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Freie Fahrt. Seit Mittwoch gilt für Rumänen und Bulgaren die Freizügigkeit. Sie können nun auch in Deutschland als Arbeitnehmer auf Jobsuche gehen.
© AFP

Chef des Städtebunds im Interview: „Viele Zuwanderer werden ausgenutzt“

Der deutsche Arbeitsmarkt ist seit dem 1. Januar für Arbeitnehmer aus Bulgarien und Rumänien geöffnet. Der Geschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes spricht im Tagesspiegel-Interview über den Zuzug armer Familien in große Städte.

Herr Landsberg, seit dem 1. Januar dieses Jahres ist der deutsche Arbeitsmarkt vollständig für Arbeitnehmer aus Rumänen und Bulgarien geöffnet. Die Kommunen warnen seit Monaten vor einer Überforderung durch Armutszuwanderung. Ist das nicht Panikmache?

Nicht jede Kommune ist überfordert. Von den 370 000 Rumänen und Bulgaren in Deutschland beziehen nur zehn Prozent Hartz-IV-Leistungen, ein Großteil ist gut qualifiziert und längst integriert. Aber es gibt auch Armutszuwanderung aus diesen Ländern. In ihren Heimatländern bekommen diese Menschen Sozialhilfe von 25 bis 30 Euro pro Monat. Sie kommen hierher, weil sie in Not sind und zu Hause teilweise diskriminiert werden. Die Kommunen können das Problem der europäischen Armutszuwanderung nicht alleine lösen.

Warum sind die Kommunen überfordert?
Die Armutszuwanderung konzentriert sich auf bestimmte Städte wie zum Beispiel Duisburg, Dortmund oder Berlin. Da geht es um Zuwanderer mit sehr geringer Bildung, manche sind sogar Analphabeten, die kein Wort Deutsch oder Englisch sprechen. Sie haben kaum eine Chance, einen Job zu finden, gerade in Städten, wo die Langzeitarbeitslosigkeit ohnehin hoch ist. Diese Menschen haben außerdem oft keine Krankenversicherung und keine ordentliche Unterkunft. Deshalb fordern wir mehr Unterstützung vom Bund und den Ländern.

Gerd Landsberg.
Gerd Landsberg.
© picture alliance / dpa

Welche Unterstützung erwarten Sie denn von der Bundesregierung und auch aus den Ländern?
Die Kommunen brauchen finanzielle und organisatorische Hilfe. Wir benötigen unter anderem Unterstützung, um Wohnraum zur Verfügung stellen zu können. Teilweise werden die Personen ausgenutzt, indem ihnen einzelne Betten oder Räume in Schrottimmobilien überteuert vermietet werden. Den Kommunen fehlen oft passende Unterkünfte, weil die Familien teilweise mit sechs oder mehr Kindern sehr groß sind. Auch auf Vorschlag des Städte- und Gemeindebunds hat die Innenministerkonferenz beschlossen, Anfang 2014 einen Unterbringungs- und Asylgipfel zu veranstalten. Dort werden wir konkrete Hilfe verlangen, bei der Unterbringung von Armutszuwanderern ebenso wie von Flüchtlingen.

Die CSU will schärfer gegen "Armutszuwanderung" vorgehen. Sie fordert mit dem Slogan „Wer betrügt, der fliegt“ unter anderem ein Wiedereinreiseverbot für Zuwanderer, die bei Sozialleistungen betrogen haben. Halten Sie diese Forderungen für gerechtfertigt?
In die politischen Gefechte will ich mich nicht einmischen. Es muss aber bei dem Grundsatz bleiben, dass Freizügigkeit in Europa bedeutet, dass man seinen Arbeitsort selbst wählen kann, aber nicht das Sozialsystem. Dieses Prinzip wird hoffentlich demnächst auch vor dem Europäischen Gerichtshof bestätigt.

Kommen wir zu einem anderen Thema, das die Kommunen im vergangenen Jahr stark beschäftigt hat: Seit Mitte 2013 haben Eltern einen Rechtsanspruch auf eine Betreuung für ihre unter dreijährigen Kinder. Können die Kommunen diesen Anspruch überhaupt einlösen?
Ja, in den meisten Fällen schon. Die Kommunen haben 2013 schwerpunktmäßig und vorrangig in Kinderbetreuung investiert, Klagen gab es in den vergangenen Monaten nur vereinzelt. Insgesamt standen zum Jahresende nach Angaben der Länder bundesweit 810 000 Betreuungsplätze zur Verfügung. Doch der Bedarf wird weiter steigen. Der Anteil junger Mütter, die zügig in den Beruf zurückkehren wollen, nimmt zu.

Woran hapert es im Moment noch beim Kitaausbau?
Wenn der Kitaausbau in dem Tempo fortgesetzt werden soll, brauchen die Kommunen weitere Finanzzusagen vom Bund. In Ballungsgebieten fehlen außerdem geeignete Grundstücke. Und es gibt nicht ausreichend qualifiziertes Personal. Das liegt daran, dass die Länder zu wenig Erzieherinnen und Erzieher ausgebildet haben. Ich sehe aber auch die Wirtschaft in der Pflicht, in größerem Umfang Tagesmütter anzustellen. Im Moment fällt es den Kommunen schwer, ausreichend Tagesmütter zu gewinnen. Das liegt auch daran, dass die Tagesmütter zu wenig Rechtssicherheit haben und nicht verlässlich planen können.

SPD und Union versprechen in ihrem Koalitionsvertrag, dass sie die Qualität der Kindertagesbetreuung bundesweit regeln wollen. Dazu gehören Fragen der Personalausstattung, der Qualifikation und der Weiterbildung der Fachkräfte. Halten Sie das für sinnvoll?
Ich glaube nicht, dass bundesweite Standards die beste Lösung sind. Es macht keinen Sinn, alles über einen Kamm zu scheren. Die Betreuungsanforderungen sind in Berlin-Zehlendorf anders als in Neukölln. Standards zu definieren wäre außerdem Ländersache. Der Bund ist dafür nicht zuständig. Es stimmt aber, dass unsere nächste Herausforderung sein wird, die Qualität der Kindertagesstätten zu verbessern. Wir brauchen flexiblere und bessere Betreuung.

Können Sie das erläutern?
Einer jungen Ärztin nutzt es nichts, wenn sie ihr Kind um neun Uhr morgens in den Kindergarten bringen und nachmittags um 16 Uhr abholen kann. Wenn sie gerade dann operieren muss, braucht sie auch mal eine Betreuung bis 19 Uhr. In manchen Regionen muss sich auch der Betreuungsschlüssel verbessern. In Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt kommen auf eine Erzieherin sechs bis sieben Kinder, in Bremen sind es nur 3,2 Kinder. Da werden wir weiter investieren müssen.

Die Fragen stellte Cordula Eubel.

Gerd Landsberg (60) ist seit 1998 Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds. Sein Verband vertritt rund 11 000 Städte und Gemeinden in Deutschland.

Cordula Eubel

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