können Afghanen praktisch nur mit Hilfe von Schleppern weiterkommen. Und Serbien hat sich nach Erkenntnissen von Europol zum zentralen Umschlagplatz für den Menschenhandel auf der eigentlich geschlossenen Balkanroute etabliert. Seit den offiziellen Grenzschließungen im vergangenen Frühjahr organisieren kriminelle Banden von hier aus wieder verstärkt Schleusungen per Lkw nach Österreich und Deutschland. „Indirekt betreiben die Schlepper ihr schmutziges Geschäft für die Regierung, denn sie schaffen viele Flüchtlinge außer Landes“, kommentiert Bogovic.
Ihnen fehlt Geld
Europol hat auch das benachbarte Kosovo im Blick. Dort gingen Beamte der europäischen Polizeibehörde und lokale Kräfte im vergangenen Herbst gemeinsam gegen Schlepper vor. Dabei fanden sie heraus, dass der weitgehend von der EU alimentierte Kleinststaat zur bevorzugten Anlaufstelle für minderjährige Flüchtlinge geworden ist.
Vielen Flüchtlingen fehlt jedoch das Geld, um eine Weiterreise bezahlen zu können. Andere sind von ihren Schleppern im Stich gelassen worden. In Belgrad sitze viele seit Monaten fest. Doch auch in anderen Ländern der Region spitzt sich die Lage zu. Nach Erkenntnissen der internationalen Organisation für Migration (IOM) sind in einem Wald in Bulgarien in den vergangenen Tagen zwei irakische Flüchtlinge erfroren.