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Österreichs grüne Verkehrsministerin Leonore Gewessler bei der  Premierenfahrt des ÖBB-Nightjet nach Brüssel im Wiener Hauptbahnhof.
© Herbert Neubauer/APA/dpa

Die Rückkehr des Nachtzugs: Warum die Klimadebatte Schlafwagen wieder in Mode bringt

Nachtzüge können die Zahl der Flüge reduzieren. Der Druck auf die Bahn wächst, eigene Verbindungen anzubieten. Das hängt auch mit der EU zusammen.

Für Martin Selmayr war der Start gut, "aber ausbaufähig". Der frühere Kabinettchef von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ist heute Leiter der EU-Vertretung in Österreich. So war es eine Ehrensache für den gebürtigen Bonner, bei der Premiere des neuen Nachtzugs der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) von Wien nach Brüssel mitzufahren. Der Zug heißt "Nightjet", aber ganz so schnell wie mit dem Flugzeug ist es nicht. Angekommen in Brüssel resümierte Selmayr via Twitter: "Klimafreundlich, gut geschlafen, gutes Frühstück". Aber eine Ankunft um 11 Uhr in Brüssel sei zu spät.

Angesichts des Erfolges der ÖBB-Nachtzüge wächst nun auch der Druck auf die Deutsche Bahn, in das 2016 eingestellte Geschäft mit Nachtzügen wieder einzusteigen – vor allem, weil sie das Klima schützen und weil Deutschland Mitte des Jahres die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt.

Wie läuft das Nachtzuggeschäft?

Bei den ÖBB weit besser als bei der Deutschen Bahn zuletzt. Die österreichische Bahn betreibt schon 27 Nightjet-Linien, 19 selbst und acht Linien mit Partnern wie der polnischen Bahn auf der Strecke Wien-Warschau. Eine Bahnreise von Wien nach Brüssel verursacht nur einen Bruchteil des CO2-Ausstoßes eines Fluges. Bis Dezember soll als 28. Nachtzug-Linie eine von Wien und München nach Amsterdam hinzukommen.

"Wenn wir mehr Schlafwagen hätten, könnten wir das Angebot rasch deutlich ausweiten", sagt Bernhard Rieder von der ÖBB. Fünf Jahre dauert es vom Beschluss für einen neuen Zug bis zur Inbetriebnahme, auch weil Aufträge europaweit ausgeschrieben werden müssen.

In einem Zug nach Brüssel befinden sich rund 300 Fahrgäste, der Sitzwagenpreis startet laut ÖBB bei 29,90 Euro, der Liegewagen bei 49,90 Euro, der Schlafwagen kostet zwischen 139 und 200 Euro im Einzelabteil. Das liegt etwas über den günstigsten Flugangeboten, aber gerade die Schlafwagen sind laut Rieder stark ausgebucht. "Wir hatten 2019 auf den Strecken zehn bis zwölf Prozent Zuwachs". Auch wegen der Klimadebatte.

Lohnt sich das Nachtzuggeschäft?

"Reich wird man mit dem Nachtzug nicht", sagt ÖBB-Sprecher Bernhard Rieder. Man könne sie aber inzwischen kostendeckend betreiben. Pro Schlafwagen sei ein "Night Steward" an Bord. Insgesamt seien in der Regel acht Mitarbeiter in einem Nachtzug unterwegs, tagsüber seien es nur zwei – plus die Lokführer.

Mit der Deutschen Bahn (DB) gibt es seit deren Nachtzug-Einstellung eine enge Kooperation. So wurden mehrere Schlafwagen übernommen, die Deutsche Bahn macht den Ticketvertrieb in Deutschland und stellt auf Strecken durch Deutschland auch Lokführer zur Verfügung.

Warum steigt die Deutsche Bahn nicht wieder ein?

"Das klassische Nachtzuggeschäft ist ein sehr kostenintensives Angebot", sagt eine Sprecherin. "Es werden spezielle Fahrzeuge mit Schlaf- und Liegewagen benötigt." Und diese bräuchten auch noch für Tageszüge nicht nutzbare Wartungsanlagen in den Werken. In den 90er Jahren seien noch rund fünf Prozent der Reisenden im Fernverkehr Nachtzugreisende gewesen, zuletzt waren es nur noch rund ein Prozent. "Trotz aller Bemühungen erwirtschaftete das Nachtzuggeschäft im Jahr 2015 bei einem Ertrag von rund 90 Millionen Euro einen Verlust von zirka 31 Millionen Euro", sagt die Sprecherin.

Die Bahn betont, es gebe auch Züge, die in der Nacht fahren, aber mit Sitzplätzen. Wer das mal gemacht hat, kommt gerädert am Zielort an. Am 15. Dezember hat die Bahn in Kooperation mit den ÖBB auf den Strecken Zürich-Berlin und Zürich-Hamburg eine neue Intercity-Nachtverbindung gestartet.

Ein Wiedereinstieg mit Schlafwagen würde auch zu Lasten des Ausbaus im Tagesverkehr gehen. Ziel sei es, die Fahrgastzahlen im Fernverkehr zu verdoppeln und somit einen wichtigen Beitrag für den Klimaschutz zu leisten, sagt die Bahnsprecherin. "Daher investieren wir in den kommenden Jahren rund zwölf Milliarden Euro in unsere Fahrzeugflotte, die allein im Fernverkehr auf insgesamt 600 Züge anwachsen wird." Dazu sollen auch rund tausend zusätzliche Mitarbeiter eingestellt werden.

Und was sagt der Bundesverkehrsminister?

Andreas Scheuer betont, er sei für eine Rückkehr des Nachtzugs "prinzipiell offen". Aber das Grundproblem sei, dass die Züge nur nachts genutzt werden können. Und wer tagsüber fahre, könne die Zeit ja auch gut zum Arbeiten nutzen. Im Fernverkehr wurde die Mehrwertsteuer von 19 auf sieben Prozent gesenkt, die günstigeren Preise sollen die Kurzstrecken-Flieger zum umsteigen auf die Bahn bewegen.

Der Grünen-Verkehrsexperte und Vizefraktionschef Oliver Krischer will mit einer besonderen Maßnahme die Nachtzüge für Bahn-Unternehmen attraktiver machen. "Die Trassenpreise für Nachtzüge, also was man für die Benutzung der Schienen zahlt, müssen komplett abgeschafft werden", sagt er. Das seien schnell 5000 Euro, die man für die Durchfahrt durch Deutschland zahlen müsse.

"Das muss man auch mit den europäischen Nachbarn absprechen, dass hier ebenfalls gehandelt wird, also dass es Verbesserungen über die gesamte Strecke gibt", sagt Krischer. "Wenn die Deutsche Bahn nicht will, ist das bedauernswert." Er sehe aber kein Hindernis, warum nicht Konkurrenten dieses Angebot bei Nachtzügen übernehmen sollten - ihnen dürften nur keine Steine in den Weg gelegt werden. "Die Österreicher machen das ja erfolgreich", sagt er.

Wäre ein Nachtzug von Berlin nach Brüssel nicht ein positives Signal für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft?

Ja, sagen die Europa-Abgeordneten Hannah Neumann (Grüne), Hildegard Bentele (CDU), Gabriele Bischoff (SPD) und Martina Michels (Linke). Sie haben im vergangenen Oktober eine gemeinsame Initiative und einen Appell an Kanzlerin Angela Merkel (CDU) gestartet, damit ab Juli 2020 der Nachtzug zwischen Berlin und Brüssel wieder aufgenommen wird – "und Sie die deutsche Ratspräsidentschaft insgesamt dazu nutzen, das europäische Fern- und Nachtzugnetz weiter auszubauen". Wer mit dem Zug von Berlin nach Brüssel fahre, verbrauche 2,4 Kilogramm CO2; wer den Flieger nutze 480 Kilogramm - mehr als das 200-fache.

Wegen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft wird ab Juli eine Nachtzugverbindung von Berlin nach Brüssel gefordert.
Wegen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft wird ab Juli eine Nachtzugverbindung von Berlin nach Brüssel gefordert.
© picture alliance/dpa

Eine entsprechende Petition haben bereits rund 31.500 Menschen unterschrieben. Sie betonen, mit einem Nachtzug gebe es die Chance die vielen Flugreisen, die im Rahmen der Ratspräsidentschaft zwischen Berlin und Brüssel anfallen werden, durch ein klimafreundliches Mobilitätsangebot zu reduzieren. Bisher müssten viele das Flugzeug nutzen, weil sie mit den aktuellen Zugverbindungen für Reisen zwischen Berlin und Brüssel nur tagsüber reisen können, damit sechs bis acht Stunden Zeit verlieren und in der Regel einen Tag vorher anreisen müssen. Am liebsten würden sie es sehen, wenn so dieser neue Nachtzug in den blau-gelben Europafarben gestaltet wäre.

Bahnchef Richard Lutz gilt auch als überzeugter Europäer, vor der Europawahl ließ er den Berliner Hauptbahnhof abends mit den Europasternen anstrahlen. Eine weitere Petition, unter anderem von der grünen Bundestagsabgeordneten Franziska Brantner, fordert mit Blick auf den geplanten „Green Deal“ der EU-Staaten als Signal sogar eine Nachtzuglinie, die Berlin, Brüssel und Paris in einer Nacht verbindet.

Warum faszinieren die Nachtzüge so viele Menschen?

Die Züge waren und sind Orte der Begegnung. Der nachts gemächlich durch die Landschaften rollende Zug fand sogar Eingang in die Sportsprache ("Schlafwagen-Fußball"), und er bietet auch Anlass für Filmstoff. So ereignet sich in der Folge „Die Entscheidung“ der ZDF-Krimiserie „Derrick“ im Nachtzug von Wien nach München ein Mord – zuvor war der Schlafwagen-Schaffner betäubt und ihm der Schlüssel zur Kabine des Opfers geraubt worden. Und der Nachtzug weckt bei vielen Menschen auch die Sehnsucht nach ungewöhnlichen Fernreisen.

Der Nachtzug der Deutschen Bahn wurde wegen damals hoher Verluste 2016 eingestellt.
Der Nachtzug der Deutschen Bahn wurde wegen damals hoher Verluste 2016 eingestellt.
© LAIF

Eine besondere Strecke in Europa ist zum Beispiel der Santa-Claus-Express in Finnland. Er startet um 18.45 Uhr in der Hauptstadt Helsinki, die Schlafabteile haben sogar Duschen, abends wird im Speisewagen vor dem Schlafen kräftig angestoßen. Morgens um sieben Uhr kommt der Zug am Polarkreis in der Stadt Rovaniemi an.

Ganz in der Nähe ist das berühmte Weihnachtsmanndorf mit dem Postamt, in dem jedes Jahr 500.000 Briefe an den Weihnachtsmann aus aller Welt eingehen. Allerdings ist die Verbindung zum Polarkreis nicht günstig, bis zu 150 Euro sind für das Bett im Zug zu bezahlen. Im Gegenzug kann der oder die Reisende dann aber viel Eis, Schnee und mit etwas Glück die grünen Polarlichter erleben.

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