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Ein Kind in einer Erstaufnahmeeinrichtung.
© dpa

Flüchtlinge: Warum es immer wieder zu Übergriffen gegen Kinder kommt

Sie suchen Schutz, doch immer wieder werden Kinder in Flüchtlingsheimen angegriffen, bedrängt und belästigt. Was wird dagegen unternommen?

Die Kleinsten benötigen den größten Schutz. Denn auch wenn es noch keine offiziellen Statistiken gibt, liegen genug Hinweise dazu vor, dass es in Flüchtlingsunterkünften immer wieder zu Übergriffen auf Kinder und Jugendliche kommt.

Wieso ist die Situation für Kinder in Flüchtlingsunterkünften besonders prekär?

In vielen Flüchtlingsunterkünften leben Frauen, Männer und Kinder auf engstem Raum zusammen. Es gibt kaum Privatsphäre und Rückzugsorte. Das kann zu vermehrten Spannungen führen, die sich auch in Gewalt entladen. „Für Kinder ist die Situation in den Unterkünften besonders belastend. Es gibt oft noch nicht einmal einen Ort für sie, an dem sie ungestört spielen können“, sagt die kinderpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Franziska Brantner. Unter den engen räumlichen Bedingungen können Frauen und Kinder leicht Opfer von Belästigungen und sexuellen Übergriffen werden – sei es durch Wachleute, ehrenamtliche oder hauptamtliche Kräfte, sowie durch Angehörige und andere Flüchtlinge.

Wie groß ist das Ausmaß der Gewalt?

Offizielle Statistiken gibt es dazu nicht. Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes Rörig, spricht aber von einem hohen Dunkelfeld. Er geht davon aus, dass es bundesweit in fast jedem Heim Übergriffe auf Frauen, Kinder oder Jugendliche gibt. Darauf deuten auch die Rückmeldungen hin, die er aus den Beratungsstellen erhält. Das Problem ist: Viele Frauen und auch Kinder verschweigen die Vorfälle – aus Angst und Scham, aber auch, weil sie ihre Rechtslage nicht kennen und nicht wissen, an wen sie sich wenden sollen. Auch wenn keine offiziellen Zahlen vorliegen, gibt es immer wieder Hinweise auf Gewalt: In Brandenburg wurden Ende 2014 Flüchtlinge und Sozialarbeiter in den 40 Gemeinschaftsunterkünften des Landes zur Häufigkeit von gewalttätigen Auseinandersetzungen und deren Ursachen befragt.

Die Situation war damals zwar noch anders als nach dem Flüchtlingszuzug des Jahres 2015, doch vieles dürfte auch heute noch gelten: In allen Unterkünften gab es ernst zu nehmende Anzeichen für Fälle von häuslicher Gewalt von Männern gegenüber ihren Frauen und Kindern. Dies sei gehäuft dann aufgetreten, wenn es belastende persönliche Umstände gegeben habe, etwa durch traumatisierende Erlebnisse in den Herkunftsregionen oder auf der Flucht, heißt es in der Untersuchung. Grundsätzlich steige die Wahrscheinlichkeit der Eskalation von Konflikten mit zunehmender Belegungsdichte und der Notwendigkeit, Küchen und Sanitäranlagen zu teilen, schrieben die Autoren weiter. Sie steige außerdem mit wachsender Vielfalt der Herkunftsregionen, sowie bei einem wenig strukturierten Alltag und fehlenden oder geringen Sport- oder anderen Freizeitmöglichkeiten.

Welche Regelungen gibt es zum Kinderschutz in den Unterkünften?

Für Flüchtlingsunterkünfte gelten in Deutschland nicht die gleichen gesetzlichen Regeln wie für Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe. Im achten Sozialgesetzbuch ist definiert, welche Anforderungen Einrichtungen erfüllen müssen, in denen Kinder tagsüber betreut werden oder wohnen – von der Kita bis zum Kinderheim. Doch für Flüchtlingsunterkünfte gelten diese Anforderungen nicht, sie werden im Asylgesetz in Paragraf 44 Absatz 3 ausgehebelt. „Flüchtlingskinder sind den hier geborenen Kindern nicht gleichgestellt“, sagt die Grünen-Politikerin Brantner. „Der Kinderschutz sollte für alle Kinder in unserem Land gelten.“ Doch bisher konnte die Bundesregierung sich nicht zu einer Regelung durchringen, die den Schutz vor Gewalt in den Flüchtlingsunterkünften gewährleistet.

Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) würde die Länder gerne verpflichten, durch geeignete Schutzmaßnahmen das Kindeswohl sicherzustellen. Die Unterkünfte sollten nach dem Willen der Ministerin außerdem Schutzkonzepte für Frauen und Kinder vorlegen müssen. Bisher scheitert das aber am Widerstand des Innenministeriums. Dabei verlangt auch die EU-Aufnahmerichtlinie aus dem Jahr 2013, dass auf schutzbedürftige Personen bei der Unterbringung besonders Rücksicht genommen werden soll. Dazu gehört psychologische Betreuung ebenso wie die Gelegenheit zu Freizeitbeschäftigungen und altersgerechten Erholungsmöglichkeiten. „Diese Richtlinie muss endlich auch in deutsches Recht umgesetzt werden“, sagt Brantner.

Sind Mindeststandards notwendig?

Ja, sagt der Missbrauchsbeauftragte der Regierung: „Die große Koalition sollte sich endlich dazu durchringen, die Betreiber von Flüchtlingsunterkünften gesetzlich zu verpflichten, Mindeststandards zum Schutz vor sexueller Gewalt in den Unterkünften umzusetzen“, sagt er. „Es darf nicht dem Zufall oder dem Engagement Einzelner überlassen bleiben, ob Kinder in Flüchtlingsunterkünften vor sexueller Gewalt geschützt sind.“ Bereits im Sommer 2015 hat Rörig eine Checkliste mit Mindeststandards vorgelegt, die allerdings oft noch nicht eingehalten werden. Konkret fordert er unter anderem, dass es abschließbare Toiletten und getrennte Duschen für Frauen und Männer geben soll. Alleinstehende Mütter sollten mit ihren Kindern separat untergebracht werden. Und für Kinder und Jugendliche solle es einen betreuten Spiel- und Freizeitbereich geben.

Rörig hält es außerdem für notwendig, dass es Ansprechpersonen und einen Notfallplan gibt, was bei Verdacht auf sexuelle Übergriffe zu tun ist. Um die Situation zu verbessern, hat das Familienministerium ein Förderprogramm im Umfang von 200 Millionen Euro aufgelegt. Die Kommunen können seit Ende März bei der staatlichen Förderbank KfW zinslose Darlehen beantragen, etwa wenn sie getrennte Sanitäranlagen für Frauen und Männer einrichten. Sie erhalten auch Förderkredite, wenn sie Unterkünfte nur für Frauen und Kinder schaffen. Seit dem Programmstart habe es bereits eine Vielzahl von Nachfragen gegeben, berichtet die KfW. Bis Ende April lagen drei konkrete Anträge vor. Schutzstandards dürften nicht von der Finanzausstattung der Kommunen abhängen, kritisiert die Grünen-Politikerin Brantner. Das Förderprogramm sei lediglich „ein Tropfen auf den heißen Stein“.

Welche Rolle spielt das Personal?

Menschen, die in Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften tätig sind, müssen mittlerweile ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen. Das wurde mit dem Asylpaket II beschlossen, das Mitte März in Kraft getreten ist. Das könne aber nur ein Baustein im Kinderschutz sein, sagt der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung. Die Regelung schütze nur vor bereits einschlägig verurteilten Tätern. Klar ist: Wenn es darum geht, Übergriffe zu erkennen, kommt den Sozialarbeitern und Betreuern eine Schlüsselrolle zu. „Die Mitarbeiter in den Unterkünften müssen stärker sensibilisiert werden, Anzeichen von sexualisierter Gewalt zu erkennen. Dafür braucht es mehr Fortbildungen“, fordert die Grünen-Politikerin Brantner.

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