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Oskar Lafontaine und seine Lebensgefährtin Sahra Wagenknecht bei einem Strategiekongress der Linken im Mai 2012 in Berlin
© dpa

Strategiekonferenz: Wagenknecht sieht Linkspartei in Existenzkrise

Zwei Wochen vor dem Bundesparteitag zeichnet sich noch nicht ab, wie die neue Parteiführung der Linken aussehen könnte. Sahra Wagenknecht machte am Sonntag ihre Partei selbst für viele Fehler verantwortlich.

Vor dem Tagungshaus der Berliner Stadtmission nahe dem Hauptbahnhof steht der Dienstwagen des Botschafters von Venezuela, der Fahrer putzt ihn gemeinsam mit seinem Sohn blitzblank. Der Diplomat ist einer von rund 300 Gästen einer Konferenz, auf der sich der linke Flügel der Linkspartei am Sonntag Gewissheit verschaffen will: „Inhaltlich Kurs halten“, lautet die Vorgabe in den Flyern, „Orientierung auf Protest und außerparlamentarischen Widerstand anstatt auf Anbiederei an andere Parteien“. Ein Hund strolcht durch den Saal. „Oskar come back“, fordert der Köter auf Papptafeln, die um ihn herumgebunden sind.

Zwei Wochen vor dem Bundesparteitag ist die Linke verunsichert. Sie soll in Göttingen eine neue Führung wählen. Doch bisher gibt es nur einen Kandidaten für den Vorsitz, den Reformer Dietmar Bartsch. Frauen – mindestens eine muss es laut Satzung in der Doppelspitze geben – haben sich noch nicht gemeldet. Auch Oskar Lafontaine, der Ex-Vorsitzende, zögert noch. Er ist bereit zu kandidieren, wenn er gerufen wird, und hat sich nach Angaben seines Vertrauten, des Vize-Parteichefs Heinz Bierbaum, selbst mit diesem Angebot unter Bedingungen „außerordentlich schwer getan“. Wolfgang Gehrcke, Bundestagsabgeordneter aus Hessen, eröffnet die Tagung mit der Ansage, dass Lafontaine die Partei nicht unbedingt brauche, wohl aber die Linke Lafontaine brauche, „um wieder in die Parlamente zurückzukehren“. Gehrcke ruft aus: „Wir wünschen uns Oskar Lafontaine wieder an die Spitze der Partei!“. Es gibt viel Applaus. Wenigstens, bettelt Gehrcke, um „einen Übergang zu schaffen“. Sprechchöre schallen durch den Saal: „Oskar, Oskar“. Der so Umworbene, gerade eingetroffen zusammen mit seiner Lebensgefährtin Sahra Wagenknecht, lächelt verschmitzt.

Wagenknecht, früher Wortführerin der Kommunistischen Plattform und inzwischen aufgestiegen zur Vizechefin von Partei und Fraktion, hält das erste Hauptreferat. Noch nie, sagt sie, sei die Linke in einer „so existenziellen Krise“ gewesen. Man könne „nicht sicher sein“, dass das Projekt überleben werde. Die Wahlniederlagen nennt sie dramatisch, ausdrücklich in allen Teilen der Republik. Gehe es so weiter wie bisher, werde die Linke in Ost und West weiter verlieren „und keine gesamtdeutsche Partei mehr sein“. Objektive und hausgemachte Faktoren nennt Wagenknecht. Der „Reiz des Neuen“ sei weg. Auch helfe es der Linken nicht, dass die SPD ihr Regierungsbeteiligungen versage oder sie ganz aus den Parlamenten dränge. Es fehle die Perspektive, die inhaltlichen Forderungen umzusetzen, die Anhänger reagierten mit Wahlenthaltung. Zum „schwierigen Umfeld“ rechnet sie auch eine „fast flächendeckende Medienblockade“ . Und schließlich hätten die Piraten „mit dem Nimbus, ganz anders zu sein“, gerade bei jungen Leuten „sehr, sehr viel an Zustimmung gewonnen“.

Aber, bilanziert Wagenknecht: „Das alles hat uns nicht kaputtgemacht.“ Entscheidende Fehler sieht sie bei der Linken selbst, in einer „Selbstdemontage“ und „selbstzerstörerischen Debatten“. Hier nun ergreift die Vize-Parteichefin klar Partei für eine Seite. Und greift den Reformerflügel an, der immer wieder Stoff geliefert habe, um die Linke in der Öffentlichkeit als „hoffnungslos zerstrittenen Haufen“ zu präsentieren, „der seine Führung für Deppen hält“. Ein „mieses Spiel“ sei das, gerade werde es wieder gegen Lafontaine betrieben, nachdem der seine Bewerbung in Aussicht gestellt habe. Zu den hausgemachten Problemen rechnet sie auch ungeklärte strategische Fragen. „Völlig absurd“ sei es, eine „strategische Annäherung“ an die SPD zu propagieren. Bartsch nennt sie als einen Verfechter dieser aus ihren Sicht falschen Strategie.

Wagenknecht selbst, so scheint es nach dieser Rede, könnte Parteichefin werden – aber sie will das nicht. Schon gleich gar nicht in einer Doppelspitze mit Bartsch, der vor zwei Jahren auf Druck von Lafontaine als Bundesgeschäftsführer geschasst worden war. „Das habe ich immer ausgeschlossen. Es wäre keine Lösung, weil dann die Streitigkeiten weitergehen würden“, sagt sie dem Tagesspiegel. Auch Lafontaine hält, was eine Lösung des Streits angeht, seine Genossen weiter hin. Eine Kampfkandidatur sei ihm zu kräftezehrend. Doch würde er antreten, wenn es gelinge, „eine kooperative Führung aufzubauen, in der alle auf das gegnerische Tor schießen und nicht auf das eigene“. Er schließt mit dem Satz: „Beim Kampf werde ich nach wie vor, so lange ich noch etwas Temperament habe, dabei sein.“ Diesmal ist der Applaus minutenlang.

Am Abend wollte eine Spitzenrunde in Berlin – Ort und genauer Zeitpunkt wurden geheim gehalten – erneut eine Einigung versuchen. Teilnehmer sollten neben Bartsch und Lafontaine auch Parteichef Klaus Ernst und Fraktionschef Gregor Gysi sein. Parteivize Katja Kipping und Bundesgeschäftsführerin Caren Lay hatten sich erfolglos um eine Einladung bemüht. Die Erwartungen an eine Einigung waren gering. Lafontaine sagt vor dem Treffen nur: „Heute Abend trinke ich ein Glas Wein. Das kann ich mit Sicherheit sagen.“

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