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Für die Menschen in der Ostukraine gehört es bei all ihren Problemen zum Alltag, einen Grenzübergang zwischen der selbstproklamierten Republik Luhansk und der von der Kiewer Regierung kontrollierten Region zu nutzen.
© Alexander Reka/imago

Krise in der Ostukraine: Warum einer halben Million Menschen das Wahlrecht entzogen wurde

Viele Menschen in der Ostukraine fühlen sich von der Regierung in Kiew vernachlässigt – und wenden sich prorussischen Kräften zu.

Dmitri Holodov steht vor einem Haufen Schutt, der einmal sein Haus war. Ziegelsteine und Altmetall sind alles, was davon übrig geblieben ist. „Innerhalb von 15 Minuten brannte das ganze Haus ab“, sagt der 41-Jährige. Wochenlang tobten Waldbrände in der Ostukraine und zerstörten ganze Siedlungen – wie in Sjewjerodonezk. Holodov schläft nun in einem gläsernen Gewächshaus, das das Feuer überstanden hat. Seine Frau, die zwei Kinder und seine Nichte wohnen zurzeit bei seiner Schwester. Mehr als drei Wochen sind seit den Bränden vergangenen, doch die Aufräumarbeiten werden noch Wochen andauern.

Ein beißender Rauchgeruch hängt noch immer in der Luft. „Die Kompensation, die uns der Staat zur Verfügung stellt, reicht nicht aus, um diese Häuser wiederaufzubauen“, sagt er. 300.000 Grywna stehen ihm zu, knapp 9000 Euro. Deshalb muss Holodov, der bei einem Internet- und Telefonanbieter arbeitet, nun das Altmetall von seinem Haus verkaufen – für drei Grywna je Kilogramm.

Die Verwaltung in Luhansk schiebt alles auf die Sicherheitslage

„Ich vertraue niemandem in der Politik“, sagt Holodov. Das liegt aber nicht nur an den geringen Hilfen für den Wiederaufbau. Vor allem liegt es daran, dass die Verwaltung ihm und einer halben Million Menschen aus 18 Gemeinden nahe der Kontaktlinie im Donbass bei den Regionalwahlen vor zehn Tagen faktisch das Wahlrecht entzogen hat – offiziell aus Sicherheitsgründen.

Dass Holodov keine Stimme abgeben konnte, zeige ihm, dass er nicht als vollwertiger Bürger dieses Landes angesehen werde. „Sie behandeln uns nicht wie Menschen“, sagt er.

Genauso fühlen sich offenbar auch viele Ostukrainer, die noch wählen konnten. Präsident Wolodymyr Selenskyj und seine Partei „Diener des Volkes“ sind die großen Verlierer der Lokalwahlen. Und die prorussische Partei „Oppositionelle Plattform“ des Putin-Freundes Wiktor Medwedtschuk verbuchte große Erfolge. Damit kehren nun in einigen Städten Männer in die Politik zurück, gegen die einst wegen Unterstützung separatistischer Kämpfer ermittelt wurde.

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Die Entscheidung, eine halbe Million Menschen nicht zur Wahl zuzulassen, begründete die Luhansker militärisch-zivile Verwaltung mit der Sicherheitslage. In Sjewjerodonezk, ungefähr 30 Kilometer von der Kontaktlinie entfernt, wurden „Provokationen und Sabotageakte“ von prorussischen Kräften befürchtet. Überprüfen lassen sich diese Angaben nicht.

Deshalb vermutet Elena Nyschelskaja politisch motivierte Gründe dahinter. Die Lokalpolitikerin und Aktivistin sagt: „Im Jahr 2014 haben wir in Sjewjerodonezk an den Parlamentswahlen teilgenommen – nur drei Monate nach der Befreiung der Stadt (Anmerkung: von den durch Russland unterstützten Separatisten). Ich sehe nicht, was sich seitdem bezüglich der Sicherheitslage verändert hat.“

Nach den Waldbränden wird in Orten wie Syrotyne noch viel aufgeräumt.
Nach den Waldbränden wird in Orten wie Syrotyne noch viel aufgeräumt.
© Daniela Prugger

Tatsächlich herrscht in der Ostukraine seit rund zwei Monaten Waffenstillstand. Der erste, der seit Ausbruch des Krieges 2014 diesen Namen auch verdient. So viel Ruhe habe es in den vergangenen sechs Jahren nicht gegeben, berichten die Bewohnerinnen und Bewohner mehrerer Siedlungen an der Front.

„Das ist eine politische Entscheidung“, sagt Nyschelskaja. „Die Partei des Präsidenten hatte hier in der Region keine hohen Umfragewerte.“ Viele, so scheint es, stimmten im vergangenen Jahr für Selenskyj, um den damaligen Präsidenten Petro Poroschenko abzuwählen. Heute setzen sie wieder auf die lokal vernetzten Eliten, auch wenn diese in Korruptionsskandale verwickelt sind oder gegen sie wegen anderer Verbrechen ermittelt wurde.

Viele Menschen im Donbass fühlen sich von Kiew vernachlässigt. Daran können weder die Hunderte Kilometer neu asphaltierter und renovierter Straßen, wiederaufgebaute Brücken oder der Waffenstillstand etwas ändern.

Die Menschen sind frustriert

Anton Kortyshko, 32, arbeitet in einer der größten Chemieanlagen des Landes. „Asot“, heißt sie, „Stickstoff“. Flächenmäßig macht sie rund die Hälfte von Sjewjerodonezk aus. Kortyshko ist seit zwölf Jahren in der Fabrik tätig. Zwar begann der Niedergang der Schwerindustrie im Donbass bereits vor Kriegsbeginn. Doch die Industrieexporte sind seither massiv eingebrochen. In der Region Luhansk betragen sie nur noch sechs Prozent des gesamten Wirtschaftsvolumens von 2013.

Als Kortyshko bei Asot anfing, war ein Job dort viel wert. Heute muss er die Maschinen aus den 80er und 90er Jahren instand halten. Er sorgt dafür, dass das Ammoniak, das die Schleimhäute reizt, sicher gelagert wird. Vier Mal in der Woche in Zwölf-Stunden-Schichten. Er macht keinen Hehl daraus, dass er Angst vor seinem Job hat: „Man muss viel Erfahrung haben, um diesen Job gut und sicher zu machen.“

Kortyshko verdient keine 500 Euro im Monat und damit trotzdem fast doppelt so viel wie der Durchschnitt in der Region Luhansk.

Auch Kortyshko leidet unter den Folgen der Waldbrände. Doch sein Haus in Syrotyne, sechs Kilometer von Sjewjerodonezk, wurde nur leicht beschädigt. 600 Häuser standen hier einst, rund die Hälfte ist verbrannt. „Meiner Familie steht eine Kompensation zu, aber uns wurde nicht erklärt, wo und wie wir sie beantragen können. Es gibt keine Informationen dazu“, sagt Kortyshko.

Deshalb ist auch er frustriert. „Ich habe bei der Präsidentschaftswahl für Selenskyj gestimmt“, sagt Kortyshko. „Aber ich bin enttäuscht. Vielen Menschen in dieser Region geht es so, sie werden sich wieder der prorussischen Opposition zuwenden.“

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