zum Hauptinhalt
Georg Thiel ist seit 2017 Bundeswahlleiter.
© promo

Bundeswahlleiter Thiel zu Corona-Folgen: „Vielleicht muss jeder Wähler seinen eigenen Stift mitbringen“

Georg Thiel organisiert die Bundestagswahl in der Pandemie. Ein Gespräch über fehlende Wahlhelfer, Risiken der Briefwahl und Maskenverweigerer im Wahllokal.

Herr Thiel, wie weit sind die Vorbereitungen für die Bundestagswahl bereits?
Wir checken schon jetzt die möglichen Wahllokale, ob dort Abstand gehalten und gelüftet werden kann. Im Herbst haben wir uns bereits von den Erfahrungen der Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen und Bayern berichten lassen. Für uns beginnt eine Wahl immer nach der letzten, die wir auf Bundesebene abgehalten haben. Dann wird evaluiert, ob es Probleme gab. Zum Beispiel gab es bei der letzten Europawahl bei der Bereitstellung von Vordrucken teilweise Engpässe oder Schlangenbildung kurz vor Schließung der Wahllokale. Da wurde – auch vom Verordnungsgeber -  nachjustiert. Die Bundestagswahl 2021 bereiten wir also seit der Europawahl 2019 vor.

Häufig finden Wahlen in Schulen oder Altenheimen statt, weil die Räume dort barrierefrei sind. Müssen Sie da umdisponieren?

Wahlen in Altenheimen gehen dieses Jahr nach meiner jetzigen Einschätzung nicht. Die Situation dort ist schon komplex genug, da sollten wir nicht noch größere Besucherströme hinleiten. Zum Glück sind die meisten Wahlräume traditionell groß. Wir haben alle Landeswahlleiter darauf hingewiesen, dass wir dieses Jahr große Örtlichkeiten benötigen. Idealerweise große Säle in Schulen oder Gaststätten, aber auch Turnhallen oder große Event-Räume halte ich für denkbar. Räume sollten kein Problem werden, aber wir müssen es schon jetzt organisatorisch vorbereiten.

Welche Herausforderungen stellt die Pandemie an die Wahl?
Der Briefwahlanteil wird weiter steigen. Bei der letzten Bundestagwahl lag der Anteil bundesweit bei 28,6 Prozent. In Bayern noch deutlich höher, in den östlichen Bundesländern etwas geringer. Wir richten uns darauf ein, dass dieser Anteil überall zunehmen wird. Gleichzeitig sind alle der Meinung, dass auch unter hohen Inzidenzzahlen eine coronakonforme Urnenwahl möglich ist. Wir werden hinreichende Sicherheitsvorkehrungen treffen, um die Wahlhelfer und Urnenwahlgänger zu schützen. Wir werden Abstand halten, lüften und große Räume finden. Vielleicht muss auch jeder Wähler seinen eigenen Stift mitbringen.

[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Pandemie live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Wie wird mit Wählern umgegangen, die sich weigern, einen Mund-Nase-Maske zu tragen?
Es werden immer die örtlichen Corona-Regelungen gelten. Die Landeswahlleitungen werden den Wahlvorständen dazu nähere Empfehlungen geben. Wir wollen aber erst einmal abwarten, je nachdem wie sich die Pandemie-Lage im Spätsommer entwickelt hat. Wenn wir jetzt eine Regel dazu erlassen, wäre das noch zu früh und würde nur zu unnötigen Diskussionen führen.

Empfehlen Sie aus Gründen des Infektionsschutzes die Briefwahl?
Der Bundeswahlleiter muss sich immer an die Gesetze halten. Das Parlament gibt die Spielregeln vor und ich bin nur der Schiedsrichter. Ich werde daher keine Empfehlung aussprechen. Zur Briefwahl hat das Bundesverfassungsgericht aber einen sehr weisen Satz gesagt: Das Leitbild für die Wahl ist die Urnenwahl. Die Briefwahl wird natürlich als Weg der Stimmabgabe akzeptiert.

In Baden-Württemberg wollten die Grünen der Wahlbenachrichtigung direkt die Briefwahlunterlagen beilegen. Was halten Sie davon?
Eine automatische Übersendung der Briefwahlunterlagen sehe ich kritisch. Ich glaube, das würde der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Leitbild der Urnenwahl  nicht entsprechen. Man kann den Wählern nicht gleichwertig die Auswahl zwischen A oder B geben. Denn zuvorderst ist die Urnenwahl gewollt, aber die Briefwahl zugelassen. Für Wahlen ist es essenziell, dass sie eine breite Akzeptanz erhalten.

Bei der Europawahl 2019 bedankte sich Bundeswahlleiter Georg Thiel bei Wahlhelferinnen in Potsdam.
Bei der Europawahl 2019 bedankte sich Bundeswahlleiter Georg Thiel bei Wahlhelferinnen in Potsdam.
© Andreas Klaer

Für die Bundestagswahl ist das also keine Option?
Nein, ich sehe auch nicht die Notwendigkeit. Der Impfplan und die aktuellen Corona-Maßnahmen greifen zum Glück. Deswegen hoffe ich auf eine möglichst normale Wahl, gleichwohl bereiten wir uns auf alle Szenarien vor.

Werden wegen der zu erwartend hohen Briefwahl mehr Wahlhelfer benötigt?
Ja, darauf müssen wir uns vorbereiten. Die Gewinnung gestaltet sich wegen Corona aber teils nicht ganz so einfach, deswegen informieren wir bereits über Angebote und Sicherheitskonzepte in den Wahllokalen. Wir werden mehr Briefwahlbezirke benötigen und brauchen deshalb auch mehr Wahlhelfer. Das Auszählen der Briefwahlunterlagen dauert immer ein bisschen länger, weil dafür mehr Handgriffe nötig sind. Wir sind aber zuversichtlich, dass wir trotzdem in der Wahlnacht ein vorläufiges amtliches Wahlergebnis bekannt machen können. Das ist uns bislang immer gelungen, und wir bereiten uns so vor, dass wir das auch dieses Mal schaffen. Aber man ist aber nie davor gefeit, dass es auch mal länger dauert. Qualität muss vor Geschwindigkeit stehen.

Wäre es im Jahr 2021 nicht an der Zeit, auch mal über Möglichkeiten einer digitalen Wahl nachzudenken?
Auch dazu hat das Bundesverfassungsgericht eine klare Regelung getroffen: Für den Wähler muss nachvollziehbar sein, was mit seiner Stimme passiert – auch in einer technischen Welt. Seit diesem Urteil konnte das keine Software ermöglichen. Weder meine Vorgänger noch ich haben ein Produkt angeboten bekommen, das eine entsprechende Wahl möglich gemacht hätte. Für eine digitale Wahl gibt es derzeit kein technisches Angebot. Wir sehen auch keinen Bedarf, denn wir haben seit 1949 insgesamt 28 Wahlen auf Bundesebene sauber, transparent und erfolgreich organisiert. Es ist doch auch schön, in ein Wahllokal zu gehen und seine Stimme abzugeben, statt auf einen Button im Internet zu drücken.

Oft wählen mehr als ein Drittel der Berechtigten nicht. Mit einer einfacheren, digitalen Wahl könnte die Beteiligung steigen.
Am Ende kann es ein technisches System nicht schaffen, dass die Wahlbeteiligung steigt. Das muss durch die Diskussion und einen attraktiven Wahlkampf geschehen. Natürlich wollen wir das Wählen leichter machen. Inzwischen wird auf der Wahlbenachrichtigung oft ein QR-Code aufgedruckt. Den scannt man ein und schon hat man die Briefwahl beantragt. Da wurde schon einiges getan.

Zur Startseite