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Testen, Impfpflicht, 2G? Es gibt viele Ideen, um die vierte Welle zu brechen.
© Armin Weigel/dpa

Machtvakuum trifft auf Pandemie: Vogelwild durch die vierte Welle

Die geschäftsführende und die künftige Bundesregierung haben keinen Plan – aber viele unsortierte Ideen gegen die vierte Welle. Ein Überblick.

Als hätte es nicht schon drei Coronawellen gegeben und Projektionen, dass bei Impfquoten unter 70 Prozent ein ungemütlicher Herbst drohen könnte: Die Politik wirkt gerade sehr unsortiert. Und obwohl immer wieder versprochen wurde, dass es keinen Lockdown mehr geben müsse, steht auch der plötzlich wieder zur Debatte: „Einen Lockdown kann man nicht ausschließen! Was machen Sie denn, wenn die Krankenhäuser nicht mehr können?“, fragte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) in der ZDF-Sendung „Maybrit Illner“. „Wir können doch nicht sehenden Auges in Situationen wie in Bergamo kommen wollen“, sagte Kretschmer. „Fünf nach zwölf“ sei es für die Krisenbewältigung, warnt auch RKI-Chef Lothar Wieler. Doch ein stringentes Krisenmanagement fehlt in der aktuellen politischen Übergangsphase – und die Wut wächst.



Was Jens Spahn will

Nächsten Donnerstag gibt es einen Bund- Länder-Gipfel, darauf hatten die geschäftsführende Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) gepocht. Im Gespräch ist eine bundesweite 2G-Regelung (Zutritt nur für Geimpfte und Genesene), dafür hat sich im Bundestag auch SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz offen gezeigt. Die FDP aber stemmt sich dagegen und will Veranstaltungen und Restaurants auch für Ungeimpfte mit negativem Test (3G), offen lassen. Spahn will für öffentliche Veranstaltungen sogar das Prinzip „2G plus“: nur für Geimpfte und Genesene, die zusätzlich aktuell negativ getestet sein müssten. Zudem sollen die Kontrollen verschärft werden – bisher habe zu oft „0G“ gegolten, kritisiert Spahn. Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek fordert den Bund auf, eine Rechtsgrundlage für 2G-plus-Regelungen in Clubs und Diskotheken zu schaffen.

Durch die in mehreren Bundesländern schon erfolgte Verschärfung zu 2G-Regeln zieht jetzt immerhin dort die Impfbereitschaft an. Damit mehr Hausärzte Erst-, Zwei- und Boosterimpfungen anbieten und auch verstärkt am Wochenende impfen, sollen sie statt der bisherigen 20 Euro ab Dienstag 28 Euro Vergütung für jede Impfung erhalten, außerdem einen Wochenendzuschlag von 8 Euro. In dieser Woche seien mehr als 4,3 Millionen Dosen bestellt worden – eine Vervierfachung verglichen mit den vergangenen Wochen, so Spahn. Neben den Praxen gibt es wieder mehr als 170 Impfstellen und rund 600 mobile Teams. Wegen der vielen Impfdurchbrüche wird auch eine Verkürzung des Abstands zwischen der letzten Corona-Impfung und der Drittimpfung auf fünf statt sechs Monate erwogen.

Die Ampel und das Lockdown-Verbot

„Es droht keine systemische Überlastung des öffentlichen Gesundheitssystems mehr.“ Das hat der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Marco Buschmann, am 27. Oktober geschrieben, als er stolz verkündete, die epidemische Lage von nationaler Tragweite laufe zum 25. November aus. Damit auch kein Bundesland mehr auf die Idee kommt, mit Lockdowns zu liebäugeln, soll der Maßnahmenkatalog aus Paragraph 28a, Absatz 1 des Infektionsschutzgesetzes nach Beendigung der epidemischen Lage im Bundesgebiet keine Anwendung mehr finden: „Er ist Rechtsgeschichte, er wird stillgelegt“, so Buschmann. Die noch im Gesetz vorgesehene Möglichkeit, diesen Katalog nach Ablauf der epidemischen Lage in den Bundesländern durch den jeweiligen Landtag für weiter anwendbar zu erklären, wird gestrichen. Damit würden den Ländern Lockdowns untersagt – Kretschmer etwa könnte in Sachsen nur noch bis zum 25. November einen Lockdown verhängen. Reihenweise weisen Juristen darauf hin, dass ein Lockdown für Geimpfte verfassungsrechtlich nicht möglich sei. Österreich plant ihn nun nur für Ungeimpfte. Sie dürfen dann nur noch raus, um tägliche Bedürfnisse zu decken oder zur Arbeit zu gehen. Die Ampel-Parteien wollen den Ländern 2G- und 3G-Regelungen erlauben, aber bisher nicht bundesweit vorschreiben – 2G kommt einem Ungeimpften-Lockdown recht nahe, aber eben ohne Ausgangsbeschränkungen.



Die drei von der Ampel

Ein Symptom der neuerlichen Krise sind auch fehlende stringente Konzepte aufgrund der Uneinigkeit in der geplanten Ampel-Koalition. Unmittelbar bevor Janosch Dahmen (Grüne) am Freitag vor die Presse tritt, versendet er noch schnell sechs Tweets auf Twitter: „Ohne sofortige Notbremse wird es nicht mehr gehen“, schreibt der Gesundheitspolitiker. Dann zählt er auf, was jetzt kommen müsse: Schließungen und Kontaktbeschränkungen in besonders betroffenen Landkreisen, 3G im Bahn- und Nahverkehr – und eine Impfpflicht in Einrichtungen, in denen „Menschen Verantwortung für vulnerablen Gruppen tragen“.

Als Dahmen wenige Minuten später im Bundestag vor dem sogenannten Impf- Panel mit den Gesundheitspolitikerinnen Sabine Dittmar (SPD) und Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) ein Pressestatement abgibt, spricht er nur noch über eine „Booster-Impfkampagne“, offenbar aus Rücksicht auf den künftigen Koalitionspartner FDP. Aschenberg-Dugnus macht klar, dass die Liberalen größte Vorbehalte gegen weitere Maßnahmen und Einschränkungen haben. „Verfassungsrechtlich müssen wir immer den geringsten Eingriff wählen“, sagt sie, die anders als Dahmen und Dittmar nicht Medizinerin ist, sondern Juristin. Das bedeute „testen, testen, testen“. Auch Dahmens Vorschlag, in Zügen 3G einzuführen, wie in Frankreich seit Monaten üblich, sei im Nahverkehr nicht umsetzbar. Deutschland sei dafür digital nicht aufgestellt – und „wenn eine Maßnahme nicht zu kontrollieren ist, ist es schon mal schlecht“, sagt Aschenberg-Dugnus. Sie störe, dass manche nur „Stichworte“ schreien würden. Dahmen kontert: „Ein Test schützt per se nicht, sondern deckt nur Infektionen auf. So wie ein Schwangerschaftstest nicht eine Schwangerschaft verhindert.“

Die neueste Idee: 1G

Im Landkreis Bautzen (Sachsen) liegt die 7-Tage-Inzidenz bei 1069,8 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner in sieben Tagen, fast 5000 aktive Covid-19-Erkrankungen unter den etwa 300 000 Einwohnern, 114 Patienten liegen in Kliniken. Das Gesundheitsamt arbeitet neben den aktuellen Infektionsmeldungen einem Rückstand von derzeit rund 1800 Fällen hinterher, von der telefonischen Meldung eines positiven Testergebnisses wird wegen der Überlastung der Corona-Hotline abgeraten. Statt einen Lockdown oder andere harte Einschnitte zu diskutieren, hat Landrat Michael Hartig (CDU) hat bei der Landesregierung ein Modellprojekt angemeldet, das an eine AfD-Forderung erinnert: 1G. Nicht Impfungen oder ein Genesenen-Nachweis gälten dann als Zugangsberechtigung, sondern nur ein aktueller negativer Test. Das in Sachsen jetzt schon gültige 2G würde so ausgehebelt. Geantwortet hat die Landesregierung auf die Idee noch nicht. Zirka 85 Prozent der Intensiv-Patienten im Landkreis sind ungeimpft, etwa 15 bis 20 Prozent der Neuinfektionen sind Impfdurchbrüche. Die Impfquote im Landkreis liegt nur bei 46,5 Prozent, die Sprecherin betont aber, die offizielle Impfquote entspreche nicht der Realität, viele Bürger würden im benachbarten Landkreis Görlitz geimpft.

Die Wut der Weihnachtsmarkt-Betreiber

Rund 3000 Weihnachtsmärkte werden gerade in Deutschland aufgebaut. Für Sachsen regt Ministerpräsident Kretschmer Absagen an. Frank Hakelberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Schaustellerbundes, schimpft: „Diese Arbeiten sind im Vertrauen darauf gemacht worden, dass die Politik seit Wochen sagt, es wird keine flächendeckenden Schließungen, keinen Lockdown mehr geben! Die haben ihr Geld in die Hand genommen, die haben Waren angeschafft, die haben Bratwürste gekauft, viel Glühwein“, sagt er dem Tagesspiegel. „Wir tragen das wie eine Monstranz vor uns her, dass Open- Air-Veranstaltungen kaum Anlass zur Sorge bieten.“ Die größte Altstadtkirmes in Europa, die Allerheiligenkirmes in Soest, sei gerade ohne Probleme durchgeführt worden. Weil die Überbrückungshilfen im Dezember auslaufen, sei das Weihnachtsgeschäft so wichtig, sagt Hakelberg. Vor der Krise besuchten rund 160 Millionen Menschen in Deutschland die Weihnachtsmärkte, laut Schaustellerverband gab jeder im Schnitt 18 Euro aus – der Gesamtumsatz habe bis zu 2,88 Milliarden betragen. „Bei uns ist Januar, Februar, März die traditionelle Winterpause, da passiert gar nichts. Man kann kein Geld verdienen, weil es keine Feste gibt. Deshalb malochen die Schausteller auf diesen Weihnachtsmärkten wie die Bekloppten“.

2G hält er für denkbar, aber schwer kontrollierbar: „Eine Einzäunung wäre nicht praktikabel.“ Hakelberg wird jetzt ungehalten: „Wenn man uns die Weihnachtsmärkte kaputt macht, dann muss gesagt werden: Wie retten wir diese Familien?“

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