Kampf zwischen Hamas und Israel: Warum der Schlagabtausch so riskant ist
Raketenhagel auf Israel, Vergeltungsschläge gegen die Hamas - droht ein neuer Krieg um den Gazastreifen? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Die Lage ist brisant. Wieder flogen Raketen aus Gaza auf die Gemeinden im Süden. Wieder reagierte der jüdische Staat mit dem Beschuss von Hamas-Zielen im Gazastreifen. Wieder kehrte danach Ruhe ein.
Es ist ein ständiger Schlagabtausch zwischen den Islamisten und Israel, aus dem im schlimmsten Fall ein neuer Krieg erwachsen könnte. Israel hat jetzt als Reaktion auf den Beschuss Infanterieeinheiten und Panzerverbände zusammengezogen.
Warum droht der Konflikt gerade jetzt zu eskalieren?
Vieles kommt dieser Tage zusammen. In Gaza rückt das Jubiläum des „Marsches der Rückkehr“ am 30. März näher. In Israel wird am 9. April gewählt. Zudem ist die humanitäre Lage im Gazastreifen dramatisch, die Menschen sind frustriert und haben kaum noch etwas zu verlieren.
Eine gefährliche Gemengelage, in der ein Krieg mit jedem Schlagabtausch wahrscheinlicher wird – selbst wenn keine Seite es darauf anlegt.
Wie sehr leiden die Israelis unter dem Raketenbeschuss?
Nirgends wird das Leben der Menschen vom ständigen Geschosshagel so sehr eingeschränkt wie in den Dörfern und Städten rund um den Gazastreifen. Denn sie wohnen nur wenige Kilometer, manchmal sogar nur wenige Hundert Meter vom Grenzzaun entfernt.
Wenn der Alarm ertönt, bleiben ihnen ganze 15 Sekunden, um sich in Sicherheit zu bringen. In Krisenzeiten schlafen viele Familien deshalb in den Bunkerzimmern. Ein normales Leben ist dann nicht mehr möglich.
So waren denn auch am Dienstag größere Veranstaltungen mit mehr als 300 Personen nicht gestattet, landwirtschaftliche Arbeit auf den Feldern musste mit der Armee koordiniert werden, Schulen blieben geschlossen. Auch am Mittwoch entschieden sich Zeitungsberichten zufolge rund 30 Prozent der Eltern, ihre Kinder nicht in die Schule zu schicken.
Dass sie entlang der Grenze mit der ständigen Angst vor Angriffen leben müssen und die Regierung kaum etwas dagegen unternimmt, erzürnt viele. Sie fühlen sich im Stich gelassen. Vor allem auch, weil die Reaktion der Armee sehr wohl eine andere ist, wenn das Zentrum des Landes von Raketen getroffen wird – wie Montagmorgen, als bei einem Angriff auf ein Dorf nordöstlich der Metropole Tel Aviv sieben Menschen verletzt wurden.
Dutzende gingen deshalb im Süden auf die Straße und forderten die Regierung auf, mit mehr Härte auf den Beschuss zu reagieren. Sie wollen langfristig mehr Sicherheit, nicht nur eine vorübergehende Waffenruhe.
Welche Rolle spielt der Wahlkampf in Israel?
Jahrelang hat sich Premier Benjamin Netanjahu als „Mr. Security“ inszeniert, als der Einzige, der in der Lage ist, sein Volk vor den Feinden des jüdischen Staates zu schützen. Netanjahu stehe für Stärke, die Linke, so wettert seine konservative Likud-Partei, sei dagegen schwach und damit eine Gefahr für die Sicherheit des Landes.
Doch ausgerechnet wenige Tage vor den Parlamentswahlen am 9. April zeigen die Raketenangriffe aus Gaza, dass Israel auch unter Netanjahu nicht unverwundbar ist. Sieben Menschen wurden bei einer Attacke am Montag verletzt.
Beobachter halten den Regierungschef für professionell genug, sich bei militärischen Entscheidungen nicht vom Wahlkampf beeinflussen zu lassen. Dennoch: Netanjahu, der auch Verteidigungsminister ist, steht unter Druck.
Er muss Stärke zeigen, gleichzeitig aber versuchen, einen Krieg zu verhindern. Bislang hielt sich die Armee bei den Vergeltungsschlägen zurück. Fraglich ist, ob das so bleibt, wenn noch einmal eine Rakete auf das Zentrum Israels abgefeuert wird. Vor allem ein Beschuss der Küstenstadt Tel Aviv gilt als rote Linie.
Netanjahus politische Gegner versuchen, die Gunst der Stunde zu nutzen. Sie werfen ihm vor, nicht hart genug gegen die Terroristen in Gaza vorzugehen. Der bisherige Bildungsminister Naftali Bennett von der Partei „Die Neue Rechte“ wetterte, Netanjahu habe gegen die Hamas versagt, Israel seine abschreckende Wirkung verloren.
Bennett hat selbst Ambitionen, den Posten des Verteidigungsministers zu übernehmen, was ihm Netanjahu vor einigen Monaten verwehrte. Mit dem Ruf nach mehr Härte versucht Bennett nun, sich für die kommende Legislaturperiode wieder ins Gespräch zu bringen.
Wie stabil ist die Herrschaft der Hamas überhaupt noch?
Die Zeiten, in denen die Islamisten im Gazastreifen uneingeschränkt und ohne jeden Widerspruch das Sagen hatten, scheinen vorbei. Zwar führt die Hamas nach wie vor ein hartes Regiment, verfolgt Oppositionelle und geht gegen jede Form von Widerstand brutal vor.
Doch die Menschen in Gaza begehren trotz aller Repressionen immer häufiger auf. Immer weniger Einwohner lassen sich einreden, Israel allein sei für ihre Misere verantwortlich. Immer mehr sehen eine Mitschuld der Hamas, die sich überhaupt nicht um die Belange der Palästinenser schert.
Ungemach droht der Hamas auch von ganz anderer Seite. Mehr und mehr stellen extremistische Salafistengruppen, die zum Teil ideologisch dem „Islamischen Staat“ nahestehen, die Alleinherrschaft der Hamas infrage.
Sie werfen den Machthabern vor, den Kampf gegen die „Zionisten“ nicht ernsthaft genug zu führen – aus Sicht der Hamas ein empörender Vorwurf. Schließlich definiert sich die Terrororganisation über die Todfeindschaft zu Israel. Gerade in dieser Situation kommt der Hamas ein Schlagabtausch mit Israel recht, dient er doch als Ablenkung vom eigenen Versagen im Küstenstreifen.
Mischt der Iran in dem Konflikt mit?
Das scheint so zu sein. Die Gratiszeitung „Israel heute“ zitierte am Dienstag einen namentlich nicht genannten hochrangigen Hamas-Funktionär mit dem Hinweis, Teheran habe den Angriff auf den zentralisraelischen Ort Mischmeret angeordnet. Womöglich sogar über die Köpfe der Hamasführung hinweg. Die von Gaza aus operierende militante Gruppe Islamischer Dschihad habe auf Irans Weisung die Rakete abgefeuert.
Beobachter überrascht das nicht. Teheran und Jerusalem sind erklärte Erzfeinde. Nach wie vor drohen die Mullahs, das „zionistische Gebilde“ von der Landkarte zu tilgen. Dass sie mit der Hamas gemeinsame Sache machen, sie finanziell und mit Waffen unterstützt, kann daher nicht überraschen.
Wer vermittelt zwischen Israel und der Hamas?
Auch wenn die Waffen am Mittwoch wieder schwiegen: Eine langfristige Feuerpause zwischen Israel und der Hamas ist nicht in Sicht. Es gibt aber Versuche, zwischen den Kontrahenten zu vermitteln. Eine zentrale Rolle spielt dabei Ägypten.
Bereits während des Angriffs auf Tel Aviv vor zwei Wochen hieß es, dass sich genau zu diesem Zeitpunkt eine Delegation aus Kairo im Gazastreifen befunden habe. Ihr Ziel: eine langfristige Waffenruhe.
Wie die Tageszeitung „Haaretz“ berichtet, ist dabei der ägyptische Geheimdienst federführend. Dass die oft angespannte Lage in den vergangenen Monaten nicht in einen Krieg mündete, dürfte nicht zuletzt auf das Konto der ägyptischen Mittelsmänner gehen. Auch die Vereinten Nationen sind an den Gesprächen beteiligt. Doch einen tragfähigen Vermittlungserfolg gibt es bis heute nicht.