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Hass in Heidenau: "Steig ruhig ein in deine hässliche Kutsche, du Hure!", schrie es der Kanzlerin entgegen, als sie die Kleinstadt am Mittwoch besuchte.
© Arno Burgi/DPA

Hetze und Gewalt gegen Flüchtlinge: Vom Funken zum Flächenbrand

Fast jeden Tag wird irgendwo in Deutschland eine Unterkunft für Flüchtlinge attackiert. Helfer und Parteien werden zunehmend bedroht. Bürger äußern öffentlich ihre Wut. Wie weit geht der Hass?

In den vergangenen Tagen ist es immer wieder passiert. Flüchtlinge wurden attackiert, deren Unterkünfte angegriffen. Erst am Dienstagabend verschafften sich zwei Männer bewaffnet mit Messern Zugang zu einer Unterkunft in Parchim bei Schwerin. Die Flüchtlinge konnten sich in Sicherheit bringen, die Polizei verhinderte eine Attacke. Nachdem die Täter gefasst worden waren, ergab ein Test, dass beide mehr als zwei Promille Alkohol im Blut hatten. Außerdem sollen sie fremdenfeindliche Kommentare geäußert haben. Beinahe zeitgleich warf ein vermummter Mann einen Brandsatz durch ein geöffnetes Fenster eines neuen Asylbewerberheims in Leipzig. Die Feuerwehr konnte schlimmere Schäden verhindern. In das Wohnhaus im Stadtteil Stötteritz sollten am Mittwoch eigentlich zwischen 50 und 60 Asylbewerber einziehen.

Das sind nur die jüngsten zwei Vorfälle. Alleine 2015 gab es bereits mehr als 30 Angriffe auf Flüchtlingsheime im Bundesgebiet, meistens sind die Täter unentdeckt geblieben. Der Hass, der bei einigen offenbar unter der Oberfläche gebrodelt hatte, wird zunehmend zu einem Sicherheitsproblem in Deutschland. Die Unterkünfte werden größtenteils bereits vor ihrer Eröffnung attackiert, um den Bezug durch Hilfesuchende zu verhindern. Die Mittel reichen dabei von dem Beschmieren der Räume mit Tierinnereien bis hin zu Brandanschlägen und dem Beschuss der Unterkünfte mit scharfen Waffen. Doch inzwischen bleibt es nicht mehr bei Attacken gegen Heime und Bewohner. Auch die Parteien, die die Asylpolitik gestalten, werden angegriffen.

So gab es am Dienstag eine Bombendrohung gegen das Willy-Brandt-Haus, die Parteizentrale der SPD. Nachdem der Vorsitzende der SPD, Sigmar Gabriel, bei einem Besuch eines Flüchtlingsheims in Heidenau rechtsradikale Randalierer als „Pack“ bezeichnet hatte, habe die Fraktion mehr als 800 Mails mit fremdenfeindlichem und drohendem Charakter erhalten, sagte ein Sprecher der SPD. 18 dieser Nachrichten würden zur Zeit auf ihre strafrechtliche Relevanz geprüft, erklärte der Sprecher weiter. Auch telefonisch würden Mitarbeiter beschimpft und bedroht, in einem dieser Anrufe wurde auch eine Bombendrohung ausgesprochen. „Die SPD wird keinen Millimeter von ihrer klaren Haltung abweichen“, sagte die SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi gegenüber dem Tagesspiegel. Seit bekanntwerden der Bombendrohung seien eine Vielzahl von Solidaritätsbekundigungen eingegangen. Das zeige, „dass der braune Mob nicht überdecken kann, das Deutschland ein weltoffenes und tolerantes Land ist und bleibt“.

Angela Merkel nach dem Besuch des Flüchtlingsheims.
Angela Merkel nach dem Besuch des Flüchtlingsheims.
© epd

Wie die SPD bekommt auch der Koalitionspartner CDU viele Rückmeldungen von Bürgern. Einige davon enthielten durchaus einen schärferem Ton, heißt es aus der CDU-Zentrale. Ob es auch zu Drohungen gekommen sei, wollte man nicht beantworten. Sicher ist, dass es am für das Wochenende geplanten Tag der offenen Tür in den Regierungsgebäuden bleibt – trotz der jüngsten Vorfälle. Es gebe keine Erfordernisse für Änderungen, sagt eine Regierungssprecherin. Man orientiere sich dabei an den Einschätzungen der Polizei.

Die Bundeskanzlerin lenkte die Aufmerksamkeit während ihres Besuchs in Heidenau auf die Situation derer, die vor Ort helfen und sich dort Angriffen ausgesetzt sehen. „Danke denen, die vor Ort Hass zu ertragen haben“, sagte die Kanzlerin im Hinblick auf die Helfer. Auch der Präsident des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), Rudolf Seiters, äußerte sich deutlich zu gewaltbereiten Rechtsextremen: „Ausschreitungen gegen Flüchtlinge und zum Teil sogar Angriffe auf DRK-Helfer schaden dem Ansehen Deutschlands in der ganzen Welt.“

Wenn der Michel sich nicht mehr zurückhalten kann, Turnhallen oder andere für Flüchtlinge bestimmten Gebäude abzufackeln, dann entspringt das allein seinem eigenen Kopf und seinem Fremdenhass darin. Niemand anderes ist für solche Taten verantwortlich zu machen, allenfalls jene, die ihn mit rechten Parolen und Vorurteilen mitbefeuert haben.

schreibt NutzerIn schoeneberger

Die Frage bleibt, wie organisiert die Angriffe und Ausschreitungen deutschlandweit stattfinden. In Sicherheitskreisen geht man derzeit nicht von einer wirklich zentralen Steuerung der Ausschreitungen Rechtsextremer etwa durch die NPD- Spitze oder anderer rechter Parteien aus. Allerdings spielen die Organisationen natürlich eine wichtige Rolle vor Ort. Überall dort, wo die NPD oder die Partei Die Rechte stark vertreten sind, Mandate in Gemeindeparlamenten haben, sind die Proteste auch besonders ausgeprägt. Flankiert wird das Ganze meist durch Agitation und Aufstachelung. Aber eine zentrale Koordination ist nicht zu erkennen.

Allerdings sind diese Erkenntnisse durchaus mit Vorsicht zu genießen. Denn das Bundesamt für Verfassungsschutz hat den Kontakt in die Spitze der NPD zwangsläufig etwas verloren. Im Zuge des NPD-Verbotsverfahrens musste die Behörde garantieren, keine V-Leute mehr in der Spitze zu haben. Daran war das erste NPD-Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert. Ein solches formales Scheitern wollten die Antragsteller diesmal verhindern. In Sicherheitskreisen wird das durchaus als Problem bei der Erkenntnisgewinnung angesehen.

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