zum Hauptinhalt
Wahlenthaltung ist oftmals eine bewusste Entscheidung.
© dpa

Was würden Wahlwochen bringen?: Wahl oder Nichtwahl - das ist hier die Frage

Um die Wahlbeteiligung zu erhöhen, will die SPD „Wahlwochen“ einführen und auch mobile Wahlkabinen einsetzen. Könnten dadurch Nichtwähler mobilisiert werden? Warum bleiben Nichtwähler zu Hause?

Lange galten sie der etablierten Politik als Anlass höchstens zu sehr allgemeiner Sorge – dass die Wahlbeteiligung in Deutschland und in vielen anderen Demokratien sinkt, wurde oft wie eine Art Naturgesetz behandelt, bedauerlich, doch nicht zu ändern. Aber seit einiger Zeit interessieren sich auch Union und SPD, Linke und Grüne wieder stärker für das unbekannte Wesen Nichtwähler. Denn es taucht plötzlich auf, und an Stellen, wo es den anderen weh tut.

Der „Alternative für Deutschland“ (AfD) hat ein starker Anteil ehemaliger Nichtwähler in die Parlamente in Ostdeutschland geholfen, die erste Partei überhaupt, der eine solche Mobilisierung vormals Abstinenter in nennenswertem Umfang gelang. Die Menschen, die unter der wabernden „Pegida“-Flagge in Dresden auf die Straßen gehen, dürften zu großen Teilen ebenfalls zur Gruppe der Wahlverweigerer zählen. Was Wunder, dass die anderen Parteien darüber nachdenken, wie sie solche Wählergruppen neu- oder zurückgewinnen können. Ob „Wahlwochen“ statt eines Wahltags und mobile Wahlkabinen wie in Schweden das Problem lösen, wie sie SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi ins Gespräch bringt, erscheint doch zweifelhaft.

Wie groß ist das Problem?

Die Wahlbeteiligung geht in Deutschland seit langem kontinuierlich zurück. Allerdings hängt das Ausmaß stark davon ab, welches Parlament gewählt werden soll. Bei Europawahlen ist die Beteiligung traditionell gering, seit der Jahrtausendwende überschreitet der Anteil der Nichtwähler konstant die 50-Prozent-Marke. Bei der Bundestagswahl gibt hingegen immer noch die große Mehrzahl ihre Stimme ab. Eine imaginäre „Partei der Nichtwähler“ wäre dort bisher nur ein einziges Mal – 2009 – stärkste Fraktion noch vor der CDU/CSU im Reichstag geworden; 2013 hatte Angela Merkels Union selbst dann wieder die Nase knapp vorn, wenn die Sitze auf der Basis aller Berechtigten berechnet worden wären und nicht wie üblich nur auf Basis der gültigen Stimmen. In den Bundesländern wiederum ist stellenweise das Europawahl-Szenario erreicht. In Brandenburg lag die Zahl der Nichtwähler zuletzt bei 52 Prozent, in Thüringen bei 47 Prozent.

Warum bleiben diese Massen zu Hause?

Darüber gibt es in der Wissenschaft wenig belastbares Datenmaterial und viel Streit. Im Groben stehen sich zwei Thesen gegenüber. Eine Denkschule sieht im Vergleich mit anderen, älteren Demokratien in geringer Wahlbeteiligung einen ganz normalen Vorgang. So ist in den USA, einem der Mutterländer der Demokratie, massenhafte Wahlenthaltung seit langem gang und gäbe. Auch die meisten Schweizer ignorieren ihre Nationalwahlen. Vertreter dieser Theorie sehen das geringe Interesse oft zugleich als gutes Zeichen – die Leute seien mit dem System zufrieden und sähen keinen Grund zu Veränderung. Dem steht die zweite Schule gegenüber, die die Enthaltung als Krisensymptom wertet. In dieser Sicht sind die Verweigerer mit der Politik und ihrem Dasein unzufrieden, sehen aber keine Chance, daran Wesentliches zu ändern. Nicht wählen wäre mithin nichts anderes als aus Protest eine Außenseiterpartei anzukreuzen, nur eben noch konsequenter.

Immerhin haben beide Thesen eine Gemeinsamkeit: Sie gehen davon aus, dass nicht Trägheit, Vergesslichkeit oder schlechtes Wetter für das Nichtwählen verantwortlich ist, sondern eine bewusste Entscheidung. Tatsächlich weisen die wenigen Studien zum Thema in diese Richtung. Nichtwähler, lautet ein gängiger Schluss in der Wahlforschung, sind „Wähler im Wartestand“.

Wer sind diese Nichtwähler?

Das Datenmaterial ist, wie gesagt, recht dünn. Das liegt in der Natur der Sache – Wähler kann man befragen, wenn sie aus dem Wahllokal kommen, Nichtwähler nicht. Man weiß ja nicht einmal, wie viele ungültige Stimmzettel in den Urnen aktiven Protest ausdrücken.

Schwierig zu deuten sind aber auch viele Erkenntnisse, die aus Befragungen bekennender Nichtwähler stammen. So waren von den 860.000 Wahlverweigerern bei der Landtagswahl in diesem Jahr in Thüringen schon mehr als 800.000 fünf Jahre vorher ebenfalls daheim geblieben. Andere Befunde deuten aber darauf hin, dass Nichtwähler zu sein für die meisten keine Dauerentscheidung ist, sondern oft mit konkretem Frust über die favorisierte Partei einhergeht. Dass praktisch alle Nichtwähler finden, die Parteien müssten sich wieder mehr um die alltäglichen Sorgen der Menschen kümmern, steht dazu nur scheinbar im Widerspruch: Diese „wirklichen“ Sorgen sind für jeden andere. Sogar innerhalb der Lager sind die Erwartungen widersprüchlich. Als Demoskopen von Forsa unionsnahe Nichtwähler fragten, wie sich CDU und CSU ändern müssten, fanden 69 Prozent die Union nicht modern genug und gleichzeitig 47 Prozent nicht hinreichend konservativ.

Was bringen Vorschläge für mehr und mobile Wahllokale oder „Wahlwochen“?

Vermutlich hat in diesem Fall CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer recht: „Die Wähler sind nicht wie nach Fahimis Theorie bequem und faul, sondern intelligent und sich ihres Verhaltens sehr bewusst.“ Wer nun mal nicht wählen will, will es auch im Postamt, in der Kneipe oder an einer mobilen Würstchenbudenurne nicht. Wer hingegen wählen will, aber aus praktischen Gründen nicht kann, dem steht ja schon die Briefwahl offen. Diesen bequemen Weg nutzen immer mehr Wähler. Die Wahlbeteiligung sinkt trotzdem. Der innenpolitische Sprecher der Grünen, Volker Beck, sagte: „Es ist wichtig und richtig, dass sich die Politik mit der nachlassenden Wahlbeteiligung nicht abfindet.“ Die Vorschläge der SPD-Generalsekretärin seien aber nicht der Weisheit letzter Schluss. „Ein langweiliger Kinofilm wird auch nicht besser, wenn man ihn länger laufen lässt“, sagte Beck. Politik müsse wieder unterscheidbarer werden. „Und da müssen wir uns alle an die eigene Nase fassen.“

Zur Startseite