Zukunft der Arbeit: Vollbeschäftigung per Digitalisierung
Was eben noch als Bedrohung des Industriestandortes erschien, kann zum Jobmotor werden. Ein Kommentar.
Von Klaus Staeck, dem bekannten deutschen Künstler und Grafiker, der an diesem Mittwoch seinen 80. Geburtstag feiert, gibt es das legendäre SPD-Wahlplakat mit dem beißend ironischen Slogan: „Deutsche Arbeiter! Die SPD will euch eure Villen im Tessin wegnehmen.“
Sollte man in Deutschland die Diskussion über die Zukunft der Arbeit beschreiben, müsste man in Staecks Spruch nur die SPD durchstreichen und durch Digitalisierung ersetzen. Wer sich mit dem Thema beschäftigt, trifft schnell auf ein hierzulande ohnehin recht beliebtes Gefühl: die Angst. Ganz besonders die Angst vor Veränderung, die, wenn das Stichwort Digitalisierung fällt, nicht selten in Panik umschlägt.
Und die Zahlen, die kursieren, sind ja auch bedrohlich. Gerne wird eine Studie der University of Oxford zitiert, die mithilfe von Experteneinschätzungen prognostiziert hat, dass in den kommenden 10 bis 20 Jahren 47 Prozent der Beschäftigung automatisiert werden könnten. Überträgt man die Ergebnisse auf Deutschland, kommt man auf einen Wert von 42 Prozent, ein nur geringfügig weniger bedrohlich wirkendes Szenario.
Durch lebenslanges Lernen die Menschen für die digitalisierte Arbeitswelt fit machen
Umso erstaunlicher ist da eine Aussage aus der vergangenen Woche, die im Trubel um die schleppende Regierungsbildung fast unterging. Die scheidende Bildungs- und Forschungsministerin Johanna Wanka sagte zur Eröffnung des Wissenschaftsjahres 2018: „Es kommt jetzt darauf an, die Menschen für die kommenden Arbeitswelten fit zu machen, indem berufliche Kompetenzen angepasst und ausgebaut werden. Wenn uns das gelingt, ist das Ziel der Vollbeschäftigung in Deutschland machbar.“
Vollbeschäftigung durch Digitalisierung? Ist das Wankas letztes Pfeifen im Walde gegen die deutsche Angst, bevor sie sich selbst in den Ruhestand verabschiedet? Nicht unbedingt, denn in den vergangenen Monaten haben sich Meldungen gehäuft, die den düsteren Szenarien der Forscher widersprechen. Bosch hat angekündigt, seine neue Halbleiterfabrik, bei der es sich um die größte Investition der Unternehmensgeschichte handelt, in Sachsen zu bauen. Der Pumpenhersteller Wilo baut für 250 Millionen Euro an seinem Stammsitz in Dortmund eine komplett vernetzte Fertigungsstätte. Und Adidas hat seine Speedfactory im fränkischen Ansbach bereits in Betrieb genommen, in der der Sportartikelkonzern erstmals seit Jahrzehnten wieder Sportschuhe in Deutschland produziert.
Dabei spielen verschiedene Gründe eine Rolle. Zum einen lässt es sich in Asien, Osteuropa oder Südamerika nicht mehr so günstig produzieren wie noch vor einigen Jahren, wie eine Studie der Unternehmensberatung BCG zeigt. Auch die Qualität der Produkte, die bei teuren Markenartikeln eine große Rolle spielt, sowie kürzere Lieferzeiten sprechen für eine Rückverlagerung nach Deutschland.
Aber ausschlaggebend für die Standortwahl ist immer häufiger die Digitalisierung der Herstellungsprozesse, wie das Beispiel von Adidas zeigt. In Ansbach werden Schuhe gefertigt, deren Design der Kunde zu Hause am Computer mitgestaltet hat. Ein mehrere Wochen dauernder Schiffstransport ihrer Schuhe aus Asien ist dieser Zielgruppe nicht zu vermitteln, die es gewohnt ist, online bestellte Waren innerhalb von 24 Stunden geliefert zu bekommen.
Trotz des Rückverlagerungstrends darf man sich aber nicht beruhigt zurücklehnen, weil die Digitalisierung Politik, Arbeitgeber und Arbeitnehmer trotzdem vor riesige Herausforderungen stellt. Denn Adidas bringt eben nicht Jobs für Näherinnen und Schuster nach Deutschland zurück. Die Schuhproduktion erledigen auch in Ansbach vorwiegend Roboter und Maschinen. Dafür schafft Adidas aber neue höher qualifizierte Arbeitsplätze für IT-Spezialisten und Wartungskräfte.
"Deutsche Arbeiter! Die Digitalisierung bringt euch eure Villen im Tessin zurück"
Beim Pumpenhersteller Wilo soll die neue Smartfactory bis zu 30 Prozent effizienter sein als die alte Fabrik. Das bedeutet gleichzeitig, was typisch für die digitalisierte Arbeitswelt ist, dass die Arbeitnehmer mehr Eigenverantwortung übernehmen müssen, ihre Aufgabenvielfalt wächst und sich ihr Berufsbild stark wandelt. Hier ist die Politik gefragt, die die Arbeitgeber bei der notwendigen berufsbegleitenden Um- und Weiterbildung ihrer Arbeitnehmer unterstützen muss. Der Verschiebung von Arbeits- zu Kapitaleinkommen muss sie entgegenwirken, indem sie über eine Förderung der Kapital- und Gewinnbeteiligung der Arbeitnehmer nachdenkt.
Wenn das gelingt, wäre eine Neuauflage von Staecks Plakat fällig: „Deutsche Arbeiter! Die Digitalisierung bringt euch eure Villen im Tessin zurück.“
Til Knipper