Flüchtlinge in Deutschland: "Viele Zuwanderer haben verwertbare berufliche Kompetenzen"
Deutschland braucht ein neues Anerkennungsrecht, wenn die berufliche Integration von Flüchtlingen gelingen soll. Ein Gastbeitrag von Raimund Becker, Mitglied des Vorstands der Bundesagentur für Arbeit.
Wenn sich in fünf oder zehn Jahren die heutigen Flüchtlinge ohne Perspektive in trostlosen Stadtvierteln der Republik wiederfinden, dann weil die Berufsbildung und die Arbeitsmarktpolitik – oder schlicht Deutschland, versagt haben. Dazu soll und dazu darf es nicht kommen. Taxifahrende Ingenieure und putzende Ärztinnen sind ein vielzitiertes Bild, wenn es darum geht aufzuzeigen, wo es in Deutschland immer noch klemmt. Wie hoch halten wir die Zugangsbarrieren in unsere Berufswelt und damit in unsere Gesellschaft? Wie leicht machen wir es qualifizierten Zuwanderern, in Deutschland Fuß zu fassen? Deutschland ist ein zertifikatsorientiertes Land. Alles und jeder braucht Zeugnisse, Nachweise, Stempel. Hat man dies nicht, fängt man bei null an.
Das Anerkennungsgesetz zielt auf formal erworbene Abschlüsse ab
Zuwanderer sind darauf angewiesen, dass ihre im Ausland erworbenen Berufskompetenzen auch anerkannt werden. Das ist im Grunde richtig. Ist es aber auch richtig, als Blaupause das deutsche Bildungssystem heranzuziehen? Wohl wissend, dass unsere duale Ausbildung eher Exot als Standard ist? Viele Staaten –auch Deutschland – grenzten ihre nationalen Arbeitsmärkte durch fehlende oder komplizierte Anerkennungsregeln voneinander ab. Das sollte sich mit dem Anerkennungsgesetz ändern.
Aber hat das Gesetz wirklich die Erwartungen erfüllt? Nein. Es ist ein Schritt in die richtige Richtung, nicht mehr und nicht weniger. Das Anerkennungsgesetz zielt auf formal erworbene Abschlüsse ab. Es bestätigt die Gleichwertigkeit mit deutschen Formalabschlüssen auf Grundlage von vorgelegten Zertifikaten und Zeugnissen aus dem Ausland. Eine Entscheidung über ja – nein, schwarz oder weiß. Eine Entscheidung über drinnen oder draußen. So digital ist die Welt aber nicht.
Viele Zuwanderer haben in Deutschland verwertbare Berufskompetenzen
Genau darin liegt die Schwierigkeit: Die Herkunftsländer der Flüchtlinge verfügen nicht über ein ähnlich formalisiertes Bildungssystem wie Deutschland. Viele Zuwanderer haben auch in Deutschland verwertbare berufliche Kompetenzen. Sie haben sie aber in Kursen und Seminaren oder informell durch Lernen in der Praxis erworben. An all diesen Menschen geht das Anerkennungsgesetz in seiner heutigen Form vorbei. Für sie ist es nicht gemacht.
Es ist nicht wichtig, auf welchem Wege Kompetenzen erworben wurden
Wenn wir in den kommenden Jahren insbesondere Flüchtlinge in großer Zahl beruflich integrieren wollen, dann müssen wir alle Kompetenzen erfassen, die sie mitbringen, und nicht nur die quasi amtlich attestierten und abgestempelten. Wir brauchen Verfahren, mit denen Zuwanderer auf einfache und zuverlässige Weise belegen können, was sie schon können und worauf man aufbauen kann.
Was ist dabei zu beachten: Es geht um Lernergebnisse, um Berufskompetenzen, und nicht darum, auf welchem Wege sie erworben wurden. Verfahren müssen die Berufskompetenz testen – nicht vorrangig die Deutschkenntnisse. Sie müssen in den Muttersprachen der Zuwanderer bereit stehen. Vielleicht ist ein syrischer Maurer hier im Baugeschäft einsetzbar, auch wenn er nicht so gut Deutsch kann. Er könnte seine Berufserfahrungen beweisen und lernt dann robustes Deutsch auf der Baustelle schneller als im Sprachkurs.
Ohne Flexibilisierung des Anerkennungsrechts wird Integration nicht funktionieren
Die Verfahren dürfen nicht auf ganze Berufe abheben, sondern auf Teilqualifikationen, die ja dann den Ausgangspunkt für weitere Investitionen und erste Jobs bieten können. Ein solches gegliedertes Vorgehen würde übrigens auch noch mal Talente unter den Langzeitarbeitslosen mobilisieren und sichtbarer machen. Und die Zertifikate dieser Kompetenztests müssen auf dem Arbeitsmarkt gleichwertig mit Formalzertifikaten gelten und behandelt werden. Sie drücken schließlich das gleiche aus.
Eine solche Fortentwicklung des Anerkennungsgesetzes wäre ein wichtiger Beitrag zur großen Aufgabe der nächsten Jahre. Und es wäre ein wichtiges Zeichen der Wertschätzung der Lebensleistung von jedem einzelnen Zuwanderer. Ohne eine Flexibilisierung des Anerkennungsrechts wird Integration in der Dimension, wie wir ihr heute begegnen, nicht funktionieren.