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Bundestagswahl 2017: Wahlplakate zwischen Materialschlacht und Mahnung

EiBis zur Bundestagswahl soll Berlin in einem Dschungel aus 700.000 Plakaten verschwinden. Doch was bringen die eigentlich noch?

Wahlplakate sind wie Vorsorgeuntersuchungen: Keiner kann sie leiden, alle juxen sich eins drüber, aber an ihrer Notwendigkeit gibt es dann doch kaum Zweifel. „Tagesschau“ hin, soziale Netzwerke her: „Internet und sozialen Medien kann sich der potenzielle Wähler entziehen“, sagt Helmut Metzner von der FDP-Landesgeschäftsstelle kalten Herzens, „der Straßenplakatierung nicht.“ Mithin ist allen Plakaten, egal von wem, eine Botschaft gemein: Leute, geht wählen. Und das rechtfertigt vermutlich auch den Aufwand.

Unter 700.000 Plakaten soll allein Berlin bis zum 24. September verschwinden, und die meisten davon sind schon da. Denn nur die Großen können es sich leisten, in verschiedenen Phasen zu arbeiten und den Aufwand bis zur Wahl zu steigern – bis dann sicher Angela Merkel die unangefochtene Königin der Hauptverkehrsstraßen verkörpert, wie immer.

Die Formate der Plakate sind normiert, sofern es um den öffentlichen Straßenraum geht, aber auf Privatgelände kann natürlich jeder machen, was er will. Deshalb umfasst das größte Berliner Plakat 624 Quadratmeter: Thomas Heilmann von der CDU hat den Steglitzer Kreisel damit zugepflastert. „Berlin hat noch Luft nach oben“, heißt es darauf sinnfällig, „Heilmann für hier, Merkel für alle“.

AfD Plakate haben geringe Überlebenschance

Ein Sonderfall. Sonst scheinen sich die Parteien, selbst die ganz schrägen, den Größen- und Ortsvorgaben der Ordnungsämter zu fügen. An den Laternen sieht es so ordentlich aus, als hätten nicht bienenfleißige Falken oder Jungunionisten nach Feierabend plakatiert, sondern eine neutrale Spezialfirma („Sie wollen ganz oben hängen? Macht dann pro Stück noch mal 93 Cent plus Mehrwert.“) Am weitesten oben hängt allerdings – meist solo – die AfD, wohl, um ihren Gegnern aus dem Antifa-Lager zu entrücken.

Wo die junge Rechtspartei bodenständig plakatiert, gibt es ohnehin nur Ärger. Von den beiden Badenixen mit dem Spruch „Burkas? Wir steh’n auf Bikinis“, provokant direkt vor der SPD-Zentrale auf den Mittelstreifen der Wilhelmstraße gestellt, existieren nur noch Fetzen. Grundregel: Was die Antifa-Szene sexistisch und/oder islamophob findet, hat speziell in Kreuzberg nicht mehr Überlebenschancen als ein Schneeball in der Hölle. Und selbst die vier schwarzen Geier auf dem Schlagbaum, denen die AfD die Worte „Sozialstaat?“ Braucht Grenzen“ in den Schnabel legt, sind längst per Mini-Aufkleber mit einem Gegenzauber belegt: „Nazis einen Vogel zeigen“.

Zur Bundestagwahl verschwindet Berlin in einem Dschungel aus Wahlplakaten.
Zur Bundestagwahl verschwindet Berlin in einem Dschungel aus Wahlplakaten.
© Kumm/ dpa

Von solchen Sonderfällen abgesehen sind die Plakate überwiegend austauschbar, vorhersehbar, einfallslos – aber das ist ein Vorwurf, der vermutlich schon seit der zweiten Bundestagswahl 1953 als Allgemeinplatz gelten darf, das ist nun mal so. Was in Berlin gegenwärtig zu sehen ist, stammt aus dem kleinen PR-Handbuch für praktische Motivationsstrategien. Alle sind mit aller Kraft für irgendwas Gutes, Gegnerschaft ist dagegen rar, sieht man davon ab, dass die Linkspartei den Millionären an die Gurgel gehen und die „Partei für Gesundheitsforschung“ Krebs, Alzheimer und Herzinfarkt abwählen lassen will. Fast jeder Spruch liest sich wie im Windkanal der Werbeagenturen zurechtgefönt, und etwas anderes als Zustimmung ist nicht denkbar, wenn die SPD mutig „Bildung darf nichts kosten. Außer etwas Anstrengung.“ fordert. Etwas Anstrengung, das ist wichtig, um bildungsferne Schichten nicht über Gebühr zu bedrängen.

Bei der SPD gibt es für den Für-Wahlkampf anscheinend sogar einen Plakatbaukasten, wie ihn der Reinickendorfer Kandidat Thorsten Karge zeigt. Er kämpft an jeder Laterne für etwas anderes Unumstrittenes, „für gut sanierte Schulen“, „für echte Integration“, „für faire Bezahlung“, bis es am Ende sogar heißt: „Thorsten Karge kämpft für besser machen“. Das ist ein schönes, allgemeingültiges Ziel, an dem allenfalls konservative Deutschlehrer herummäkeln werden. Wer wollte nicht alles besser machen? Das Dumme ist nur, dass an den selben Laternen auch das Foto des Platzhirschs Frank Steffel hängt, der langsam ins silbrig Staatsmannhafte driftet und schon Kohorten ehrgeiziger Sozialdemokraten abgewettert hat wie Bud Spencer die unrasierten Cowboys – Nord-Reinickendorf halt.

{Harmoniegewitter statt harten Forderungen}

Die Großen haben sich auf Großes festgelegt. „Zeit für mehr Gerechtigkeit“ heißt es bei der SPD, während die CDU den alten Adenauer-Slogan „Keine Experimente“ wortreich neu ausdeutet: „Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“. Das ist lang, sehr lang, und der offizielle Hashtag dazu, #fedidwgugl, hat schon allerhand Häme auf sich gezogen – vermutlich ein Trick, um den Feind sich bei Twitter auf Nebenschauplätzen leerspotten zu lassen.

Die FDP setzt bundesweit zu hundert Prozent auf Christian Lindner, den Mann, der aktuell auf dem freidemokratischen Dampfschiff alles regelt und beim Verschwinden seinen Bartschatten zurücklassen kann wie die Katze in Alices Wunderland ihr Grinsen. Aber regional lässt die Partei auch mal das Mannschaftsdeck ablichten, zum Beispiel den Berliner Bewerber Christoph Meyer, der als „Tegelretter“ vorgestellt wird.

In Kreuzberg rund um den Askanischen Platz ist Multikulti längst nicht mehr Programm, sondern Alltag. Denn so lässt sich wohl der Kampf zwischen Timur Husein (CDU) und Cansel Kiziltepe (SPD) interpretieren, die beide oft einträchtig über- und untereinander von den Laternen grüßen, dabei aber recht wortkarg bleiben. Husein übt sich in elegant verknapptem Doppelsinn für Einsteiger und verspricht „Mit Sicherheit“, während Kiziltepe für ihre Drohung doppelt so viele Worte braucht: „Dein Kiez regiert mit.“ Meiner? Ich weiß nicht.

Harmoniefalle schlägt zu

Die Großplakate beider Parteien zeigen durchweg nette Leute im besten und allerbesten Alter, junge Familien dazu. Alle sind so gut drauf und frisch gebügelt, dass ihnen die nebenan angeordneten Wahlversprechen im Grunde schnurz sein können. Das ist die Harmoniefalle, aus der es für konventionell denkende Wahlkämpfer kein Entrinnen gibt; selbst die in Armut lebenden Kinder der Linken werden durch ein rosa Herz positiv symbolisiert. Und die Grünen geben sich wolkig, teilen vor rot-grünem Blütenhintergrund mit, eine bessere Zukunft komme nicht von allein, und sie schlagen vor, diesem Ziel pragmatisch durch Anforderung der Briefwahlunterlagen näherzurücken.

In diesen Harmoniegewittern wäre man fast schon froh, wenn irgendeine Partei entschlossen höhere Mieten und niedrigere Löhne fordern würde, nur um mal ein wenig Abwechslung ins Einerlei zu bringen. Diese Abwechslung schaffen wenigstens die kleinen bis kleinsten Parteien, für die die Plakatkampagne die einzige Chance zur Selbstdarstellung ist. Von den Gesundheitsforschern, denen jegliches Siechtum nur eine Teufelei der Pharmaindustrie ist, war schon die Rede. Aber es gibt natürlich auch noch die im leeren Raum zwischen Trotzki, Mao und Lenin herumirrenden Steinzeitkommunisten, die immer irgendwas mit ML im Namen haben und wie die MLPD bündig fordern: „Diesmal radikal links!“

Für diesen überfälligen Schritt bieten sie Porträts einschlägiger Politschurken wie Lenin und Guevara auf, biedern sich bei eventuell linksradikalen Kurden an und fordern wie einst im West-Berliner Mai „Hoch die internationale Solidarität!“. Das ist Feinkost für Plakat-Gourmets, so etwas liest man längst nicht mehr alle Tage. Und nachdem es nun mit dem richtigen Sozialismus auch in Venezuela wieder nicht richtig hingehauen hat, könnte sich Deutschland ja wirklich mal ein bisschen Mühe geben.

Seltene Einzelbewerber

Nur ganz selten und zufällig wird der Wahlwanderer einem Plakat eines Einzelbewerbers begegnen. Einzelbewerber sind erstaunliche Menschen mit einer Botschaft, die in den Programmen aller echten Parteien komischerweise keine Resonanz gefunden hat, und es sind Menschen mit der merkwürdigen Überzeugung, sie, genau sie, seien der erste Einzelbewerber seit Menschengedenken, der wirklich mit seinen Ideen durchdringt. Einen davon finden wir in einigen Wahlkreisen von Friedrichshain, Kreuzberg und Prenzlauer Berg. Es ist Sebastian Blume, der seine Forderungen in die stilisierten Blätter einer Sonnenblume eingetragen und das Plakat vor der SPD-Zentrale an eine Laterne geheftet hat. „Selbstbestimmendere Schulbildung!“ steht da, „Ökologische Hightech-Revolution“ und „Existenzgründung leicht gemacht“. Ja, gut – aber werden ratlose Wähler, die das lesen, nun enthusiastisch sagen, hey, wir wählen jetzt mal den Blume? Wohl eher nicht. Aber dieses Problem haben auch alle anderen Plakate. Mobilisieren sie die eigenen Wähler, ist das Ziel erreicht. In 700.000 Fällen.

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