Pegida-Demo in Dresden: Volksfest des Rassismus
Pegida hat am Montagabend in Dresden so viele Menschen auf die Straße gebracht wie lange nicht. Die Organisatoren setzen auf Eskalation.
Man schimpft zu Recht auf das Freund-Feind-Denken, aber wer zu den Freunden der Menschen mit dem Freund-Feind-Denken gehört, der hat es natürlich ganz angenehm. Ausführlich ist beschrieben worden, wie feindselig und unversöhnlich Pegida mit Muslimen, Politikern, Gegendemonstranten und überhaupt allen umgeht, die nicht so denken wie sie. Aber wer an diesem Montag eine halbe Stunde vor dem Beginn der Demos in der Nähe der Bühne steht, der sieht die andere Seite: Pegida von innen. Da wird geklapst und geherzt, auf den Rücken geklopft und an den Ohren gezogen: "Jürgen, mein Guter. Schön, dassde da bist." Auch Lutz Bachmann küsst eine Rollstuhlfahrerin und verteilt kumpelnde Handschläge. Es ist wie zu Ostern im Vereinsheim.
Nur noch ein paar Mal demonstrieren und dann wird Pegida sein Einjähriges feiern. Schon jetzt ist aus dem Häuflein Pöbler, die sich im Oktober 2014 zum ersten Mal trafen, um gegen Muslime zu demonstrieren, eine der erfolgreichsten politischen Bewegungen der vergangenen Jahre geworden. An diesem Montag hat das Festival der Wut wieder um die 10.000 Menschen auf die Straße gebracht.
Das ist auch deswegen bemerkenswert, weil die Deutschen Pegia ja nicht nur eine Ohrfeige verpasst, sondern es geradezu vermöbelt haben. Die Welle der Solidarität, die die Flüchtlinge erleben, ist nicht nur eine Reaktion auf die brennenden Asylbewerberheime. Sie ist auch nicht ohne Pegida zu verstehen, die wöchentlich aufs Neue unbekümmert am toleranten deutschen Selbstbild kratzte.
Dieser Sommer hat Pegida sein wichtigstes Argument genommen: Nämlich das, dass sie für die Mehrheit der Deutschen spreche. Da waren nicht nur die Zehntausenden freiwilligen Helfer, da waren auch die Umfragen und nicht zuletzt unzweideutige Statements von Prominenten, die auch dem Letzten klarmachen mussten, dass er sich zwischen Pegida und der gesellschaftlichen Mitte entscheiden muss.
Und trotzdem sind sie wieder alle gekommen. Bannewitz, Lichtenau, Elsterwerda und Roßwein haben ihre Schilder eingepackt. Wie auf einem Brigadeausflug stehen die meist älteren Männer und ihre Frauen fröhlich beieinander und schießen Fotos von den lustigsten Transparenten ("Guck mal, 'Schluss mit betreutem Denken!'"). So heiter ist die Stimmung, es könnte jetzt als Nächstes auch, sagen wir, Achim Menzel auf die Bühne vor dem Dresdener Zwinger treten.
Das Publikum schreit: "Merkel muss weg"
Doch stattdessen kommt Lutz Bachmann, verliest wie immer die Polizeiauflagen und geht direkt über zu einer Tirade gegen die totalitäre Bundesrepublik, in der jeder mit einer freien Meinung von Verhaftung bedroht sei. Er fordert ein paar Rücktritte und kündigt große Enthüllungen aus dem Verteidigungsministerium an. Dann unterstellt er muslimischen Flüchtlingen fehlende Hygiene und Gewaltbereitschaft und spottet schließlich über Ursula von der Leyens Doktorarbeit. Das Publikum schreit in einem Moment voller Wut "Merkel muss weg" und "Widerstand". Im nächsten bricht es in schallendes Gelächter aus.
Bachmann scheint jede Straftat zu kennen, die Asylbewerber in der Gegend in den vergangenen Wochen begangen haben. Mit keinem Wort aber geht er auf das ein, wovon der Rest Deutschlands wochenlang sprach: Die Brandanschläge und noch mehr die rechtsextremen Randale in Sachsen, unter anderem in seiner Heimatstadt Freital. Dabei muss man kein linker Verschwörungstheoretiker sein, um anzunehmen, dass im Publikum einige von denen stehen, die in Heidenau und Freital randalierten. Und dass es auch der Dresdener Volksfestrassismus war, der ihnen das Gefühl gab, im Sinne der Mehrheit zu handeln.
Bachmann und den Pegida-Organisatoren dürfte das moralisch keine allzu große Probleme bereiten. Doch wie geht man mit Tausenden, Zehntausenden um, die Woche für Woche kommen, um Bekannte zu treffen, ein bisschen zu lachen, und die vor allem dieses erhebende Gefühl des kollektiven Wutausbruchs erleben wollen?
Allein das, was in den Tagen vor der Demo geschah, ist beunruhigend. Ein Ausschnitt: Syrische Asylbewerber wurden mit Reizgas angegriffen. Zwei Journalisten wurden während der Demo überfallen. Einen Tag zuvor wurde Eric Hattke, Sprecher des Bündnisses Dresden für Alle, telefonisch und anonym bedroht.
Lutz Bachmann gibt den Leuten, was sie wollen
Es eskaliert in Sachsen. Bachmann und seine Leute haben sich offenbar trotzdem entschieden, den Leuten zu geben, was sie wollen. Die Rednerin Tatjana Festerling agitiert gegen den "Geburtendschihad" und "muslimische Wurfmaschinen". Ein anderer, der Schweizer Rechtspopulist Ignaz Bearth, pöbelt gegen "Pack", "Schmarotzer" und "verdammte Islamisten", die nur die Sprache der Gummigeschosse verstünden. "Europa ist im Krieg gegen die Knechtschaft der Tyrannei", brüllt er von der Bühne, und die Zuschauer jubeln.
Schließlich laufen sie ein paar Hundert Meter durch die Innenstadt, und man ist gerade dabei, den Slogan "Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen" richtig einsinken zu lassen. Und dann steht da am Straßenrand ein kleines, vielleicht fünfjähriges Mädchen an der Hand seiner Mutter und schreit vergnügt: "Wir sind das Volk!". Und nachdem sie sich dafür hat bejubeln lassen, schaut sie nach hinten, den nicht enden wollenden Demonstrationszug entlang und sagt: "Mami, da kommen noch ganz viele. Das hört gar nicht auf."
Und die Männer und Frauen lachen und winken und verschwinden wieder in Richtung Bannewitz, Lichtenau, Elsterwerda und Roßwein. Orte, von denen man vielleicht bald wieder hören wird.
Dieser Text ist zuerst bei Zeit Online erschienen.
Christian Bangel