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Die Ruhe vor der Schelte. Welche Reaktion seiner Parteifreunde ihm blüht, konnte Winfried Kretschmann sicher schon während der Sitzung ahnen.
© pa

Die Grünen und der Asylkompromiss: Viele Sorten Freiheit

Mit ihrem Freiheitskongress wollten sich die Grünen neu ausrichten. Doch dann kam zuviel Freiheit dazwischen ... und zu wenig. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Anna Sauerbrey

Das Cowgirl reitet durch eine karge Steppenlandschaft, hin auf ein unbekanntes Ziel: Es ist ein etwas merkwürdiges Bild, das die Programmhefte des Grünen-Freiheitskongresses ziert. Aber es hat das Zeug, zum Symbolbild für diesen denkwürdigen Tag in der Geschichte der Grünen zu werden.

Während an der Leipziger Straße der Bundesrat mit der Stimme des grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann einen Asylkompromiss verabschiedet, debattieren wenige Kilometer entfernt im Paul-Löbe-Haus seine Parteifreunde über die Freiheit. Der grüne Freiheitskongress sollte die Partei nach dem schlechten Ergebnis bei der letzten Bundestagswahl gedanklich neu aufstellen, sollte den Grünen heraushelfen aus der Veggie-Day-Ecke, sollte zeigen, dass die Partei noch für die ganz großen Ideen steht. Und außerdem war da ja auch ein Stuhl im politischen Spektrum freigeworden, der der FDP.

Die Freiheitsdebatte der Grünen verliert sich in den Weiten der Steppe

Doch die Debatte verliert sich in den unendlichen Weiten der Steppe. Die Vielfalt der Freiheitsbegriffe ist so groß wie die Auswahl an Fleischersatzprodukten bei Alnatura. Ralf Fücks zum Beispiel, Vorstandsmitglied der Heinrich-Böll-Stiftung, präsentiert sich als Marktliberaler. Innovation und Kreativität freisetzen, das könne der freie Markt am besten. Claudia Roth sagt, Freiheit heiße, die Menschen vor der großen Dürre zu bewahren, die der Klimawandel bringen werde. Katrin Göring-Eckardt meint, Freiheit gehe nur in Gemeinschaft: „Freiheit kann es nur im Plural geben.“ Woraufhin Marianne Birthler erwidert, damals, 1989, habe man niemandem erklären müssen, was Freiheit sei. „Es gab nur den Singular.“

„Freiheit ermöglichen“ oder „Freiheit gewähren“, Neo-, Ordo-, und Laisser-faire-Liberalismus, ein bisschen Smith, ein bisschen Rawls, ein bisschen Camus, die Grünen klingen wie ein Philosophie-Grundkurs, richtig und falsch gibt es nicht. Für einen Moment ist alles grüne Dialektik.

Für konkrete Freiheiten sind viele Grüne am Freitag nicht zu haben

An der Leipziger Straße, im Bundesrat, erhalten unterdessen in Deutschland lebende Asylbewerber eine Reihe von Freiheiten: Die Residenzpflicht fällt, die Flüchtlinge sollen leichter arbeiten dürfen, es gibt Geld statt Essen.

Doch kaum ist das Podium geschafft, kehren richtig und falsch in die grüne Partei zurück. „Falsch“ findet Katrin Göring-Eckardt jedenfalls, was Kretschmann mit verhandelt und beschlossen hat, und sie sagt das auch in die Mikrofone.

Karg und leer ist die Freiheit der Grünen, wie sie an diesem Tag im Berliner Paul-Löbe-Haus diskutiert wird. Das Cowgirl in der Steppe ist auf dem Weg nach nirgendwo. Jener Grüne aber, der konkret wird, muss sich Zynismus vorwerfen lassen. Man ist so frei. Auch das ist grüne Dialektik.

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