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 Volker Kauder, Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
© dpa

Interview mit dem Unions-Fraktionschef: Volker Kauder: "Niemandem wird etwas weggenommen"

Unions-Fraktionschef Volker Kauder über die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung, die Rolle von Sigmar Gabriel und die Zukunft Europas – mit offenen Grenzen.

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Herr Kauder, sind Sie sicher, dass die Koalition bis zum Ende der Wahlperiode hält?

Ja, daran besteht für mich kein Zweifel.

Wir fragen, weil Ihr Koalitionspartner SPD dem Haushalt 2017 nur zustimmen will, wenn in Zukunft drei bis fünf Milliarden Euro jährlich in Integration investiert werden. Ist die Union dazu bereit?

Der Bund unternimmt bereits gewaltige Anstrengungen, den Anforderungen durch die Flüchtlingsbewegung gerecht zu werden. 2016 werden dafür acht Milliarden Euro aufgebracht. Davon fließen schon erhebliche Mittel in die Integration, auch zur Eingliederung der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt. Auch in den nächsten Jahren werden selbstverständlich Mittel nötig sein.

In welcher Höhe?

Bund und Länder verhandeln seit Längerem über ein Integrationspaket. In den Gesprächen geht es um die notwendigen Maßnahmen, aber auch die Finanzierung. Der Bund wird sich beteiligen, aber auch die Länder. Ich rate der SPD, sich in Geduld zu fassen. Die Verhandlungen laufen. Das weiß doch auch der SPD-Parteivorsitzende.

Integration ist teuer. Das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln rechnet bis Ende 2017 mit einem Finanzbedarf von 50 Milliarden Euro ...

Das halte ich für maßlos übertrieben. Noch einmal: Wir werden uns verständigen, was getan werden muss und wie dies zu finanzieren ist. Dabei werden sich alle anstrengen müssen, der Bund, aber auch die Länder. Der Bund wird hier sicher nicht der Alleinzahler sein können.

Können die Integrationskosten auf Dauer ohne Steuererhöhungen oder neue Schulden gestemmt werden?

Wir haben den Wählern versprochen, Steuern und Abgaben nicht zu erhöhen. Dieses Versprechen gilt.

Bleibt es auch bei der Politik des ausgeglichenen Haushalts oder steht die „schwarze Null“ zur Disposition?

Wir werden unserer Verantwortung für die kommenden Generationen nicht gerecht, wenn wir die „schwarze Null“ opfern und zur Verschuldungspolitik zurückkehren. Die Flüchtlingskrise ist in der Tat eine große Herausforderung - aber auch in einer solchen Lage können wir von unserem Kurs der seriösen Finanzierung des Staatshaushaltes nicht abweichen.

Woher soll das Geld dann kommen?

Wenn die Wirtschaft weiterhin so gut läuft, können wir die Flüchtlingskosten aus Steuereinnahmen bezahlen. Wir müssen deshalb alles unterlassen, was die Wirtschaft belasten könnte.

Von welchen drohenden Belastungen für die Wirtschaft sprechen Sie?

Wirtschaft besteht aus viel Psychologie. Die Unternehmen mussten in dieser Legislaturperiode aus ihrer Sicht einiges hinnehmen, was ihnen nicht immer gefallen hat. Zum Beispiel die Rente mit 63. Jetzt steht eine weitere Regulierung von Leiharbeit und Werkverträgen an. Die SPD muss einsehen, dass sie hier nicht übertreiben kann. Die Wirtschaft muss laufen, sonst wird alles andere schwierig.

SPD-Chef Sigmar Gabriel fürchtet angesichts der Kosten für Versorgung und Integration der Flüchtlinge um die Akzeptanz in der Bevölkerung. Er höre immer öfter den Satz: „Für die macht ihr alles, für uns macht ihr nichts.“ Haben Sie diesen Satz noch nie gehört?

Nein. Und wenn, dann hätte ich geantwortet: Niemandem wird etwas weggenommen, weil Flüchtlingen geholfen wird. Nirgendwo ist gekürzt worden. Die große Koalition hat im Gegenteil gerade in der Sozialpolitik viel getan. Nur zwei Stichwörter: Mütterrente und bessere Pflege. Und wenn die Koalition jetzt den Wohnungsbau stärker fördern wird, dann tun wir das für alle, nicht nur für Flüchtlinge. Wer sich wie Herr Gabriel solche Vorwürfe zu eigen macht, verstärkt sie nur. Ein Vizekanzler sollte beruhigen und Unruhe bei einigen Bürgern nicht noch fördern. Auch Wahlkämpfe rechtfertigen so etwas nicht. Der Vorstoß war unnötig und unbedacht.

Zugunsten derer, die schon lange in Deutschland leben, verlangt Gabriel im Rahmen eines „neuen Sozialpakets“ die Einführung einer Mindestrente. Hat er dafür Ihre Unterstützung, obwohl das Vorhaben im Koalitionsvertrag unter Finanzierungsvorbehalt steht?

Was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, das müssen wir angehen. Daher müssen wir auch über die sogenannte Lebensleistungsrente oder Mindestrente reden.

Das heißt: Die Mindestrente kommt?

Klar ist: Wir werden etwas für die Rentner tun müssen, die sehr geringe Renten beziehen und nur sehr schwer ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Was und wie, darüber werden wir sprechen.

Herr Kauder, in Baden-Württemberg bricht Ihre Partei knapp zwei Wochen vor den Landtagswahlen in den Umfragen regelrecht ein. Liegt das an der CDU vor Ort, an der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin oder an einer Mischung aus beidem?

Der Wahlkampf ist nicht einfach. Die Menschen bewegt vor allem die Flüchtlingskrise. In der Union gibt es da unterschiedliche Auffassungen, wie die Zahl der Flüchtlinge reduziert werden kann. Ich glaube, dass es richtig ist, wenn man sich klar und deutlich zum Kurs der Kanzlerin bekennt. In so schweren Zeiten ist es immer erfolgversprechend, einen Kurs zu erläutern und beizubehalten. Die Kanzlerin kommt mit ihrer Politik auch voran. Das müssen wir den Bürgern vermitteln.

In der Europäischen Union hat Angela Merkel für ihre Flüchtlingspolitik kaum Unterstützer. Was berechtigt noch zu der Hoffnung auf eine europäische Lösung?

Unter dem Eindruck der Bilder aus Mazedonien und Griechenland setzt ein Prozess des Umdenkens ein. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass Angela Merkel auf dem EU-Gipfel am Montag weiter vorankommen wird. Wenn alle nationale Sonderwege einschlagen, wie derzeit etwa Österreich, dann ist die EU bald am Ende. Europa kann nicht zusehen, wenn ein Land wie Griechenland in die Katastrophe schlittert. Wenn die Union in den großen Fragen nicht handelt, dann untergräbt sie mehr und mehr ihre Existenzberechtigung.

Warum nimmt Deutschland nicht direkt Flüchtlinge aus Griechenland auf, wie Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann fordert?

Die Staats- und Regierungschefs haben festgelegt, dass die Politik des Durchwinkens jetzt beendet sei. Wir müssen jetzt Schritt für Schritt daran arbeiten, dass in Europa mehr Ordnung einkehrt. Dazu gehört auch, dass die Migranten nicht mehr selbst bestimmen können, in welches Land sie wollen. Wenn das nicht abgestellt wird, wird die gerechte Verteilung der Flüchtlinge auch mittelfristig nicht zu erreichen sein.

Die Kanzlerin bittet die Deutschen um Geduld für eine europäische Lösung der Flüchtlingskrise. Wie lange wird es dauern, bis die Flüchtlingszahlen sinken, die EU-Außengrenzen gesichert sind und die Flüchtlinge halbwegs gerecht in Europa verteilt werden?

Diese Herausforderung kann nicht mit einem einzigen Schritt gelöst werden. Wir brauchen internationale, europäische und nationale Maßnahmen. Das alles geht nicht von heute auf morgen.

Muss Deutschland seine Grenzen schließen, wenn es keine europäische Lösung gibt?

Nein. Wer kein Recht hat, in Europa zu bleiben, muss an den Außengrenzen abgewiesen werden. Die Maßnahmen dazu sind eingeleitet und werden Schritt für Schritt ausgebaut, wie zum Beispiel die Nato-Mission in der Ägäis zur Bekämpfung der Schleuserkriminalität. Ich weiß nicht, wie viele EU-Länder mitmachen werden. Eines aber ist klar: Es kann keine einseitigen Grenzschließungen geben, weil vom Verhalten Deutschlands entscheidend die Zukunft Europas abhängt. Hätte sich Deutschland so einseitig wie etwa Österreich verhalten, wäre die EU heute in einem noch schwereren Fahrwasser, die Gefahr des Untergangs inklusive.

Das Gespräch führten Stephan Haselberger und Antje Sirleschtov.

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