Brexit-Pläne: Vieles deutet auf unsanfte Scheidung hin
In London und in Brüssel wird über einen „harten Brexit“ spekuliert. Theresa May will das Thema beim Parteitag schnell abhandeln. Verlässt Großbritannien den EU-Binnenmarkt – und begrenzt die Zuwanderung?
Unmittelbar vor dem Parteitag der konservativen britischen Regierungspartei werden in Großbritannien die Forderungen nach einem „harten Brexit“ lauter. Außenminister Boris Johnson sagte in einem Interview mit dem Boulevardblatt „Sun“, er strebe nach dem Brexit-Votum vom Juni eine Vereinbarung mit den bisherigen EU-Partnern an, mit deren Hilfe Großbritannien zu einem „Motor“ des weltweiten Freihandels werden könne. Solchen Überlegungen zufolge würde Großbritannien künftig nicht mehr zum EU-Binnenmarkt gehören, sondern stattdessen weltweit bilaterale Freihandelsverträge abschließen.
Zuvor hatte auch der britische Handelsminister Liam Fox angedeutet, dass er eine klare Trennung von der EU bevorzugen würde. Dies würde bedeuten, dass Großbritannien künftig weder am EU-Binnenmarkt noch am Europäischen Wirtschaftsraum teilnimmt, dem auch Nicht-EU-Mitglieder wie Norwegen angehören. Im Gegenzug könnte London dann den Zuzug von EU-Ausländern strikt begrenzen.
Die britische Regierungschefin Theresa May will derweil vermeiden, dass es auf dem an diesem Sonntag beginnenden Parteitag der Konservativen in Birmingham zu einer längeren Diskussion über den Brexit kommt. Deshalb will sie gleich zu Beginn des Parteitags das Thema mit ihrer Rede „abräumen“. Während May Zeit gewinnen will, bis sie den entscheidenden „Scheidungsantrag“ nach Artikel 50 des EU-Vertrages einreicht, drängen Parteifreunde sie dazu, Klarheit über die Verhandlungsstrategie zu schaffen. Der EU-Befürworter und frühere Schatzkanzler Kenneth Clarke lästerte bereits, dass niemand in der Regierung eine Idee habe, was in Sachen Brexit als nächstes passieren solle.
Wie die „Sunday Times“ am Vorabend des Parteitages berichtete, will May den Austritt aus der Union noch vor der Bundestagswahl im kommenden Jahr formell einleiten. Es werde dann ein „Great Repeal Bill“ (ein „großes Aufhebungsgesetz“) eingebracht, um die 1972 geschaffene Grundlage für die heutige EU-Mitgliedschaft des Landes aufzuheben. Der für den Brexit zuständige Minister David Davis sagte dem „Telegraph“, am Tag des Austritts aus würden alle EU-Verordnungen zunächst in britisches Recht übergehen. Etwaige Änderungen würden dann später vom Parlament in London vorgenommen. Die bestehenden Rechte der britischen Arbeiter würde daher nicht angetastet, betonte Davis.
Trotz der Unklarheit wird in Brüssel inzwischen damit gerechnet, dass die verbleibenden 27 EU-Staaten und Großbritannien auf eine unsanfte Scheidung zusteuern. Die britische Zeitung „Guardian“ zitierte einen hochrangigen EU-Diplomaten mit den Worten, das Referendum vom 23. Juni habe deutlich gemacht, dass Großbritannien die Zuwanderung aus der EU begrenzen und nicht mehr in die EU-Kasse einzahlen wolle. „Wenn man nicht zum EU-Budget beitragen will und Freihandelsvereinbarungen mit Drittstaaten abschließt, dann ist man komplett draußen“, sagte der EU-Diplomat den Angaben zufolge.
Kritik im Bundestag an Röttgens Vorstoß
Auch in Berlin werden vermehrt Gedankenspiele über die bevorstehenden Brexit-Verhandlungen angestellt – immer vorausgesetzt, dass Regierungschefin May den „Scheidungsantrag“ tatsächlich stellt. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hatte in dieser Woche in einer Rede gefordert, dass im Zuge der möglichen Brexit-Verhandlungen weder ein Exempel an Großbritannien statuiert werden dürfe noch London ein „Europa à la carte“ präsentiert bekommen solle. Jenseits dieser allgemeinen Festlegung kursieren im Bundestag bereits konkrete Überlegungen, welche Verhandlungslinie die EU verfolgen soll.
Der Vorstoß des Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses, Norbert Röttgen (CDU), zu einer künftigen Anbindung Großbritanniens findet dabei keineswegs nur Beifall in der Unions-Bundestagsfraktion. Röttgen hatte in einem Papier der Brüsseler Denkfabrik Bruegel vorgeschlagen, dass London zwar Zugang zum EU-Binnenmarkt für Waren, Dienstleistungen und Kapital erhalten könne, aber den freien Zugang von Jobsuchenden aus der EU nicht uneingeschränkt akzeptieren müsse. Eine derartige Aufweichung der sogenannten vier Grundfreiheiten der EU würde Großbritannien entgegenkommen.
CDU-Politiker Krichbaum fordert Mitsprache des Bundestages
Der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag, Gunther Krichbaum, verlangte, dass auch das Parlament einen Austrittsvertrag zwischen Großbritannien und der EU absegnen müsse. „Das kann nicht ohne Zustimmung des Bundestages erfolgen“, sagte Krichbaum dem Tagesspiegel. Zur Begründung erklärte der CDU-Politiker, dass ein Brexit auch Auswirkungen auf den Bundeshaushalt habe.
Sorge vor "Rosinenpickerei" der Briten geht um
Dass sich die politischen Fronten zwischen Großbritannien und den EU-27 drei Monate nach dem Brexit-Votum verhärten, hängt auch mit der Sorge in Ländern wie den Niederlanden und Dänemark zusammen: Falls Großbritannien Rosinenpickerei bei den Verhandlungen mit den EU-27 betreiben würde, wäre dies Wasser auf die Mühlen der dortigen EU-kritischen Parteien.
In diesem Sinne äußerte sich in der vergangenen Woche auch der italienische Regierungschef Matteo Renzi in einem Interview mit der BBC. Großbritannien könne im Zuge der Verhandlungen nicht bessergestellt werden als andere Nicht-EU-Staaten, forderte Renzi. (mit rtr)