Der amerikanische Traum: Vom Tellerwäscher zum Tellerwäscher
Der amerikanische Traum verheißt: Jeder kann den Aufstieg schaffen. Die Finanzkrise erschwert jetzt solche Erfolgsgeschichten.
Wie so viele in Amerika fing er mit einem Fünf-Dollar-Job an, die Sprache kannte er kaum, und das Land wirkte auf ihn zunächst wie ein Hollywoodfilm mit Überlänge. Akram Elias war 17, als ihn seine Eltern aus dem vom Bürgerkrieg zerstörten Libanon in die USA schickten. Er war auf sich allein gestellt, bewarb sich um ein Stipendium und begann ein Wirtschaftsstudium an der Georgetown-Universität in Washington. Das war vor 30 Jahren. Inzwischen ist Akram Elias Miteigentümer einer der führenden Beratungsgesellschaften in der amerikanischen Hauptstadt, der Capital Communications Group.
„Ich wollte hier bleiben, denn ich glaubte an das Prinzip, dass es in diesem Land jeder schaffen kann, wenn er sich nur genug anstrengt“, sagt Elias. Wie er machten es Millionen von Einwanderern. Sie kamen mit praktisch nichts in den Händen und fanden ihr wirtschaftliches Glück in den USA. Gerade sie profitierten davon, dass Amerikas Banken bisher großzügig Kredite vergaben. Das Geld setzten sie dann ein, um ihr eigenes kleines Geschäft zu gründen oder sich ein Studium zu finanzieren. Doch kann der Aufstieg vom Tellerwäscher zum Millionär auch dann noch gelingen, wenn die amerikanischen Banken nicht mehr so einfach Startkapital bereitstellen?
„Für die Einwanderer der jungen Generation wird das ein großes Problem werden“, sagt Elias. „Bisher gab es eine Art Gegengeschäft in der amerikanischen Gesellschaft: Wenn du eine gute Geschäftsidee hast, dann unterstützen wir dich. Das war für Menschen wie mich das Lebenselixier, um hier zu bleiben und die amerikanische Mentalität anzunehmen.“ Es sei dann auch nicht schlimm gewesen, im ersten oder zweiten Anlauf zu scheitern. „Mit einem kleinen Geschäft Pleite zu gehen, ist in den USA kein gesellschaftliches Tabu. Man versucht es dann einfach noch mal und noch mal.“ Mehr als die Hälfte aller Neugründungen im Kleingewerbe müssten in den USA schon in den ersten zwei Jahren Insolvenz anmelden, sagt Elias. Darauf seien bisher auch die Kreditgesetze ausgerichtet gewesen: „Bei einer Geschäftspleite wird das private Vermögen weitgehend geschützt.“
Das amerikanische System sei darauf angelegt, dass Menschen glaubten, sie könnten sich am besten selbst helfen – ohne staatliche Unterstützung. „Die Finanzkrise zeigt vielen Menschen in den USA nun zum ersten Mal, dass sie Teil eines großen Systems sind, das global funktioniert. Bisher hat das hier noch kaum jemand verinnerlicht. Das macht den Amerikanern Angst“, meint Elias. Die Frage sei nun, wie sich diese „erste wirkliche Krise der Globalisierung“ auf den amerikanischen Unternehmergeist auswirke.
Akram Elias sucht die Antwort bei einem Wesenszug, der auch als typisch für den American Way of Live angesehen wird: dem Optimismus. „Wir werden sehen, dass viele Einwanderer und Kleinunternehmer Hilfe in ihrem eigenen Umfeld suchen.“ Schon jetzt beobachte er, dass sich Immigranten untereinander Geld leihen oder sich mit Krediten aus ihrer Heimat behelfen. „Amerika wird sich durch diese Krise teilweise neu erfinden müssen“, sagt Elias. „Doch es wäre nicht das erste Mal in der Geschichte – und viele Menschen sehen das hier immer noch als ein einziges großes Abenteuer.“
Auch Hans Decker, der an der Columbia Universität in New York unter anderem Vergleichende Volkswirtschaft lehrt, baut auf die ureigenen Stärken Amerikas. „Das Land hat so viel Selbstregulierungskraft wie kein anderes.“ Daran ändere auch die Finanzkrise nichts. Decker, der seit 37 Jahren in den USA lebt und dort unter anderem die amerikanische Siemens-Dependance leitete, hat die Vorteile des Landes zu schätzen gelernt. „Die Gesellschaft hat ein hohes Maß an Selbstständigkeit. Sie ist aufgebaut worden von Menschen, die von zuhause wegwollten, um woanders etwas Neues aufzubauen.“ Aber auch er sieht die Schattenseiten. „Der amerikanische Traum, dass jeder es schaffen kann, galt ja noch nie für alle.“
Der Wirtschaftswissenschaftler Tom Hertz von der American University in Washington hat vor zwei Jahren in einer Studie nachgewiesen, dass die soziale Durchlässigkeit in den USA geringer ist als in vielen anderen Ländern. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind aus einer armen Familie in die oberen fünf Prozent aufsteigt, beträgt demnach ein Prozent. Für ein Kind aus reichem Elternhaus liegt die Chance bei 22 Prozent. In Zeiten der Krise stellt sich die Frage erst recht, ob der viel gelobte freie Markt tatsächlich die Teilhabe aller garantieren kann. Die Amerikaner haben daran viel stärker geglaubt als etwa die Deutschen, die auf „soziale Marktwirtschaft“ setzen. Doch nun gewinnt auch in den USA – zumindest vorübergehend – der Wunsch nach einem starken Staat an Sympathie. Derzeit sind bei jedem fünften US-Hausbauer die Hypothekenschulden höher als der Wert der Häuser – es muss also dringend eingegriffen werden. Manche sprechen schon von einem Wendepunkt der ökonomischen Kultur in den USA.
„Die Mentalität der Amerikaner ändert sich“, sagt Decker. „Bisher wurde zu wenig gespart und zu viel konsumiert. Und das eigene Haus wurde genutzt, um Kredite zu erhalten.“ Das müsse sich nun ändern. „Aber es wird ein schmerzhafter Prozess.“ Decker glaubt, dass der Schock der Krise einen Schub in Richtung stärkerer staatlicher Vorsorge auslösen wird und rechnet mit einer gewissen „ Annäherung an das europäische System“. Momentan wollten die Menschen vor allem Stabilität. Die Amerikaner seien pragmatisch genug, diesen Wunsch der Ideologie des allzu freien Marktes vorzuziehen – zumindest für eine Weile.
Und was ist mit dem alten Glauben, dass auch ein Tellerwäscher Millionär werden kann? Wenn Obama, der ja einen kenianischen Vater hat, gewinne, werde das einen Schub geben – vor allem bei den Minderheiten, ist sich Decker sicher. „Das könnte den amerikanischen Traum wiederbeleben.“ Denn den verkörpere Obama wie kein anderer.