Biden und Trump im Wahlkampf: Warum der Vorwurf der Wahlfälschung in den USA so gut verfängt
Joe Biden warnt vor einer „gestohlenen“ Wahl. Das tut auch Trump. Was verbirgt sich hinter den Vorwürfen - und was ist die Botschaft an die Basis? Eine Analyse.
Ist es Präsident Donald Trump zuzutrauen, dass er sich eine zweite Amtszeit „stiehlt“? Davor hat sein Herausforderer, der Demokrat Joe Biden, jetzt in der „Daily Show“ des Senders Comedy Central gewarnt.
"Ich glaube, dass Trump zu allem fähig ist"
Die Sorge, das Trump das Weiße Haus nicht freiwillig verlassen werde, bewegt einige US-Bürger seit seinem Amtsantritt im Januar 2017. Eine Variante dieser Furcht ist, dass Republikaner in die Vorbereitungen der Wahl und ihren Ablauf im November eingreifen und in den von ihnen regierten Staaten potenzielle demokratische Wähler daran hindern, ihre Stimme abzugeben. Zum Beispiel durch Auflagen für die Eintragung in das Wahlregister. Trump könnte durch diesen Vorteil die Wahl gewinnen.
Die andere Variante der Sorge lautet, dass Trump ein Wahlergebnis, das eine Niederlage für ihn ausweist, nicht akzeptieren, sondern seinerseits behaupten werde, ihm sei der Wahlsieg von den Demokraten „gestohlen“ worden. Im Extremfall könnte er seine Anhänger zu Widerstand aufrufen – wohl wissend, dass viele von ihnen Waffen zuhause haben und sich in Bürgermilizen organisieren.
John Kornblum, von 1997 bis 2000 US-Botschafter in Deutschland unter Präsident Bill Clinton, hatte kürzlich im Interview mit dem Tagesspiegel über Trump gesagt: „Schon jetzt attackiert er ja dauernd die Idee, per Briefwahl abstimmen zu lassen, und behauptet, dass dies Wahlbetrug Vorschub leisten könnte. Trump wird zunehmend darüber sprechen, dass die Wahl 2020 ,gestohlen’ werden könnte. Die Sorge ist groß, dass er sogar so weit gehen könnte, eine Krise auszulösen, um eine Niederlage nicht akzeptieren zu müssen. Ich persönlich glaube, dass er zu allem fähig ist.“ Kornblum lebt jetzt in Tennessee, einem Staat mit zahlreichen Trump-Anhängern.
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Auch Biden sprach in der „Today Show“ über Trumps Umgang mit der Briefwahl: „Das ist ein Kerl, der sagt, dass alle Briefwahl-Stimmzettel gefälscht sind.“
Kulturkampf um den Faktor Briefwahl
Die Briefwahlstimmen sind im Verlauf der jüngsten Jahrzehnte immer wichtiger geworden. Ihre Zahl könnte sich wegen der Corona-Pandemie und der Furcht vor Ansteckung an Orten mit vielen Menschen 2020 deutlich erhöhen. Trumps und Bidens Anhänger blicken unterschiedlich auf die Briefwahl. Dies reicht fast an einen Kulturkampf heran. Nach aller Erfahrung nutzen mehr Demokraten als Republikaner die Briefwahl.
Bereits der statistische Unterschied erleichtert es Trump, die Briefwahl unter seinen Fans als ein Mittel der Manipulation zu diskreditieren. Seine Wähler leben überwiegend in Kleinstädten und auf dem Land, wo man am Wahltag persönlich ins Wahllokal geht. Und jetzt wenig Grund für Corona-Auflagen sieht, weil die Ansteckungsgefahr geringer ist als in dicht besiedelten Ballungsräumen.
Bidens Wähler leben überwiegend in Großstädten, legen Wert auf Mobilität und Flexibilität und nutzen die Möglichkeit, zu einem beliebigen Zeitpunkt per Brief zu wählen.
Gegenseitiger Argwohn wegen Wahlfälschung
Ob und unter welchen Bedingungen Briefwahl zulässig ist, gehört zu den vielen Streitfragen zwischen den Lagern im Kampf um ein für sie günstiges Wahlrecht. Sie unterstellen sich gegenseitig unlautere Motive. Wer in den USA wählen will, muss aktiv werden und sich ins Wählerregister eintragen.
Es gibt kein Einwohnermeldeamt wie in Deutschland, das automatisch die Wahlberechtigung samt Antrag auf Briefwahl verschickt. Republikaner fordern strenge Auflagen wie das Vorzeigen eines US-Führerscheins, um Wahlbetrug zu verhindern und sicherzustellen, dass nur US-Bürger abstimmen und dass sie dies nur einmal tun und sich nicht an mehreren Orten registrieren.
[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog. Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden.]
Die Demokraten sagen, strenge Auflagen seien Schikane gegen Minderheiten wie die Schwarzen und die Latinos, die in höherer Zahl für die Demokraten als für die Republikaner stimmen, von denen einige aber keinen Führerschein haben. Demokraten wollen möglichst viele Wähler ohne Auflagen wie den Identitäts- und Wohnortnachweis zur Wahl zulassen.
Je knapper der Wahlausgang, desto größer die Gefahr
Der Streit wird vielerorts – ebenso wie das „Gerrymandering“, der Zuschnitt der Wahlkreise – vor Gericht ausgetragen. Die „New York Times“ schrieb Anfang April, sie erwarte 2020 den größten Wahlrechtsstreit seit dem „Voting Rights Act“ von 1965. Das Gesetz hatte damals die schlimmsten Methoden zur Unterdrückung der Stimmen der Schwarzen verboten und galt als Kernstück des Kampfs um politische Gleichberechtigung.
Trump und Biden finden einen Resonanzboden unter ihren Wählern, wenn sie dem Konkurrenten vorwerfen, die Wahl „stehlen“ zu wollen. Der Argwohn dient auch der Mobilisierung der eigenen Basis. Ein ernsthafter Kampf um die Legitimität der Wahl ist dann zu erwarten, wenn sie knapp ausgeht. Oder gar, wie 2000, wenige hundert Stimmen in einem einzigen Staat, damals Florida, entscheiden, wer Präsident wird. Im Falle eines erdrutschartigen Siegs müsste der Verlierer den Ausgang eher akzeptieren.