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Corona-Impfstoff um jeden Preis? US-Präsident Donald Trump lässt sich nicht von seinem Weg abbringen.
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Update

Zulassung in „Rekordzeit“ vor US-Wahl?: Warum ein Impfstoff für Trump kein Trumpf sein muss

US-Präsident Trump hofft, dass die Zulassung eines Corona-Impfstoffs ihm zur Wiederwahl verhilft. Allerdings zweifeln sogar Wahlkampfstrategen an seinem Plan.

Kürzlich erreichte alle US-Bundesstaaten ein Brief der Gesundheitsbehörde. Datiert vom 27. August, unterschrieben von Robert Redfield, Direktor des Zentrums für Krankheitskontrolle und -prävention (CDC). Alle Staaten sollten sich darauf einstellen, dass sie am 1. November damit beginnen können, die Bürger gegen das Coronavirus zu impfen – zwei Tage vor der Präsidentschaftswahl.

Die Begeisterung hielt sich in Grenzen. Vielmehr äußerten Gesundheitsexperten den Verdacht, dass Präsident Donald Trump versucht, aus der Ankündigung eines frühen Impfstoffs politischen Nutzen zu ziehen.

Die Experten zweifeln einerseits die Glaubwürdigkeit der staatlichen Stellen an, die über die Zulassung eines Impfstoffs entscheiden. Und andererseits halten sie diese für anfällig für politischen Druck des Präsidenten.

Seit dem Brief an die US-Staaten stellen sich also zwei Fragen noch drängender: Können die USA einen Impfstoff gegen das Coronavirus vor dem Tag der Präsidentschaftswahl auf den Weg bringen? Und wird es Trump wirklich nützen?

Impfstoff im November „fühlt sich schrecklich früh an“

„November fühlt sich schrecklich früh an“, sagt Ashish Jha, Vorsitzender der Brown University School of Public Health in Rhode Island. Für ihn ist es „beinahe sicher“, dass Trump den Impfstoff für seine Wahlkampagne benutzt.

Zur Begründung führt er ein Beispiel aus der vergangenen Woche an: Die Lebensmittelüberwachungs- und Arzneimittelbehörde (FDA) hatte die Nutzung von Rekonvaleszenten-Plasma in Notfällen genehmigt. Das heißt: Ein schwer mit Covid-19 infizierter Patient soll Plasma von bereits genesenen Patienten injiziert bekommen.

Als Trump davon hörte, soll er gedroht und sich über das langsame Tempo bei der Überprüfung der Wirksamkeit beschwert haben. Mutmaßlich daraufhin wies FDA-Leiter Stephan Hahn auf den lebensrettenden Nutzen des Rekonvaleszenten-Plasmas hin – allerdings musste er sich wenig später korrigieren, weil er den tatsächlichen Nutzen übertrieben dargestellt hatte.

Auch das CDC geriet in die Kritik, weil es in aller Stille seine Richtlinien geändert hatte. Demnach sollten weniger US-Amerikaner auf das Virus getestet werden müssen. Die zeitliche Nähe zum Plasma-Fall lässt auch hier die Vermutung zu, dass Trump ein bisschen nachgeholfen hat.

Dazu passen Trumps erneute öffentliche Verleumdungsvorwürfe. Nachdem er vor Wochen bereits behauptet hatte, dass ein „Deep State“ die Impfstoff-Entwicklung verhindere, dichtete er nun am Montag den Demokraten an, sich aus politischen Gründen gegen eine baldige Corona-Impfung auszusprechen. Die Kandidatin für die Vizepräsidentschaft, Kamala Harris, lege „sorglose Anti-Impf-Rhetorik“ an den Tag, kritisierte Trump.

Die Demokraten wollten eine Impfung wegen der Wahl am 3. November als etwas Negatives darstellen, behauptete er weiter. Ihnen missfalle, dass der Impfstoff in „Rekordzeit“ entwickelt werde – eine These, der selbst Pharmaunternehmen mittlerweile entgegentreten und auf wissenschaftliche Standards verweisen.

Harris hatte in einem am Sonntag ausgestrahlten Interview mit „CNN“ vor einer Einmischung der Regierung bei der Suche nach einem Corona-Impfstoff gewarnt. Unter Trump würden unabhängige wissenschaftliche Experten „mundtot gemacht“, sagte die Senatorin. Trumps Versprechen bezüglich des Impfstoffs könne nicht vertraut werden, weil er sich zwei Monate vor der Wahl verzweifelt nach einem Erfolg sehne, warnte sie.

Und auch Experten warnen weiterhin davor, sich zu große Hoffnungen zu machen. Der führende US-Virologe Anthony Fauci sagte zuletzt, dass es unwahrscheinlich, aber „nicht unmöglich“ sei, dass der Impfstoff bereits im Oktober und nicht erst bis Dezember zugelassen wird. Moncef Slaoui, Chefberater der „Operation Warp Speed“ sagte, dass es möglich, aber „extrem unwahrscheinlich“ sei.

Sogar Trump-Berater haben den Präsidenten bereits vor Wochen vor den geringen Chancen gewarnt, dass es bis zur Wahl einen Impfstoff geben wird, der seinen Wahlkampf unterstützen wird. Stattdessen drängten sie ihn dazu, sich auf unmittelbare Schritte zu fokussieren und die Pandemie in aktiver Rolle zu bekämpfen.

„Besorgniserregend ist nicht, dass Trump sein Wahlergebnis um ein paar Prozent verbessern könnte – sondern dass wir einen katastrophalen Fehler machen könnten“, sagt Immunologie-Professor John Moore zu „Politico“. „Im Oktober wird alles politisiert werden. Und das letzte, das diese Pandemie braucht, ist noch mehr Politisierung.“

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Wie unter Gesundheitsexperten gibt es der „Washington Post“ zufolge auch im Weißen Haus die Sorge vor einer „möglichen Politisierung“ eines Impfstoffs und darüber, dass die US-Amerikaner diesem aufgrund der schnellen Zulassung nicht trauen könnten. Regierungsnahe Experten fürchten sich wiederum davor, dass das Weiße Haus die FDA dazu drängen könnte, über unzureichende Daten hinwegzusehen und zumindest die limitierte Zulassung eines Impfstoffs im Notfall zu erteilen.

Der Grund ist einfach: In internen Runden ist die Zulassung des Impfstoffs vor dem 3. November von Trumps Wahlkampfberater der „Heilige Gral“ genannt worden. Deshalb sei sogar eine 150 Millionen Euro teure Kampagne geplant, die die Menschen davon überzeugen soll, dass der Impfstoff sicher, effektiv und vertrauenswürdig ist.

Demokraten und einige Republikaner glauben nicht an Impfstoff-Trumpf

Die Wahlkampfstrategen der Demokraten haben eine mögliche Zulassung ebenfalls als Trumpf des Präsidenten ausgemacht, glauben aber nicht, dass dieser das Rennen um den Präsidentenposten noch beeinflussen könnte. Das befürchten der „New York Times“ zufolge sogar einige Wahlkampfstrategen der Republikaner.

Zwar würde die Verkündung, auf die Trump hinarbeitet, den Amerikanern die Hoffnung geben, dass das Pandemie-Ende in Sicht ist. Doch befürchten die Republikaner, dass Trump dies nicht unbedingt helfen muss, da sein Konkurrent Biden den Impfstoff-Prozess mit Sicherheit fortführen wird.

„Sollte der Impfstoff seine Oktober-Überraschung werden, dann gibt es einige andere Dinge, die dem entgegenstehen werden“, bringt es die konservative republikanische Wahlkampfstrategin Sarah Longwell, eine Trump-Gegnerin, auf den Punkt.

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Schwierig könnte für Trump vor allem werden, dass Trump-Wähler dazu neigen, einen „Anti-Impfstoff-Haltung“ anzunehmen. Das geht aus einer Studie aus Australien hervor.

Eine „CNN“-Umfrage kommt aus Trump-Sicht ebenfalls zu einem ernüchternden Ergebnis. Lediglich 21 Prozent der befragten US-Amerikaner würden sich sofort impfen lassen, sobald es eine Medizin gäbe. Im Juli waren es noch 32 Prozent. Mehr als die Hälfte der Befragten glauben außerdem, dass ein Impfstoff, der noch in diesem Jahr verfügbar wäre, das Produkt eines „gehetzten“ Prozesses wäre.

Impfstoff-Hersteller sehen sich zu Stellungnahme gezwungen

Trump habe „lange genug den Eindruck vom politischer Einmischung erweckt, sodass es kein tiefgehendes Vertrauen in einen Impfstoff geben wird – selbst wenn es ein gutes Produkt sein sollte“, sagt Nicole Lurie, die unter Barack Obama im Gesundheitsministerium gearbeitet hatte. „Es gibt unglaublich große Skepsis an der FDA“, so Lurie. „Ich persönlich glaube, dass es einen neuen Präsidenten und eine neue Führung der FDA brauchen wird, bevor es wieder Vertrauen geben wird.“

Aufgrund der Entwicklungen in den USA sahen sich am Dienstag dann sogar neun konkurrierende Pharma- und Biotech-Unternehmen zu einer Stellungnahme gezwungen.

Sie versprechen, bei der Entwicklung und Zulassung des Impfstoffs keine Kompromisse einzugehen. Zu diesen Unternehmen gehören auch Moderna und Pfizer, auf die Trump große Hoffnungen setzt. Die Zulassung eines Impfstoffs werde erst beantragt, wenn Verträglichkeit und Wirksamkeit mit einer rigorosen klinischen Studie der Phase drei demonstriert worden seien, erklärten die Vorstandsvorsitzenden der neun Unternehmen.

Die Entwickler würden sich weiter an die nötigen hohen wissenschaftlichen und ethischen Standards halten, erklärten sie weiter. Das hatte bereits zuvor Virologe Fauci auch bezüglich der US-Arzneimittelbehörde erklärt. „In der Vergangenheit hat die FDA ihre Entscheidungen immer auf wissenschaftlicher Grundlage getroffen“, so Fauci. „Das wird auch dieses Mal so sein, da bin ich mir sicher.“

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