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Ex-Präsident Lula gratulierte VW 2003 zum Jubiläum.
© AFP

Brasilien: Volkswagen spionierte Ex-Präsident Lula aus

Bis 1985 kooperierte VW mit der brasilianischen Militärdiktatur. Doch der Autobauer war längst nicht der einzige Konzern.

Der Volkswagen-Konzern hat in den achtziger Jahren eng mit dem brasilianischen Militärregime kooperiert und die eigenen Mitarbeiter ausspioniert. Dies geht aus Dokumenten hervor, welche die Nationale Wahrheitskommission Brasiliens kürzlich entdeckt hat. Die Kommission ist seit 2012 damit beschäftigt, die Verbrechen der Diktatur aufzuklären, die Brasilien zwischen 1964 und 1985 beherrschte.

Demnach hatte Volkswagen do Brasil ein besonderes Augenmerk auf seine gewerkschaftlich engagierten Arbeiter und reichte detaillierte Informationen über sie an das Regime weiter. Besonders pikant für den deutschen Konzern ist dabei nicht nur die Tatsache, dass die Kollaboration mit der Diktatur zu einer Zeit geschah, in der die Bevölkerung immer stärker aufbegehrte und das Regime bereits auf sein Ende zusteuerte, sondern auch, dass zu den ausspionierten Lula Inacio da Silva gehört, Präsident Brasiliens zwischen 2003 und 2011.

Wie die Nachrichtenagentur Reuters meldet, die bereits Einblick in die Dokumente gehabt hat, ist Volkswagen nicht der einzige Konzern, der im Auftrag der Diktatur Informationen über Gewerkschafter weiterreichte. Insgesamt 19 in- und ausländische Firmen hätten kollaboriert und an regelmäßigen Treffen mit den Autoritäten teilgenommen. Es ging dem Regime offenbar darum, die erstarkende Gewerkschaftsbewegung in den Industrieregionen des wichtigen Bundesstaats São Paulo zu unterdrücken. Sein „antikommunistisches“ Wirtschaftsmodell basierte wie in den anderen von Diktaturen beherrschten südamerikanischen Ländern auf der Ausbeutung von Arbeitern und Bauern.

Mehr Einblick als nötig

Die Unternehmen wiederum mögen sich aus Gründen des Profits eine Schwächung der gewerkschaftlichen Bestrebungen unter ihren Dächern erhofft haben. Sie verschafften den Militärs weit mehr Einblick, als dies nötig gewesen wäre und nahmen dabei auch in Kauf, dass ihre Arbeiter drangsaliert und verhaftet werden könnten.

Der Volkswagen-Konzern, der seit 1953 in Brasilien ansässig ist, reichte insgesamt 20 als „vertraulich“ gekennzeichnete Seiten an staatliche Stellen weiter. Aus ihnen geht hervor, dass VW mehr als zwölf Gewerkschaftstreffen in der Großregion São Paulo ausspionierte. An einem dieser Treffen im Jahr 1983 nahm auch Lula da Silva teil, das spätere Staatsoberhaupt Brasiliens. Lula arbeitete damals zwar nicht bei Volkswagen, war aber einer der bekanntesten und charismatischsten Köpfe der landesweit aufstrebenden Gewerkschaftsbewegung. Er wird in den Beschreibungen der VW-Informanten als „schamloser“ Kritiker der Regierung beschrieben. Er habe zu Protestaktionen aufgerufen. Lula wollte bisher nicht zu dem Fall Stellung beziehen.

Die VW-Kollaborateure gaben dem Regime weiterhin Informationen über Streikpläne und Lohnforderungen. Ebenso offenbarten sie die Namen von Teilnehmern der Treffen. In zwei Fällen, so meldet Reuters, habe Volkswagen sogar die Autokennzeichen von Gewerkschaftern weitergereicht. Sogar, dass bei den Gewerkschaftstreffen Filme über die russische Revolution gezeigt wurden oder dass Arbeiter, die Flugblätter verteilten, Marihuana geraucht hätten, war den Spionen eine Meldung wert.

Ist es ein Straftatbestand?

Volkswagen und andere Konzerne gaben dem Regime somit die Werkzeuge in die Hand, um bestimmte Gewerkschaftsaktivisten zu verfolgen. Dass genau dies die Intention der Unternehmen gewesen sei, um sich lästiger Arbeiter zu entledigen, glaubt Sebastião Neto. Er ist innerhalb der Wahrheitskommission für die Untersuchung des Verhältnisses zwischen Wirtschaft und Militärs zuständig. Gegenüber Reuters sagte er, dass die Dokumente eindeutig seien: Sie bewiesen, dass die Firmen die Hilfe des Regimes bei der Lösung von Problemen mit den Arbeitern erwarteten.

Ob sich aus der Kollaboration von VW mit den Militärs ein Straftatbestand ableiten lässt, ist zweifelhaft. Die Wahrheitskommission wurde von Präsidentin Dilma Rousseff – selbst ein Folteropfer des Regimes – gegründet, um Licht in die Geschehnisse während der Diktatur zu bringen. Es geht dabei ausdrücklich nicht um Strafverfolgung, und es herrscht ein seltsamer Konsens unter der politischen Elite des Landes, dass das Amnestiegesetz von 1979 nicht angetastet wird, welches sich die Militärregierung wohlweislich selbst verordnete.

Die Volkswagen AG hat nun auf die Enthüllungen reagiert und als einziges der im Fokus stehenden Unternehmen eine umfassende Aufklärung versprochen. Volkswagen ist nicht der einzige deutsche Autobauer, der mit einer Militärregierung in Südamerika eng kollaboriert hat. In Argentinien bediente sich zum Beispiel Mercedes-Benz des grausamen Regimes, um sich unbequemer Arbeiter zu entledigen.

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