Gesundheitsministerium wiegelt ab: War der Astrazeneca-Stopp überhaupt rechtens?
Gesundheitsminister Spahn hat das Impfen mit Astrazeneca ausgesetzt. Doch auf welcher Rechtsgrundlage eigentlich? Eine Spurensuche.
Es war eine Ankündigung mit erheblichen Folgen: Die Bundesregierung setze Impfungen mit dem Astrazeneca-Impfstoff „vorsorglich aus“, erklärte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Montagnachmittag – und verwies dabei auf die gleichfalls am Montag veröffentlichte Empfehlung des Paul-Ehrlich-Instituts (hier lesen Sie die Erklärung des PEI im Wortlaut). „Es ist eine fachliche Entscheidung, und keine politische“, sagte Spahn.
Doch was genau hat die Regierung entschieden – und welche Rechtsgrundlage hat die Entscheidung? Eine Sprecherin Spahns blieb die Antworten auf Anfrage von Tagesspiegel Background schuldig und verwies lediglich auf eine FAQ des Bundesgesundheitsministeriums (BMG). „Weitere Details kann ich Ihnen aktuell dazu nicht übermitteln“, erklärte sie.
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Bis Montag waren sieben Fälle schwerer Hirnvenen-Thrombosen bekanntgeworden, am Dienstag ein achter: Diese Erkrankung sei auch aufgrund der bislang drei Todesfälle so schwerwiegend, „dass es nicht zu vertreten ist, ohne Prüfung weiter zu impfen“, erklärt das Ministerium in der FAQ.
PEI-Experten seien „EINSTIMMIG zum Ergebnis gekommen“, dass die Zwischenfälle mit der Impfung zusammenhängen könnten – die Impfungen müssten vorläufig gestoppt werden. Auch, da die zu impfenden Personen zukünftig über mögliche Nebenwirkungen aufgeklärt werden müssen.
Rechtgrundlage in den Ländern unklar
Während Spahn und das BMG den Impfstopp als fast schon zwangsläufige Folge der PEI-Empfehlung darstellen, widerspricht das Paul-Ehrlich-Institut hier. Das Ministerium „kann sich danach richten“, sagt eine PEI-Sprecherin.
Das Institut ist eine nachgelagerte Behörde des BMG. Nach Informationen von Tagesspiegel Background wurde bei der einer Sondersitzung des Gesundheitsausschusses am Mittwoch zwar auch die Frage diskutiert, ob das Ministerium sich über die Empfehlung hinwegsetzen könnte – jedoch nicht klar beantwortet.
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Spahn habe es so dargestellt, dass es in seiner Verantwortung liegt, die Verwendung des Impfstoffes zu erlauben oder zu verbieten.
Kurz nach seiner Pressekonferenz am Montag hatten Ärzte in Impfzentren die Impfungen mit Astrazeneca gestoppt: Das BMG informierte parallel die Bundesländer über die PEI-Empfehlung und die Entscheidung, die Impfung auszusetzen, welche wiederum die Impfzentren informierten.
Gesundheitsministerium kann Rechtsverordnungen erlassen
Doch auch diesen ist die Rechtsgrundlage offenbar unklar. Die nordrhein-westfälische Landesregierung bezeichnet das Schreiben des BMG als Vorgabe. Es habe die Impfzentren entsprechend angewiesen – hierbei selbst aber keine Paragrafen angeführt, wie ein Sprecher erklärt.
„Wir sahen uns durch den Bund und dessen Hinweis auf das PEI verpflichtet“, sagt die Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit. „Dies ist eine Entscheidung des Bundes“, erklärt das Sozialministerium Sachsen. „Bitte erfragen Sie die genauen Rechtsgrundlagen im Bundesgesundheitsministerium.“
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Rechtlich hätte dieses durchaus einige Möglichkeiten: Im Fall einer „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ kann es Rechtsverordnungen erlassen, die verschiedenen Aspekte etwa bei der Arzneimittelzulassung, Beschaffung oder Abgabe von Arzneimitteln regeln.
Auch könnte bei einem begründeten Verdacht schädlicher Wirkungen ein Rückruf angeordnet werden – doch eigentlich nicht vom BMG, sondern den zuständigen Bundesoberbehörden.
In Bezug auf den Impfstoff ist die Bundesregierung auch „Inverkehrbringer“, da sie den Impfstoff für Deutschland zentral einkauft und an die Länder verteilt, wie die Gesundheitsministerkonferenz im November beschlossen hatte.
Wer ist "Herr der Impfkampagne"?
„Nach Lieferung der Impfstoffe an die von den Ländern benannten Standorte, werden sie in eigener Verantwortung der Länder und unter Anwendung der STIKO Empfehlungen in Impfzentren einschließlich durch mobile Impfteams an die Bevölkerung und gegebenenfalls durch Betriebsärzte an bestimmte Berufsgruppen verimpft“, heißt es in dem Beschluss.
Als Eigentümerin des Impfstoffs kann die Bundesregierung die Lieferungen stoppen – doch kann sie den Ländern anschließend die Verwendung des bereits gelieferten Impfstoffs untersagen?
Das BMG habe offenbar „als Herr der Impfkampagne“ agiert, sagt der Bonner Arzneimittelrechts-Spezialist Burkhard Sträter. Die Länder könnten seiner Einschätzung nach wohl in eigener Verantwortung weiter impfen – doch wer traue sich das?
Die Risiken seien ernstzunehmen, gleichzeitig könne eine Nutzen-Risiko-Abwägung am Ende positiv ausfallen. „Ich bin da verhalten, Vorwürfe zu machen“, sagt Sträter. „Die Situation ist so außergewöhnlich.“
Der Artikel ist eine gekürzte Version eines ausführlichen Beitrages im Entscheider-Briefing Tagessspiegel Backgound. Ein kostenloses Probeabo gibt es hier.
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