Abgas-Skandal bei VW weitet sich aus: Volkswagen im Zwielicht
Die Unklarheit über tatsächliche und gefälschte Autoabgase bei VW wird immer größer. Was bedeutet das für den Konzern, seine Kunden und die Politik?
Der Abgas-Skandal bei Volkswagen hat sich ausgeweitet. Ende September hatte der Autokonzern zugegeben, dass bis zu elf Millionen Dieselfahrzeuge mehr gesundheitsgefährdendes Stickoxid (NOX) ausstoßen, als der Hersteller angibt. Mit einer Software wurden die Werte bei der Überprüfung manipuliert. Nun räumte VW ein, dass rund 800000 Autos auch mehr klimaschädliches Kohlendioxid (CO2) ausstoßen – darunter auch Benziner und Autos der Tochtermarken.
Wie gefährlich ist die Ausweitung des Skandals für das Unternehmen?
Volkswagen hat bereits 6,7 Milliarden Euro für den Rückruf der weltweit rund elf Millionen manipulierten Dieselfahrzeuge zurückgelegt. Nun kommen „wirtschaftliche Risiken“ von geschätzt zwei Milliarden Euro hinzu. Die hohen Rückstellungen haben VW im dritten Quartal in die roten Zahlen rutschen lassen. Allerdings: Mit einem Überschuss von mehr als elf Milliarden Euro 2014 war das Unternehmen bis dato sehr gesund. Ende September hatte VW fast 28 Milliarden Euro in der Kasse. Die Gelder zur Bewältigung der Krise sind also vorhanden.
Aber der Schaden ist gewaltig: Analysten wie Frank Schwope von der NordLB gehen inklusive Strafzahlungen, Rückrufaktionen, Entschädigungen für Wertverlust und möglicher Schmerzensgeldforderungen von Kosten in Höhe von mindestens 30 Milliarden Euro aus. „Hinzu kommt ein immenser Reputationsschaden, der sich letztlich in zukünftig nicht verkauften Fahrzeugen beziehungsweise nicht erzielten Gewinnen ausdrückt“, sagt Schwope. Der lasse sich schwer messen. Die Börse zeigt sich äußerst besorgt: Die VW-Aktie hat seit Bekanntwerden des Skandals fast 40 Prozent an Wert verloren. Allein am Mittwoch verlor der Kurs neun Prozent.
Was müssen Volkswagen-Kunden tun? Was können sie vom Hersteller erwarten?
Besitzer eines manipulierten VW haben Anspruch auf eine Reparatur. Im Januar 2016 soll der Rückruf von 2,4 Millionen in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen in die Werkstätten beginnen. „Fest steht: Die Sicherheit der Fahrzeuge ist in keinem Fall betroffen“, betont VW. Aber: Eine verlässliche Bewertung des Umfangs der Unregelmäßigkeiten sei derzeit noch nicht möglich. Die Lage ist inzwischen unübersichtlich geworden: Zunächst ging es nur um gefälschte Stickoxidemissionen (NOx) bei kleineren Dieselmotoren (1.2- bis Zwei-Liter). Inzwischen stehen auch größere Antriebe (Drei-Liter-) unter Verdacht. Und VW räumt ein, dass bei 800000 Fahrzeugen von VW, Audi, Skoda und Seat zu niedrige CO2-Emissionen angegeben wurden – das heißt: auch ein zu niedriger Spritverbrauch.
Ein Rechtsgutachten der Verbraucherzentralen sieht viele VW-Kunden auf einem Teil der Kosten sitzen bleiben, etwa für Ersatzwagen und Verdienstausfälle während der Reparatur, durch Wertverlust und höheren Spritverbrauch. Offen ist, in welchem Umfang geschädigte Kunden Schadenersatz verlangen oder gar vom Kaufvertrag zurücktreten können. Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages kommt zu dem Ergebnis, dass die Chancen dafür gut stehen.
Welche Rolle spielt die US-Umweltbehörde EPA?
Die Vermutung, US-Behörden könnten im Interesse der heimischen Autoindustrie gegen deutsche Wettbewerber ins Feld ziehen, entbehrt jeder Grundlage. Die Aufdeckung des Diesel-Skandals geht auf Untersuchungen deutscher Forscher zurück, die für die Umweltorganisation ICCT arbeiten. Deren Erkenntnisse zu auffälligen Abgaswerten bei VW wurden anschließend von einer US-Universität, der kalifornischen Umweltschutzbehörde Carb sowie der Umweltbehörde Environmental Protection Agency, kurz EPA, ausgewertet und veröffentlicht.
15 Prozent aller neuen Automodelle werden jährlich in den EPA-Testlabors untersucht. Die Hersteller müssen regelmäßig nachweisen, dass sie Regeln wie das Gesetz zur sauberen Luft („Clean Air Act“) einhalten. Die vor 45 Jahren gegründete EPA kann – anders als das deutsche Umweltbundesamt oder das Kraftfahrtbundesamt – Verstöße strafrechtlich verfolgen und drakonische Strafen verhängen. Bei seiner jüngsten US-Reise führte Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) in Washington auch Gespräche mit EPA-Vertretern. Welche Anregungen er mitnahm, ist nicht bekannt.
Welche Verantwortung trägt Verkehrsminister Alexander Dobrindt?
Als Volkswagen in die Schlagzeilen geriet, nutzte der Verkehrsminister den Moment, um auf die politische Bühne zurückzukehren. Um den CSU-Politiker war es seit dem Scheitern der Ausländer- Maut still geworden. Er präsentierte sich als Chefaufklärer und setzte eine Untersuchungskommission ein. Doch nun ist es wieder die EPA, die neue Vorwürfe gegen den Konzern erhebt – und nicht das dem Verkehrsminister unterstehende Kraftfahrtbundesamt, das die Einhaltung von Abgasvorschriften kontrollieren soll.
Verkehrsminister Dobrindt hat schärfere Kontrollen verprochen - noch gibt es sie nicht
Die Grünen werfen Dobrindt vor, er sei als oberster Kontrolleur komplett überfordert: „Der Verkehrsminister hat den VW-Konzern sehenden Auges gewähren lassen, Kontrollen gab es nicht“, sagt der stellvertretende Fraktionschef Oliver Krischer. Die Bundesregierung trage die Verantwortung dafür, dass sich „eine Kultur des Betrugs und der Schummelei ausgebreitet“ habe. Das Verkehrsministerium hatte das Kraftfahrtbundesamt beauftragt, Nachprüfmessungen vorzunehmen. Tatsächlich wurden nur fünf Fahrzeuge untersucht – drei direkt aus der Produktion in Wolfsburg, zwei weitere von der Straße, so geht es aus einer Antwort auf eine Frage des Grünen hervor.
Offenbar hat die Behörde bisher auch keine politische Ansage bekommen, dass sie gründlicher vorgehen soll. Im Verkehrsausschuss habe der Präsident des Kraftfahrtbundesamtes erklärt, dass es zum Thema Abgase überhaupt keine staatlichen Kontrollen gebe, berichtet Krischer. Man lasse die Automobilindustrie sich selber prüfen, und auf die Berichte mache man dann einen Stempel. Krischer verlangt „endlich klare politische Regeln und Kontrollen“ – auch um Schäden für die Autoindustrie zu begrenzen. Dazu gehörten ein unabhängige europäische Behörde sowie „Tests auf der Straße und nicht in sterilen Prüflaboren“.
Haben die falschen Werte Folgen für die Kfz-Steuer?
Die Direktbesteuerung von Fahrzeugen wird auch nach dem CO2-Ausstoß bemessen: Je niedriger er ist, umso geringer die Steuer. Nun könnten einige Millionen Steuerbescheide falsch gewesen sein, weil die Angaben zum CO2 falsch waren. Streng genommen müssten die Finanzbehörden, wenn das Kraftfahrtbundesamt die Schadstoffzahlen korrigiert, Nachforderungen stellen. Dobrindt sieht VW in der Pflicht, „dafür zu sorgen, dass bei diesen Fragen weder Mehrkosten noch Arbeitsaufwand auf die Kunden zukommen“. Das betrifft die Vergangenheit – 2016 könnte die Steuer durchaus steigen.
Wenn Kfz-Steuer nachbezahlt werden muss, soll das der VW-Konzern tun
Der Berliner Rechtsanwalt Dietmar Kälberer, dessen Kanzlei Musterverfahren wegen der Kursverluste der VW-Aktie vorbereitet hat, geht davon aus, dass auf VW der Vorwurf der „systematischen Steuerhinterziehung“ zukommen könnte. Auch die Grünen-Steuerpolitikerin Lisa Paus nimmt das an, weil der Konzern über steuerlich erhebliche Tatsachen falsche Angaben gemacht hat. Die Finanzbehörden müssten nun Ermittlungen einleiten: „Dem Staat sind in den vergangen Jahren potentiell Kfz-Steuern in Millionenhöhe entgangen. Diese sollte er zurückfordern – und zwar von den Herstellern.“
Was bedeutet die Affäre für die staatlichen Haushalte?
Rückstellungen mindern den Gewinn oder vergrößern den Verlust und wirken sich so auch auf die Steuerzahlungen aus. Der Fiskus muss sich darauf einstellen, dass VW weniger Steuern zahlt. Bei den aktuellen Steuerschätzungen, die an diesem Donnerstag beendet werden, ist VW daher durchaus ein Thema. Denn ein Konzern dieser Größenordnung ist haushaltsrelevant: Die Rückstellungen von 6,7 Milliarden Euro, die VW bereits vorgenommen hat, könnten zu einem Minus von ein bis zwei Milliarden Euro bei der Körperschaftsteuer führen. Höhere Rückstellungen reißen dann noch größere Löcher. Volkswagen hatte im vergangenen Geschäftsjahr insgesamt Steuerzahlungen von 2,1 Milliarden Euro an den deutschen Fiskus ausgewiesen.
Es dürfte Einbrüche bei Gewerbe- und Körperschaftssteuer geben
Die Finanzminister in Bund und Ländern warten jetzt erst einmal ab. Unklar ist noch, wie ausländische Töchter von VW an den Rückstellungen beteiligt sind.
Einbrüche wird es auch bei der kommunalen Gewerbesteuer geben: Die VW- Standorte Wolfsburg, Braunschweig und Emden haben schon Haushaltssperren verhängt, ebenso Ingolstadt, wo die VW-Tochter Audi produziert.
Niedersachsen, das mit 20 Prozent an VW beteiligt ist, hat allein durch den Kurseinbruch zunächst einen erheblichen Vermögensverlust erlitten. Zudem dürfte die Dividende vorerst ausfallen. 2014 lag sie noch bei über 29 Millionen Euro.
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