Gregor Gysi von Israel-Kritikern verfolgt: Wagenknecht: Eine ziemlich üble Geschichte
Ein Israel-Kritiker lauert Linken-Fraktionschef Gregor Gysi auf und verfolgt ihn bis auf die Bundestagstoilette. Seine Stellvertreterin Sahra Wagenknecht nennt das "völlig inakzeptabel". Welche Konsequenzen folgen?
Der Ärger bei der Linken ist nicht verraucht. Auch zwei Tage nach der Aktion eines Israel-kritischen Journalisten, der Fraktionschef Gregor Gysi vor seinem Büro abgefangen und bis auf die Bundestagstoilette verfolgt hatte, erregen sich die Abgeordneten. Drei Mitglieder der Fraktion, die zum linken Flügel gehörenden Politikerinnen Inge Höger, Annette Groth und Heike Hänsel, haben sich bei Gysi entschuldigt - sie standen mit im Pulk, als der Publizist David Sheen gemeinsam mit weiteren Journalisten am Montagnachmittag Gysi vor seinem Bundestagsbüro bedrängte. Gleich mehrere Leute zückten bei der Aktion ihre Handy-Kameras und filmten.
Ausführlich hatte die Linksfraktion den Vorfall am Dienstag diskutiert, denn der aus Kanada stammende und Israel lebende Sheen und sein US-amerikanischer Journalisten-Kollege Max Blumenthal waren von Vertretern des linken Flügels der Fraktion eingeladen worden zu einem "Fachgespräch" zum Gaza-Konflikt am Montag im Paul-Löbe-Haus des Bundestages - namentlich von Höger und Groth. Vize-Fraktionschef Wolfgang Gehrcke hatte sich nach einigem Hin und Her aus den Planungen ausgeklinkt und war am Montag dann auch nicht dabei. Von der Veranstaltung aus, an der rund 60 Leute teilnahmen, zog ein Trupp zum Gysi-Büro, wütend, weil der Fraktionschef verhindert hatte, dass am Sonntag - dem Jahrestag der Reichspogromnacht - im Namen der Linksfraktion eine Veranstaltung mit den Israel-Kritikern in der Berliner Volksbühne stattfand.
Abends veröffentlichte die Fraktion eine Entschließung, laut der Gysi eine Entschuldigung der drei Abgeordneten Höger, Groth und Hänsel zwar annimmt. Zugleich heißt es in diesem Beschluss: "Gleichwohl verurteilt die Fraktion auf das Schärfste das Agieren gegenüber unserem Fraktionsvorsitzenden." Eine Wiederholung will die Fraktion ausschließen mit dem Satz: "Wer uns oder unsere Genossen so feindselig behandelt wie an diesem 10.11., mit dem werden wir nicht kooperieren." Auch Linken-Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn rügt: "Ein solches Verhalten ist mit meinem Verständnis linker Politik und politischer Kultur nicht vereinbar."
Lammert will Hausverbote erteilen
Konsequenzen zieht auch Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU). Er leitete am Mittwoch gegen Sheen und Blumenthal Verfahren zur Verhängung von Hausverboten ein. "Jeder Versuch, auf Mitglieder des Deutschen Bundestages Druck auszuüben, sie körperlich zu bedrängen und damit die Wahrnehmung der Aufgaben des Hauses zu gefährden", ist laut Lammert indiskutabel und muss unterbunden werden. Zuvor hat das American Jewish Committee (AJC) Berlin getwittert: "Irre Israelhasser verfolgen Gysi bis aufs Klo. Wer sorgt eigentlich für Sicherheit im im Bundestag?"
Auch die drei Abgeordneten Höger, Groth und Hänsel geben eine persönliche Erklärung ab. Ziel der Veranstaltung am Montag im Bundestag sei gewesen, "in den Medien verbreitete Anschuldigungen" gegen Sheen und Blumenthal zu klären - beiden werden Vergleiche der Politik Israels mit den Verbrechen der Nazi-Zeit vorgehalten. "Die Situation geriet außer Kontrolle", geben die drei Politikerinnen zu. "Als Gregor Gysi aus dem Büro kam, verfolgten ihn mehrere Personen und bedrängten und beschimpften ihn in völlig inakzeptabler Weise". Von einem "unwürdigen Vorgang" sprechen die Abgeordneten. Aus "billiger Sensationslust" sei ein Video dazu veröffentlicht worden, dem ursprünglichen Anliegen eines "fairen Dialogs über den Nahost-Konflikt" so geschadet worden.
"Ich würde die Verantwortlichen aus der Fraktion rausschmeißen"
Der sächsische Linke-Bundestagsabgeordnete Michael Leutert gehört zu den wenigen in der Fraktion, denen diese Einlassungen von Höger, Groth und Hänsel und auch die Entschließung der Fraktion nicht weit genug gehen. Dass Gysi, aus einer jüdischen Familie stammend, rund um den Jahrestag der Reichspogromnacht "von einem antisemitischen Mob aufgelauert und bedrängt" wurde, nennt er inakzeptabel. Und fordert, dass die drei Abgeordneten, die die Aktion unterstützt hatten, ihr Mandat zurückgeben sollen: "Ich würde die Verantwortlichen aus der Fraktion rausschmeißen", sagt Leutert dem Tagesspiegel.
So weit will die Frontfrau des linken Flügels, Gysis Stellvertreterin Sahra Wagenknecht, ausdrücklich nicht gehen. Wenn jedes "deutliche Fehlverhalten" gleich zum Ausschluss aus der Fraktion führe, wisse sie nicht, wie groß diese am Ende noch sei, sagt sie bei einem Pressegespräch. Und betont: "Die Hetzjagd hier haben nicht die Abgeordneten gemacht." Wohl aber sieht auch Wagenknecht ihre Kollegen, die Sheen und Blumenthal eingeladen haben, in Mitverantwortung. Es müsse in Zukunft ausgeschlossen sein, dass Linke-Abgeordnete Gäste in den den Bundestag holen, die den Fraktionschef "durch die Gänge jagen und bis auf die Toilette verfolgen". Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende versichert: "Ich will das nicht verharmlosen. Das war eine ziemlich üble Geschichte. So etwas darf niemals wieder vorkommen." Forderungen, nach denen nun die direkt oder indirekt beteiligten Abgeordneten die Fraktion verlassen müssten, weist Wagenknecht indes als "völlig absurde Vorschläge" zurück.
Sehr deutlich auf Distanz zu Höger, Groth und Hänsel geht dagegen der Berliner Linken-Landesvorsitzende Klaus Lederer. Er weist im Netzwerk Facebook darauf hin, dass Martin Lejeune das auf Youtube veröffentlichte Video zur "Belagerung" von Gysi gedreht hat - ein Journalist, der "die während es Gaza-Kriegs durch die Hamas vollzogenen Hinrichtungen in Gaza als extrem soziale Veranstaltung gerechtfertigt" habe. "Derart sind die Kooperationspartner unserer ,Israel-Kritikerinnen'. Wer sich mit solchen Leuten ins Boot setzt, kann niemandem mehr erklären, dass es ihm um eine differenzierte Sicht auf den Nahostkonflikt geht."
Vermutlich wird die Linksfraktion dennoch mit ihren radikalen Leuten vom linken Flügel vorerst weiter leben müssen - auch wenn diese SPD und Grünen immer wieder Argumente für eine Nicht-Zusammenarbeit liefern. Eine Rolle spielt dabei wohl auch das mit einem Rauswurf verbundene Risiko. Würden die Abgeordneten nicht freiwillig auf ihr Mandat verzichten und nach einem Ausschluss aus der Fraktion - oder der Partei - als Fraktionslose Angehörige des Bundestages bleiben, wäre die Linke nicht mehr größte Oppositionsfraktion. Sie hat derzeit 64 Abgeordnete, die Grünen nur einen weniger. Auf dem Spiel steht also Gysis Rolle als Oppositionsführer.