Alexis Tsipras beschwert sich bei Merkel: Vertreter von Schäuble nannte Antrag angeblich "trojanisches Pferd"
Athen wähnte sich mit dem Hilfsantrag auf der sicheren Seite – bis Wolfgang Schäuble Einspruch erhob. Was steht in dem Schreiben und was bedeutet es? Wo kommt Tsipras der EU entgegen, was steht einer Einigung im Weg?
Nach Athens Antrag auf eine Verlängerung der Finanzhilfe hat Griechenlands Regierungschef Alexis Tsipras am Donnerstag mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) telefoniert, wie das Bundespresseamt auf Nachfrage mitteilte. Die Atmosphäre sei "gut" gewesen, beide bemühten sich um eine Lösung, die für Griechenland und Europa nützlich sei, verlautete im Anschluss an das 50-minütige Gespräch aus Athener Regierungskreisen. Allerdings habe sich Tsipras über eine harte deutsche Position in der Eurogruppe beschwert. So soll der Berliner Vertreter in einem Vorbereitungstreffen den Antragsbrief aus Athen am Donnerstag als "trojanisches Pferd" bezeichnet haben, sagte der Regierungsmitarbeiter. Das Schreiben solle verbergen, dass Griechenland eigentlich nur eine Brückenfinanzierung wolle, ohne die Auflagen weiter zu erfüllen.
Tsipras äußerte nach Angaben des Regierungsmitarbeiters in dem Gespräch mit Merkel Kritik an dieser Wortwahl. Diese "helfe in keiner Weise bei den echten Diskussionen".
Athen sichert in dem Antrag zu, seine Schulden zu begleichen, die Troika-Kontrolle zu akzeptieren und auch Reformen fortzusetzen. Eine Verpflichtung auf konkreten Maßnahmen und Sparziele bleibt die Regierung aber schuldig. Am Freitag werden Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und seine Kollegen in Brüssel über den Schuldenstreit beraten. Einigen sie sich nicht, droht Athen nach dem Auslaufen des derzeitigen Programms Ende des Monats bald die Pleite.
Brief bringt Bewegung in die Verhandlungen
Ob sich die Verhandlungen in der Griechenland-Krise tatsächlich schon auf der Zielgeraden befinden, darauf mochten am Donnerstag nur wenige in Brüssel, Berlin und Athen wetten. Aber seit die Links-rechts-Regierung von Alexis Tsipras am Vormittag einen schriftlichen Antrag auf eine Verlängerung der Kredithilfen der internationalen Geldgeber gestellt hat, ist Bewegung in die Sache gekommen. Zwar erklärte der Sprecher von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), Martin Jäger, der zweiseitige Antrag sei „kein substanzieller Lösungsvorschlag“. In Brüssel sieht man dies allerdings offenbar etwas anders.
Mehrmals konferierten EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker, der niederländische Euro-Gruppenchef Jeroen Dijsselbloem und Tsipras in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag und am Morgen telefonisch miteinander, bevor am Vormittag der Antrag auf eine Verlängerung der Milliardenhilfen per E-Mail in Brüssel eintraf. „Griechischen Antrag für sechsmonatige Verlängerung erhalten“, meldete Dijsselbloem über den Kurznachrichtendienst Twitter. Anschließend berief er ein Treffen der Euro-Finanzminister für diesen Freitagnachmittag ein. Schnell wuchs in Brüssel die Zuversicht, dass am Ende doch noch eine harte Konfrontation zwischen den Griechen und ihren Geldgebern vermieden werden kann.
Einiges könnte einem Kompromiss den Weg ebnen
Tatsächlich findet sich in dem Hilfsantrag einiges, was einem Kompromiss den Weg ebnen könnte. So verpflichtet sich Athen zu einer Rückzahlung der Schulden an „sämtliche Gläubiger“. Über diesen Punkt war es noch bei einem Treffen der Euro-Gruppe, das der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis vor einer Woche hatte platzen lassen, zum Streit gekommen. Die Formulierung war auf Varoufakis’ Wunsch abgeschwächt worden.
In dem Brief an die Euro-Gruppe bekennt sich die griechische Regierung zudem zu der Finanziellen Rahmenvereinbarung mit dem Rettungsfonds MFSF von 2012. Athen erklärt sich auch bereit, eng mit der EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank (EZB) und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) zusammenzuarbeiten.
Bisher hatte die neue Athener Regierung jeden Kontakt mit der in Griechenland verhassten Troika aus EU, EZB und IWF abgelehnt. Aus dem Brief geht aber nicht eindeutig hervor, ob Griechenland die Reformauflagen des Programms in vollem Umfang umsetzen will. Diese Schritte wurden seinerzeit in einem „Memorandum of Understanding“ festgelegt. Während Tsipras’ Regierung den Antrag nach Brüssel abschickte, kam schrille Begleitmusik aus Athen: Die neue Regierung habe in dem Brief „keine Verlängerung des Memorandums“ beantragt, hieß es aus griechischen Regierungskreisen. Verlängert werde nur die „Kreditvereinbarung“ mit den Gläubigern.
Griechenland verspricht in dem Antrag zwar, keine einseitigen Schritte zu unternehmen, welche die Haushaltsziele und die finanzielle Stabilität gefährden. Die Regierung wünscht sich allerdings mehr finanziellen Spielraum, um die sozialen Härten der Krise zu mildern.
Während der sechsmonatigen Verlängerung des Hilfsprogramms will Athen mit den öffentlichen Gläubigern über ein auf vier Jahre angelegtes Folgeprogramm verhandeln. Es soll auch Schuldenerleichterungen beinhalten, wie sie die Euro-Finanzminister dem Land bereits im November 2012 in Aussicht gestellt hatten. Man werde unverzüglich Maßnahmen gegen die Steuerhinterziehung und die Korruption ergreifen und Schritte zur Linderung der humanitären Krise sowie zur Wiederbelebung der Wirtschaft einleiten, hieß es aus Athener Regierungskreisen.
Die Verhandlungen dürften schwierig werden
Alles in allem ging Tsipras also mit dem Antrag einen Schritt auf die Europäische Union zu. Ohne weitere Hilfskredite könnte Griechenland bereits Ende März das Geld ausgehen. In Athener Regierungskreisen gab man sich daher am Donnerstag zunächst zuversichtlich, dass die Partner in der Euro-Zone nun grünes Licht für weitere Finanzhilfen geben. Die erste Reaktion der EU-Kommission schien das auch zu bestätigen. Doch dann kam die kalte Dusche aus Berlin: Bundesfinanzminister Schäuble ließ die Griechen abblitzen.
Derweil studierten die Experten der Euro-Arbeitsgruppe das Papier. Sofern sie Anknüpfungspunkte für eine Einigung sehen, wollen an diesem Freitag die Euro-Finanzminister über den Antrag und eine Lösung des Streits beraten. Aus dem Büro des Präsidenten der Euro-Arbeitsgruppe, Thomas Wieser, hieß es am Nachmittag, das Treffen der Finanzminister solle wie geplant am Freitag ab 15 Uhr stattfinden.
Selbst wenn Schäuble doch noch über das Papier diskutieren sollte, dürften die Verhandlungen über die Verlängerung des Hilfsprogramms schwierig werden. Im Wahlkampf hatte Tsipras einen Stopp der Privatisierungen angekündigt. Zudem hatte er höhere Renten und Mindestlöhne, Steuererleichterungen, einen Rückbau der Arbeitsmarktreformen und Einstellungen im Staatsdienst versprochen. Mit den bisherigen Vorgaben des Hilfsprogramms sind diese Ankündigungen unvereinbar. (mit AFP)
Gerd Höhler, Albrecht Meier