Risiken und Nebenwirkungen: Warum die rezeptfreie "Pille danach" so umstritten ist
Der Bundesrat hat grünes Licht gegeben: Die „Pille danach“ wird in Deutschland ab 15. März rezeptfrei in Apotheken zu haben sein. Doch die Kritik an dieser Entscheidung verstummt nicht. Antworten auf die wichtigsten Fragen dazu.
Der Bundesrat hat am Freitag seine Zustimmung dafür gegeben, dass die „Pille danach“ vom 15. März an in Apotheken ohne Rezept zu erhalten ist. Zu den Auflagen gehört, dass die Mittel nicht per Versandhandel zu bekommen sein sollen.
Welche Anstöße gab es für die Änderung?
Die Europäische Arzneimittel-Zulassungsbehörde (EMA) hat im November 2014 empfohlen, ein neueres Notfall-Verhütungsmittel mit dem Wirkstoff Ulipristalacetat (Handelsname: ellaOne) in den Mitgliedsstaaten der EU rezeptfrei zugänglich zu machen, die EU-Kommission hat sich dieser Empfehlung im Januar angeschlossen. Schon zuvor waren Mittel mit dem Wirkstoff Levonorgestrel (Handelsnamen: PiDaNa, Postinor, Unofem Hexal) in den meisten EU-Ländern ohne Rezept erhältlich.
Mit der Rezeptfreiheit gibt es international in rund 80 Ländern einschließlich den USA gute Erfahrungen, teilweise werden die Mittel sogar in Schulen abgegeben. Seit Jahren setzt sich in Deutschland der Verband pro familia dafür ein, es diesen Ländern nachzutun. Das Hauptargument: Notfall-Kontrazeptiva wirken nur in einem engen Zeitfenster, sollten also schnell verfügbar sein – ohne Warten auf einen Arzttermin oder in einer überfüllten Notaufnahme eines Krankenhauses.
Welche Mittel zur Notfall-Verhütung gibt es und wie wirken sie?
Das „ältere“ Mittel Levonorgestrel ist ein Gestagen, wie es – in deutlich niedrigerer Dosierung – in vielen empfängnisverhütenden Pillen vorkommt. In höherer Dosierung verhindert es den Anstieg des Hormons LH und verzögert damit den Eisprung. Keine Wirkung kann es allerdings entfalten, falls die Frau sich in einer späteren Phase des Monatszyklus’ befindet oder falls schon eine Eizelle befruchtet ist. Als maximales Zeitfenster gelten 72 Stunden nach einem ungeschützten Geschlechtsverkehr, doch die Wirksamkeit ist umso besser, je früher diese „Pille danach“ genommen wird.
Auch die seit 2009 zugelassene Substanz Ulipristalacetat verschiebt den Eisprung, ist dazu aber auch noch in der Lage, wenn das Hormon LH schon angestiegen ist und der Organismus der Frau sich auf den Eisprung vorbereitet. Nebenwirkungen wie Übelkeit, Kopfschmerzen, Spannen der Brust und Schmierblutungen können bei beiden Mittel auftreten.
Was spricht für das ältere, was für das neuere Mittel?
Das größere Zeitfenster von fünf Tagen ist der unbestrittene Vorzug des erst seit 2009 zugelassenen Ulipristalacetat. Außerdem gibt es Hinweise, dass diese Substanz bei stark übergewichtigen Frauen besser wirkt. Zur neueren Substanz gibt es allerdings deutlich weniger Forschung. So ist unklar, ob und welche Auswirkungen sie auf die Schleimhaut der Gebärmutter und das Einnisten einer befruchteten Eizelle hat. Unklar ist auch, ob der Embryo geschädigt würde, falls die Frau schon schwanger sein sollte. Weitere Bedenken gelten dem Übergang in die Muttermilch: Sicherheitshalber sollten Frauen, die schon ein Baby haben und es noch stillen, eine Woche Pause einlegen. Für Levonorgestrel gilt nur die Empfehlung, acht Stunden nach Einnahme des Mittels mit dem Stillen auszusetzen.
Für Levonorgestrel sprechen aber vor allem die Erfahrungen aus über zwanzig Jahren und Millionen von Anwendungen weltweit. Es sind keine bedrohlichen Nebenwirkungen oder gesundheitlichen Schäden bekannt geworden, deshalb stuft die WHO diese „Pille danach“ als gesundheitlich unbedenklich ein.
Pro familia empfiehlt, wegen der größeren Erfahrungen im Zweifelsfall das ältere Mittel zu bevorzugen – sofern die Drei-Tage-Frist noch nicht vergangen ist. Welcher der beiden Wirkstoffe in Zukunft von den Apothekern empfohlen werden soll, dazu gebe es keine generelle Empfehlung, sagte ein Sprecher der Bundesapothekerkammer (ABDA) dem Tagesspiegel: „Die Beratung muss individuell und situativ erfolgen.“
Wie in den Apotheken beraten werden soll
Was ändert sich nun in den Apotheken, wie soll dort beraten werden?
Die ABDA hat Ende Januar eine Handlungsempfehlung dazu herausgegeben, außerdem wurde eine Checkliste ausgearbeitet, an der die Apotheker sich orientieren können und die sie vor allem bei Minderjährigen ausfüllen sollen. Die ABDA empfiehlt, das Medikament nur an die Frau selbst abzugeben. „Im Regelfall“ sollte das nicht „auf Vorrat“ geschehen. „Für eine umfassende und lückenlose Beratung ist es dringend anzuraten, dass die betreffende Frau selbst in die Apotheke kommt“, konkretisierte am Freitag der Sprecher der ABDA.
Jugendliche unter 14 Jahren sollten auf jeden Fall zum Arzt geschickt werden, auch bei Verdacht auf eine Schwangerschaft sei das einer Frau auf jeden Fall zu raten. Außerdem sollten die Pharmazeuten die Frauen auf mögliche Interaktionen mit anderen Medikamenten hinweisen, die die Wirksamkeit der „Pille danach“ einschränken könnten, etwa Johanniskraut-Präparate. Auch sollen die Apotheker den Rat geben, dass die Frauen vor Einnahme der Pille etwas essen sollen, damit Übelkeit vermieden wird.
Welche Position haben die Frauenärzte?
Wenn auch längst nicht alle Frauenärzte, so sind doch ihre Organisationen skeptisch: Der Berufsverband der Frauenärzte, die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe und die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologische Endokrinologie und Fortpflanzungsmedizin haben im Januar einmal mehr ihre Bedenken gegenüber der Rezeptfreiheit zum Ausdruck gebracht. Sie halten eine „medizinisch kompetente, sorgfältige und vertrauliche“ Beratung, die auch die weitere Verhütung umfasst, in den Apotheken für „in den meisten Fällen unmöglich“. Jetzt kritisieren die drei Gesellschaften die Handlungsempfehlungen der ABDA als unvollständig: So enthalte sie keine Angaben darüber, dass die Notfall-Kontrazeption mit den verschiedenen Pillen bei stark übergewichtige Frauen nicht zuverlässig sei. In diesen Fällen empfehlen die Gynäkologen eine Spirale, die auch nach dem „Notfall“ als Verhütungsmittel wirksam bleibt – und die Frauenärztin oder Frauenarzt einsetzen müssen. Grundsätzlich sehen die drei gynäkologischen Organisationen angesichts der vergleichsweise niedrigen Rate an Schwangerschaftsabbrüchen, vor allem bei Teenagern, keinen Bedarf für eine neue Regelung und warnen sogar davor, dass Abbruchraten künftig steigen könnten.
Werden die Folgen der Rezeptfreiheit überprüft?
Ja. Nach dem Willen der Bundesärztekammer und der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft soll es jährliche Zwischenberichte und eine fünfjährige Evaluation geben: Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) soll darin die Bundesregierung über die Zahl der verkauften Tabletten, über Nebenwirkungen und nicht zuletzt über die Zahl der ungewollten Schwangerschaften und Schwangerschaftsabbrüche informieren.
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