zum Hauptinhalt
Türkische Polizisten verhaften einen Demonstranten in Diyarbakir.
© Bulent Kilic/AFP

Verhaftungen unter Erdogan: Warum Besucher die Türkei derzeit meiden sollten

Die Verhaftungen deutscher Bundesbürger zeigen: Die Türkei ist kein Rechtsstaat, wenn sie die Unversehrtheit ihrer Gäste nicht gewährleistet. Ein Kommentar.

Diktaturen unterscheiden sich von Rechtsstaaten unter anderem dadurch, dass man jederzeit unter einem Vorwand verhaftet werden kann, und dass die Justiz nicht unabhängig von der Politik über Schuld und Unschuld eines Angeklagten entscheiden darf. In solche Länder sollte man weder als Tourist noch aus beruflichen Gründen reisen, denn man ist dort leicht vogelfrei.

Nach einer kurzen Phase der innenpolitischen Beruhigung ist die Türkei jetzt wieder an dem Punkt angelangt, an dem man die Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes sehr genau lesen sollte. Das gilt vor allem für Menschen, die eine doppelte Staatsangehörigkeit haben, denn der deutsche Pass schützt nicht vor Willkür, wenn seine Trägerin oder sein Träger auch noch einen türkischen Pass haben.

Seit die Position des türkischen Staatschefs Recep Tayyip Erdogan im eigenen Land nicht mehr unumstritten ist, seit die Wirtschaft auf eine Krise zu taumelt und seit er sich mit der Forderung nach einer eigenen türkischen Sicherheitszone im Norden Syriens nicht durchsetzen kann, steigt seine Aggressivität bei tatsächlichem oder auch nur vermuteten verbalen Protest gegen seine Politik.

Vermeintliche Beleidigungen werden wie schwere Verbrechen bestraft

Gerade wurde die Tochter der in der Türkei inhaftierten Kölner Sängerin, Hozan Cane, verhaftet. Cane war wegen angeblicher Propaganda für die PKK zu sechs Jahren Haft verurteilt worden. Jetzt soll sie sich außerdem wegen Präsidentenbeleidigung vor einem Gericht verantworten.

Die Tochter, Gönül Örs, die einen deutschen und einen türkischen Pass hat, wollte ihre Mutter im Gefängnis besuchen. Nun darf sie nicht mehr ausreisen, weil sie vor sieben Jahren bei einer Veranstaltungen gesehen worden sein soll, an der auch PKK-Sympathisanten teilnahmen.

Zur gleichen Zeit ist der deutsch-türkische Anwalt und Politiker Memet Kilic wegen Präsidentenbeleidigung angeklagt. Für ihn wurden sechs Jahre Haft gefordert. In früheren Jahren gab es ähnliche Versuche, missliebige Journalisten durch lange Haft mundtot zu machen. Auch jetzt verfolgt die türkische Staatsanwaltschaft einen türkischen Vertreter von Reporter ohne Grenzen, Erol Önderoglu.

Ein Land, in dem Menschen unter einem Vorwand festgehalten werden, die nur kamen, weil sie ihre verhaftete Mutter besuchen und trösten wollten; ein Regime, dessen Selbstbewusstsein so gering ausgeprägt ist, dass es vermeintliche Beleidigungen mit Jahre langen Strafen wie ein schweres Verbrechen ahndet; ein solcher Staat kann, bei allen großen Sympathien für das Land selbst und seine Menschen, nicht wie ein Rechtsstaat behandelt werden.

Man sollte dieses Land meiden, bis es die körperliche und psychische Unversehrtheit seiner Besucher wieder gewährleisten kann.

Gerd Appenzeller

Zur Startseite