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Gebet als Protest. Mehrere hundert Menschen demonstrieren in New York gegen das gewaltsame Vorgehen der Übergangsregierung in Kairo gegen die Muslimbruderschaft. Ein Kind hält dabei ein Plakat mit dem Konterfei des gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi hoch.
© REUTERS

EU-Beschluss: Waffenlieferungen an Ägypten ausgesetzt

Die EU setzt die Lieferung von Waffen nach Ägypten aus, die zur Unterdrückung der Bürger eingesetzt werden könnten. Gleichzeitig wollen die Europäer aber die Brücken mit Kairo auf keinen Fall abbrechen.

Ein deutliches Signal wollten sie an die Übergangsregierung in Kairo senden, dabei aber gleichzeitig nicht die künftige Zusammenarbeit mit Ägypten ganz aufs Spiel setzen: Unter dieser Vorgabe kamen die EU-Außenminister am Mittwoch in Brüssel zusammen, um über die Lage nach dem gewaltsamen Vorgehen der ägyptischen Regierung gegen Anhänger der Muslimbruderschaft zu beraten. Anschließend beschlossen die Chefdiplomaten, dass die EU-Staaten sämtliche Güter, die zur Unterdrückung der Bürger eingesetzt werden könnten, bis auf Weiteres nicht mehr nach Ägypten exportieren. Auch Waffen und sonstige militärische Güter können dem Beschluss zufolge nur noch dann geliefert werden, wenn sie nicht gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt werden können.

Die Außenminister vereinbarten außerdem, dass auch die Finanzhilfe der EU für Ägypten auf den Prüfstand gestellt werden soll. Ende des vergangenen Jahres hatte die EU dem Land, das damals noch vom Staatspräsidenten Mohammed Mursi geführt wurde, Hilfszahlungen in Höhe von insgesamt fünf Milliarden Euro in Aussicht gestellt. Von einer möglichen Kürzung der Hilfszahlungen soll die breite Bevölkerung aber nicht in Mitleidenschaft gezogen werden. Die Unterstützung der EU für die Gesellschaft und Wirtschaft des Landes werde fortgesetzt, hieß es in dem Beschluss.

Dass die Europäer keinesfalls alle Brücken nach Ägypten abreißen wollen, lässt sich auch schon an dem Appell der Außenminister ablesen, dass „alle politischen Parteien“ in Ägypten sich an einem echten Dialog beteiligen müssen – ein Aufruf, der nicht zuletzt an die Muslimbruderschaft gerichtet ist. Der EU-Sonderbeauftragte für das Südliche Mittelmeer, Bernardino Leon, hatte bereits nach einem Treffen der EU-Botschafter am Montag in Brüssel erklärt, Ägypten sei für die Europäer „wahrscheinlich der wichtigste Partner in der Region“.

Golfstaaten und Russland können einspringen

Ägypten gibt sich angesichts der Druckmittel der EU und ihrer Mitgliedstaaten allerdings ungerührt. Man habe keine Angst vor europäischen Sanktionen, auch ein Ende der US-Militärhilfe lasse sich verschmerzen, brüsten sich die neuen Machthaber in Kairo. Denn sie wissen, dass die reichen arabischen Golfstaaten und Russland bereitstehen, um kommende Lücken in der Staatskasse und bei der Kampfausrüstung auszugleichen. Besonders Saudi-Arabien, momentan Hauptsponsor tausender Gotteskrieger in Syrien, tut sich seit dem Sturz von Mohammed Mursi als Verteidiger Ägyptens und des von seinen Generälen ausgerufenen „Kampfes gegen den Terrorismus“ hervor.

Mehrere Motive treiben die Diplomatie der Emirate und Saudi-Arabien. Sie alle fürchten einen kompletten Kollaps der öffentlichen Ordnung in Ägypten, dessen Schockwellen auch die Golfregion erfassen könnten. Zudem wollen die superreichen Öl-Herrscher verhindern, dass der politische Islam der Muslimbruderschaft eines Tages auch bei ihnen Wurzeln schlägt und ihre monarchische Erbmacht bedroht. Zudem hat König Abdullah von Saudi-Arabien mit dem Westen und speziell mit den USA aus der Zeit der Revolution gegen Hosni Mubarak noch eine Rechnung offen. Damals kam es zu einem wütenden Telefonat zwischen ihm und Präsident Barack Obama, weil Washington seinen treuen Verbündeten seit 30 Jahren angesichts der Massenproteste binnen Tagen fallenließ. Abdullah empfand dies als unverzeihlichen Verrat. Dem bedrängten Mubarak bot er an, einen Ausfall der US-Militärhilfe komplett zu übernehmen.

Und so war Saudi-Arabien nach der jüngsten Machtübernahme durch das Militär in Ägypten zusammen mit den Vereinigten arabischen Emiraten und Kuwait schon wenige Tage später mit einem beispiellosen Hilfspaket in Höhe von zwölf Milliarden Dollar zur Stelle. Gleichzeitig drängte Saudi-Arabien die von ihm finanzierten Salafisten Ägyptens, der säkularen Koalition gegen den ehemaligen Präsidenten Mursi beizutreten und den politischen „Fahrplan“ von Armeechef Abdel Fattah al Sissi mitzutragen. Mit dem Milliardenzuschuss vom Golf, der begleitet wird von einem Dutzend kostenloser Schiffsladungen mit Diesel, Benzin und Flüssiggas, dürfte Ägypten zwar für die nächsten sechs Monate über die Runden kommen. Im kommenden Jahr jedoch bräuchte Kairo leicht die doppelte Summe, wenn es sein strukturelles Haushaltsdefizit von bis zu 30 Milliarden Dollar nicht verringern kann. Diese Summen allerdings würden selbst die reichen Araber am Golf überfordern.

Martin Gehlen, Albrecht Meier

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