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Obama in Deutschland: Warum Berlin, Mr. President ?

Die US-Präsidenten und Berlin, das ist eine besondere Beziehung. Die Besuche der Staatsmänner haben Spuren hinterlassen. In der Geschichte der Stadt, die einst Ost und West trennte. Und im kollektiven Gedächtnis der Berliner.

Die Besuche amerikanischer Präsidenten haben die Berliner besonders zu Mauerzeiten bewegt wie kaum etwas sonst. Das reichte vom unbeschreiblichen Jubel für John F. Kennedy bis zu den tosenden Krawall-Demonstrationen gegen Ronald Reagan. Niemand, der dabei war, wird die Szenen je vergessen.

Als John F. Kennedy an jenem strahlenden Junitag 1963 im offenen Wagen durch Berlin fuhr, stand die Stadt unter einer ungeheuren Spannung. Wenn der Dritte Weltkrieg ausbrechen würde, dann hier, dachte man damals. Den West-Berlinern war klar: Das Schicksal und die Zukunft der Stadt Berlin hängen von diesem Mann ab. Millionen säumten die acht Stunden währende 53 Kilometer lange Triumphfahrt des US-Präsidenten. In dem unbändigen Jubel entlud sich auch die Angst um die eigene Existenz. Die Berliner im freien Teil der Stadt waren auf Solidarität dringend angewiesen. Das ultimative Solidaritäts-Bekenntnis „Ich bin ein Berliner“ kam wie eine Erlösung. Kennedy wurde wie ein Heilsbringer gefeiert. Aus den Feinden des Zweiten Weltkriegs waren innerhalb kurzer Zeit Freunde und Beschützer geworden. Berlin war nicht nur Berlin, sondern auch ein Stück Amerika, das es zu verteidigen galt. Aber nicht nur für die Berliner war dieser Tag ein Höhepunkt. Auch für Kennedy selber. In der kurzen, ihm verbleibenden Spanne seines Lebens habe er sich immer mal wieder die Bilder von der Jubeltour angeschaut. So erzählte es Jahrzehnte später bei einem Berlin-Besuch Eunice Shriver, die Schwester, die den Präsidenten damals begleitet hatte. So groß und so unschuldig wie damals war die Liebe nie mehr zwischen den Berlinern und den Amerikanern.

Zwischen Jubel und Protestmärschen

Weit weniger denkwürdig verliefen die Besuche Richard Nixons und Jimmy Carters, obwohl zu Mauerzeiten auch weiterhin jede Solidaritätsbekundung eines amerikanischen Präsidenten große Bedeutung hatte. Nixon sprach 1969 davon, dass Berlin „eine Stadt in einer Nation“ sei. Zwar bekam er in Berlin „den bisher herzlichsten Empfang während seiner Europareise“, wie der Tagesspiegel vermerkte. Ohne Proteste ging das auf dem Höhepunkt des Vietnamkriegs aber auch nicht ab. Demonstranten verbrannten Nixon-Bilder und bewarfen die präsidiale Kolonne mit Steinen und Farbbeuteln. Jimmy Carter wurde im Juli 1978 schon wieder enthusiastischer empfangen und sicher auch für seine deutschen Reimkünste bejubelt: „Was immer sei, Berlin bleibt frei“. Das Berliner Herz hat immer für die demokratischen Präsidenten geschlagen.

Ronald Reagan taugte schon bei seinem ersten Besuch im Juni 1982 als Feindbild. Es gab Krawalle mit vielen Verletzten, bei denen 242 Festnahmen gezählt wurden. Zehntausende von Demonstranten waren dem Aufruf von 190 Organisationen gefolgt, um gegen den US-Präsidenten und seine Politik zu demonstrieren. Dabei sagte er inhaltlich nichts anderes als das, was Kennedy mit „Ich bin ein Berliner“ meinte. In Reagans Worten klang das nur nüchterner: „Unsere Freiheit ist unteilbar.“

Auch sein zweiter Besuch war von Demonstrationen geprägt. Erst im Nachhinein hat sich seine historische Rede als Leuchtturm dieses Besuchs herauskristallisiert. Am 12. Juni 1987 lag das Lalülala der Polizeiwannen wie ein Klangteppich über der Stadt. An diesem sonnigen, warmen Morgen drang es von fern bis in den weiträumig abgesperrten Tiergarten hinüber. Hier war es still und sonnig und idyllisch. Die zur Rede geladenen 25 000 Berliner hatten sich schick angezogen. Man musste zeitig da sein und hatte noch viel Zeit, die riesige Plexiglaswand zu bestaunen, vor der Ronald Reagan nach Westen gerichtet sprechen sollte. Reagans Wort vom „Reich des Bösen“ war bei den Zuhörern noch sehr präsent. Dass er selbst schon viel weiter war, ahnte wohl keiner. Gefahr drohte ihm nicht nur vom kommunistischen Osten her, sondern auch von den hasserfüllten Randalierern. Der damalige Innensenator Wilhelm Kewenig ließ vorsichtshalber den U-Bahn-Verkehr nach Kreuzberg unterbrechen. Viele, die später in Amt und Würden gerieten, hingen an diesem Tag in Polizeikesseln fest.

Reagan polarisiert

Reagan war ein Mann, der polarisierte. Obwohl er in seiner Rede auch auf die Demonstrationen bei seinem ersten Besuch einging und seine Politik der Härte gegenüber der Sowjetunion erklärte, gab es keine erkennbaren Anzeichen dafür, dass er an diesem Junitag half, Kennedys Versprechen einzulösen und den Kalten Krieg zu gewinnen. Eigentlich sollte es in der Rede nämlich vor allem um Olympische Spiele in beiden Teilen der Stadt gehen. Den emotionalen Aufruf, die Mauer niederzureißen und das Tor zu öffnen, hatten die Diplomaten des Secretary of State aus dem Manuskript gestrichen. Peter Robinson, Reagans Redenschreiber, erzählte später, wie der Präsident auf dem Weg zum Brandenburger Tor die Sätze wieder hineinschrieb. Auch hier stand er, obwohl so ganz anders empfangen als Kennedy, in der Tradition seines Vorgängers. Beide US-Präsidenten machten Geschichte mit Formulierungen, die ihnen die Atmosphäre des Augenblicks eingegeben hat. Es gab bei diesen Worten lebhafte Reaktionen, aber keinen brausenden Jubel. Richtig laut wurde der Beifall, als sich Reagan zu den Demonstrationen äußerte. Die waren das beherrschende Thema der Stadt. Es gab 300 Verletzte, darunter 92 Polizisten. Darüber vor allem sprachen natürlich auch die 25 000 Gäste am Brandenburger Tor miteinander. Eine Wiedervereinigung konnte sich niemand vorstellen.

Clinton geht als erster durchs Brandenburger Tor

Noch ging Reagans große Vision im Lärm der Randale und im Trubel um die Feier zum 750. Geburtstag der Stadt unter, aber er sprach sie aus. „Ja, quer durch Europa wird die Mauer fallen. Denn sie kann dem Glauben nicht standhalten. Sie kann der Wahrheit nicht standhalten. Die Mauer wird der Freiheit nicht standhalten können.“ Nur drei Jahre später kehrte er, schon nicht mehr Präsident, als Mauerspecht zurück, um sich sein eigenes Stück aus der Mauer herauszupicken.

Die Ernte fuhr sein Nachfolger ein. Bill Clinton sollte der erste US-Präsident werden, der durchs offene Brandenburger Tor schreitet. Das wurde natürlich im besten Hollywood-Stil inszeniert. Er ging zu den Klängen eines Prozessionsmarsches von Westen nach Osten, zusammen mit Frau Hillary und Helmut und Hannelore Kohl. Es war ein strahlender Julitag im Jahr 1994, fast genau 31 Jahre nach Kennedys Rede. Auch Clinton hatte deutsche Sätze mitgebracht, das verlangte inzwischen die Tradition. Aber Worte konnten kaum so groß sein wie das, was geschehen war. „Nichts wird uns aufhalten. Alles ist möglich. Berlin ist frei“, rief er in seiner Rede ganz im Sound der Generation Rock ’n’Roll vor 50 000 Zuschauern. Fünf Jahre nach dem Fall der Mauer sicherte er Berlin noch einmal Solidarität zu: „Amerika steht an Ihrer Seite – jetzt und für immer“. Dass von Deutschland künftig erwartet werden würde, auch an der Seite Amerikas zu stehen, dämmerte da langsam auf. Clinton wurde herzlich empfangen, aber längst nicht so überschäumend wie Kennedy. Demonstrationen provozierte er ebenfalls nicht. Zweimal kam er während seiner Amtszeit noch zurück nach Berlin. Am 14. Mai 1998 taufte er fünfzig Jahre nach der Berliner Luftbrücke eine Boeing C-17 der U.S. Air Force auf den Namen „The Spirit of Berlin“. Und übte sich noch einmal im Deutschen: „Berlin bleibt doch Berlin“. Aus Anlass des Gipfeltreffens „Modernes Regieren im 21. Jahrhundert“ war er im Juni 2000 ein letztes Mal als Präsident in der Stadt. Diesmal wurde er ausgerechnet im Prenzlauer Berg mit großem Jubel empfangen. Der damalige Kanzler Schröder hatte ihn eingeladen zu einem spontanen Besuch des elsässischen Restaurants „Gugelhof“.

Der Irak-Krieg belastet das Verhältnis

Im Rückblick haben Besuche von US-Präsidenten immer gezeigt, dass die Zukunft voller Unwägbarkeiten ist. Hätte sich einer der Jubelnden beim Kennedy-Besuch vorstellen können, dass selbst Politiker in Berlin mal gegen den Besuch eines US-Präsidenten in Berlin protestieren könnten? So war es, als George W. Bush 2002 in die Stadt kam, um als erster US-Präsident vor dem Bundestag zu sprechen. Obwohl damals auch Antikriegstransparente entrollt wurden, kam Bushs Rede bei den Abgeordneten unerwartet gut an, weil er auch auf die Mahnungen europäischer Verbündeter einging. Mit dem damaligen Kanzler Gerhard Schröder aß er bei „Theodor Tucher“ eine Currywurst, was seine Popularität aber nicht ansatzweise in Clinton-Dimensionen steigern konnte. Die Berliner bekamen von dem Besuch vor allem die martialischen Sicherheitsvorkehrungen mit. Kurz vor dem Irak-Krieg war den Leuten nicht nach Jubeln zumute.

Obama bringt eigene Visionen mit

Das änderte sich im Juli 2008, als Barack Obama zum ersten Mal nach Berlin kam, damals noch als Präsidentschaftskandidat. Seinen Wunsch, vor dem Brandenburger Tor zu sprechen, erfüllte ihm Bundeskanzlerin Angela Merkel zwar nicht. Dafür strömten 200 000 begeisterte Berliner zur Siegessäule, um den Kandidaten sprechen zu hören und ihn zu feiern. Vielleicht lag an jenem Tag etwas vom Geist Kennedys in der Berliner Luft. Vor 50 Jahren hatte er die Vision mitgebracht, dass die freie Welt den Sieg davontragen, und dass Berlin dafür ein Symbol werden würde. Genauso ist es gekommen. Kurz nach seinem Berlin-Besuch legte Kennedy dem US-Kongress eine Gesetzesvorlage zur Gleichberechtigung aller US-Bürger vor. Barack Obama muss gar keine Rede halten, um an seinen Vorgänger zu erinnern. Er ist ja gewissermaßen selber eine lebendige Erinnerung an all die Wendungen zum Guten, die 1963 ihren Ausgang nahmen. Als Präsident wird Obama diesmal vor dem Brandenburger Tor sprechen – und neue, eigene Visionen mitbringen.

Elisabeth Binder

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