Alexander Gauland und die "globalisierte Klasse": Warum er in der Welt nicht alleine steht
Nicht nur AfD-Chef Alexander Gauland kämpft gegen „das Establishment“. Woher kommt diese Kritik? Fragen und Antworten zum Thema.
Alexander Gauland, der Fraktionschef der AfD im Bundestag, hat in der „Frankfurter Allgemeinen“ einen Beitrag geschrieben mit dem Titel: „Warum muss es Populismus sein?“ Seine Antwort auf die selbst gestellte Frage lautet: Eine „globalisierte Klasse“, die in einer „abgehobenen Parallelgesellschaft“ lebt und von der „Weltrepublik“ träumt, gefährdet den Lebensstil des Rests – „die bürgerliche Mittelschicht“ und „sogenannte einfache Menschen“. Eine abgehobene Elite samt willigem Fußvolk steht demnach gegen „diejenigen, für die Heimat noch immer ein Wert an sich ist und die als Erste ihre Heimat verlieren, weil es ihr Milieu ist, in das Einwanderer strömen“. Dagegen half laut Gauland nur die „Fundamentalopposition“, und die „musste notwendig populistisch sein“. Sein Kernsatz: „Populistisch heißt: gegen das Establishment.“ Gaulands Argumente sind auch andernorts zu finden – und sie haben historische Wurzeln.
Welchen historischen Hintergrund hat die Elitenkritik?
Dass Eliten ein prinzipielles Legitimationsproblem haben, sei erst ein Phänomen der Moderne, sagt Thomas Mergel, Professor für Europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts an der Humboldt-Universität. Er sieht eine Ursache in der Beschleunigung des sozialen Wandels: So sei die Legitimität der Eliten während der Industrialisierung im 19. Jahrhundert von marxistischer Seite angezweifelt worden, während die Umbrüche infolge des Ersten Weltkriegs mit Elitenkritik besonders von rechts einhergegangen seien. Die Kritik entzünde sich häufig daran, dass Eliten mit dem Wandel oftmals besser zurechtkommen und eher von ihm profitieren; daraus rühre die Vermutung, dass sie den Wandel aus Eigeninteresse selbst vorantreiben. Allerdings stünden sich bei der aktuellen Elitenkritik gar nicht Arm und Reich gegenüber. „Auch viele bessergestellte Leute wählen AfD“, sagt Mergel. Vielmehr würden kulturelle Unterschiede zugespitzt, insbesondere das Verhältnis zur Zukunft sei von Bedeutung: Wird sie als verheißungsvoll oder als bedrohlich empfunden?
Die von Alexander Gauland vorgetragene Beschreibung der globalen urbanen Eliten finde sich schon lange in der Metropolenforschung, etwa bei der US-Soziologin Saskia Sassen: Zwischen den globalen Metropolen ist demnach die Verbindung größer als zwischen einer Metropole und ihrem Umland: „Das ist eine soziologische These, die sich durchaus auch auf der Linken findet“, sagt Mergel.
Wie begründet der Milliardär Donald Trumps seine Elitenkritik?
Im Präsidentschaftswahlkampf 2016 hatte Donald Trump einen klaren Gegner: die Eliten. Dass er selbst superreich ist, störte nicht weiter. Das Geld, so behauptete er, habe er sich ja selbst hart erarbeitet. Und das könne jeder – ein Verweis auf den „American Dream“. Seine Eliten, die er bekämpfen will, sind kulturelle Eliten, Amerikaner, die auf feine, exklusive „Elite“-Universitäten wie Harvard oder Yale gehen und davon den Rest ihres Lebens profitieren. Die geschliffen und politisch korrekt sprechen, in hippen, liberalen Großstädten leben, sich in der Welt zu Hause fühlen und angeblich auf die weniger gebildeten, weniger mobilen Landbewohner herabschauen.
Trump traf damit den Nerv vieler Amerikaner, die sich abgehängt und in ihren Anliegen und Alltagssorgen von den „Privilegierten“ ignoriert fühlen – wenn lieber über eine humane Flüchtlingspolitik oder geschlechterneutrale Toiletten diskutiert wird statt über Arbeitsplätze. Da verfängt der Populismus à la Trump besonders gut, vor allem, da die Ungleichheit in den USA ja tatsächlich ein großes Thema ist. Trump sagt seinen Anhängern: Ihr seid die wahren Eliten, da ihr hart arbeitet und euer Land liebt. Viele Menschen hören das offenbar sehr gerne.
Wie verläuft die Elitendebatte in Großbritannien?
Gaulands Argumentation erinnert auch stark an eine Debatte, die in Großbritannien seit einigen Jahren geführt wird, vor allem nach dem Brexit-Referendum im Juni 2016. Es geht dabei um die Differenzierung der modernen Gesellschaft unter den Bedingungen des europäischen Binnenmarktes, der Globalisierung und der digitalisierten Wirtschaft. Diese Gesellschaft, analysiert der Autor David Goodhart in einem erfolgreichen und einflussreichen Buch, sei geprägt vom Gegensatz zweier großer Gruppen oder Milieus: der „Somewheres“ und der „Anywheres“.
Die „Somewheres“ sind laut Goodhart bei den anständigen Menschen in der geplagten Mitte und unter den „einfachen Menschen“ zu finden, wie Gauland sie nennt. Sie sind Bürger mit eher traditionellen Wertvorstellungen, heimatverbunden und auf Sicherheit orientiert, quer durch die politische Landschaft. Die „Anywheres“ sind Gaulands „globalistische Klasse“, von Goodhart als linke, weltoffene und urbane Liberale in einem weiteren Sinne beschrieben, die kulturell und gesellschaftlich dominierten. Die gängige Analyse lautet, dass die Stimmen der „Somewheres“ für das Brexit-Votum ausschlaggebend waren, weil unter ihnen die EU und die damit verbundene Offenheit für Zuwanderung breit abgelehnt werde. Premierministerin Theresa May hat sich diese Analyse zu eigen gemacht, als sie nach dem Brexit-Votum ihre Konservative Partei nicht nur als Vertretung des national gesinnten Mittelstands positionieren wollte, sondern auch als Partei aller „Somewheres“. Nicht ganz ohne Erfolg, weil sie bei der Wahl 2017 zumindest in einigen Labour-Regionen damit punkten konnte. Die AfD sieht sich offenkundig als Partei der deutschen „Somewheres“. Goodharts Ansicht, „der Populismus ist die neue Sozialdemokratie“, dürfte Gauland teilen.
Wie elitenkritisch ist Österreich?
Der FPÖ-Kandidat Norbert Hofer hat im österreichischen Präsidentschaftswahlkampf des Jahres 2016 ziemlich klar gemacht, was er über seinen Gegenkandidaten Alexander Van der Bellen denkt. „Der hat die Hautevolee, bei mir sind die Menschen“, sagte Hofer angesichts der Unterstützung zahlreicher Künstler für seinen Kontrahenten von den Grünen. Zwar unterlag Hofer Ende 2016 in dem Duell mit dem angeblichen Schickeria-Repräsentanten Van der Bellen. Ein Jahr später wurde die rechtspopulistische FPÖ aber dennoch zur Regierungspartei in Wien. Und inzwischen gehört das Eliten-Bashing in Österreich zum guten Ton. Der Anti-Eliten-Diskurs der FPÖ, die zur neuen Arbeiterpartei aufgestiegen ist und der sozialdemokratischen SPÖ wichtige Wählerhochburgen abgenommen hat, zielt dabei nicht zuletzt auf die EU.
So kritisierte der Wiener FPÖ-Innenminister Herbert Kickl bei einem Auftritt vor dem EU-Parlament, dass die Migrationskrise von 2015 in der Bevölkerung den Eindruck eines „Kontrollverlustes“ der politischen Eliten und EU-Institutionen ausgelöst habe. Gegen die EU und die Globalisierung hat sich die FPÖ auch mit ihrer Kritik an dem europäischen Freihandelsabkommen mit Kanada und dem gescheiterten Abkommen mit den USA gerichtet. Ironie der FPÖ-Elitenkritik: Zahlreiche ihrer Führungskader stammen aus dem elitären Milieu schlagender Studentenverbindungen.
(Korrektur: In einer früheren Version hieß es fälschlich, dass die Stimmen der "Anywheres" beim Brexit den Ausschlag gaben. Tatsächlich waren es die "Somewheres".)