CSU: Viel Wind gegen Atom
CSU-Chef Seehofer hat mit dem Ausstieg sein Thema gefunden – die alte Garde aber ist misstrauisch. Auf einer Klausurtagung will die Partei aus dem Bundesland mit den meisten Atommeilern über das Thema verhandeln.
Kürzlich ist Markus Söder auf einen neuen Seelenverwandten gestoßen. Er habe die Memoiren von Joschka Fischer gelesen, erzählte der bayerische Umweltminister bei der Vorstellung der neuen Atomkommission des Freistaats. Besonders beeindruckte den CSU-Politiker die Schilderung, wie sich der einstige grüne Außenminister angesichts der Verfolgungen im Kosovo vom Pazifisten zu einem wandelte, der Militäreinsätze befürwortet, wenn nur damit Menschen geschützt werden können. Genauso, meint Söder, gehe es ihm nun auch mit seiner Abkehr von der Atomkraft. „Japan verändert alles“, sagt er immer wieder.
Die CSU versucht, innerhalb der Berliner Regierungskoalition eine Spitzenstellung beim Atomausstieg einzunehmen. Laut den von der Landtagsfraktion verabschiedeten „energiepolitischen Leitlinien“ sollen bis zum Jahr 2022, besser noch bis 2020, alle Kernkraftwerke abgeschaltet sein. Am diesem Wochenende behandelt der CSU-Vorstand auf einer Klausurtagung das Thema – im Kloster Andechs auf dem „Heiligen Berg“. Hier konnte sich Seehofer durchsetzen: Nach siebeneinhalb Stunden intensiver Debatte über das Thema wurde ein entsprechendes Atomkonzept am Freitagabend mit großer Mehrheit gebilligt. Nach CSU-Informationen standen mehr als 40 Ja-Stimmen sechs Enthaltungen gegenüber.
Dabei ist es gerade für die CSU und Bayern besonders schwer, sich rigoros von der Atomkraft zu verabschieden. Knapp 60 Prozent des im Freistaat benötigten Stroms werden momentan per Kernspaltung erzeugt, bundesweit sind es nur 30 Prozent. Bayern hat in ganz Deutschland die meisten Atommeiler – fünf von insgesamt 17. Der wegen seiner vielen Pannen berüchtigte Uralt-Reaktor Isar 1 bei Landshut ist abgeschaltet worden und soll auch nie mehr ans Netz gehen. Als Letztes will die Landes-CSU die deutlich jüngere Anlage Isar 2 bis spätestens im Jahr 2022 stilllegen. Stattdessen soll etwa die Produktion von Sonnenenergie vervierfacht werden. In einem Interview sprach Söder auch von „Bürgerwindanlagen“, die Menschen könnten zu ihren eigenen Energieversorgern werden, dies setze „Impulse für die ganze Welt“.
Nicht nur die FDP, der Koalitionspartner auch im Freistaat, kritisiert nun die Rolle rückwärts als „Populismus“ der ergrünten CSU. Auch innerhalb der Partei wird heftig gerangelt. Ein wesentlicher Streitpunkt ist, ob man sich auf ein Datum festlegen sollte, wann die Zeit ganz ohne Atomstrom beginnt. Einige CSU-Bundestagsabgeordnete wie etwa Stephan Mayer warnen davor. Auch Teile der alten Führungsgarde stehen den Plänen von Ministerpräsident Horst Seehofer, zugleich CSU-Vorsitzender, und Söder kritisch gegenüber. Führend ist dabei der einstige Parteichef Erwin Huber, der nicht nur bei der Atomkraft, sondern auch bei vielen anderen Themen gegen Seehofer opponiert. Huber warnt seine Parteifreunde vor einer „grün lackierten CSU“.
Doch gibt es auch viele Fürsprecher in der Partei für die neue Linie. Der Europaabgeordnete Martin Kastler etwa erklärt: „Wir wollen einen Atomausstieg so schnell als möglich.“ Dafür brauche man einen festen Termin. Auch Generalsekretär Alexander Dobrindt scheint voll auf die Linie von Seehofer und Söder eingeschwenkt zu sein. Vier Monate vor der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima allerdings hatte er noch auf dem CSU-Parteitag polemisiert: „Diejenigen, die gestern gegen Kernenergie, heute gegen Stuttgart 21 demonstrieren, müssen sich nicht wundern, wenn sie irgendwann ein Minarett im Garten stehen haben.“
Der CSU-Ausstieg rüttelt an einer Grundfeste der Partei. Ende der 50er Jahre hat sie die Kernkraft in Bayern forciert, wie es sonst in keinem anderen Bundesland geschehen ist. Franz-Josef Strauß, der noch auf jedem Parteitag beschworen wird, war ein glühender Förderer der Technologie. Markus Söder allerdings meint nun, die Atomkraft sei nie ein Markenzeichen der CSU gewesen. Ein mögliches Endlager für radioaktiven Atommüll im Freistaat lehnt er aber strikt ab – Bayern sei dafür „geologisch“ nicht geeignet.
Der Parteivorsitzende Horst Seehofer hat mit dem neuen Atomkurs sicherlich nicht nur die Jahre 2022 oder 2020 im Blick, sondern auch den Herbst 2013. Da wird – voraussichtlich zeitgleich mit der Bundestagswahl – in Bayern ein neuer Landtag gewählt. Die Regierungsmehrheit in Bayern könnte wegen der äußerst schwachen FDP gefährdet sein. Unumwunden sagt Seehofer immer wieder, wo seiner Ansicht nach die Defizite der CSU liegen: bei jungen Leuten, Stadtbewohnern, Frauen und bei der Ökologie. Vor einigen Wochen bei seiner Reise nach Moskau stellte er die Grünen-Fraktionschefin im Landtag, Margarete Bause, gar als mögliche künftige Koalitionspartnerin vor. Mit dem Atomausstieg glaubt Seehofer nun, das lange gesuchte große Thema seiner Amtszeit gefunden zu haben.