Hassreden im Netz: Verschwörungstheoretiker verfolgen Richard Gutjahr
Richard Gutjahr wird seit langem von Verschwörungstheoretikern verfolgt. Er rät Betroffenen dazu, sich gegen die Angriffe zu wehren.
„Seit dreieinhalb Jahren kämpfe ich gegen diese Nazis“, sagt der Münchner Journalist Richard Gutjahr. Seine Stimme klingt immer noch zornig. So lange wehrt er sich schon gegen „Hate Speech“ im Internet über ihn – also Hassreden. Über ihn werden Lügen verbreitet, er wird bedroht und beschimpft, auch seine Frau und seine Kinder sind von den Attacken betroffen.
Die jüngsten Morddrohungen gegen Politiker in Thüringen zeigen, wie aktuell dieses Thema ist. Gutjahr wurde ungewollt zum Experten, in dieser Woche war er etwa Teilnehmer einer Podiumsdiskussion in München.
Seine Geschichte: Am 14. Juli 2016 hielt er sich privat in Nizza auf und erlebte von seinem Hotelfenster aus den Lkw-Anschlag am Strand, bei dem 86 Menschen getötet wurden. Gutjahr filmte und berichtete als Journalist für den Bayerischen Rundfunk (BR) und die ARD.
Acht Tage später war er mit dem Auto in München in der Nähe des Olympia-Einkaufszentrums, als er von dem OEZ-Anschlag hörte. Wieder nahm Gutjahr spontan die Arbeit auf.
Wirre Theorie
Bald darauf ging im Internet die „Lawine“ los, wie er es bezeichnet. Die wirre Theorie, die sich schnell ausbreitete: Einen solchen Zufall könne es nicht geben, Gutjahr habe von den Anschlägen gewusst. Diese seien in Wirklichkeit von anderen Mächten ausgeübt worden. Da seine Frau Israelin ist, wurde häufig der Geheimdienst Mossad genannt – das passt ins Muster von klassischen antisemitischen Verschwörungstheorien. „Vor einiger Zeit waren 1200 Videos über mich online“, sagt Gutjahr.
Was sollen „Opfer“ – so bezeichnet sich der Journalist selbst – solcher Shitstorms am besten machen? Schweigen, sich wehren, die Sache publik machen? In der Internet-Welt tauchte er einige Wochen ab, doch die Aufwallung im Netz wurde immer größer. Dann ging er an die Öffentlichkeit, klagte vor Gericht, bekam auch immer wieder Recht.
„Diese Angriffe sind koordiniert, gezielt, hochgradig schlau“, sagt er heute. Er nennt es eine „Hassspirale“ und spricht vom Nachahmereffekt: „Im Netz lebt der Hass weiter.“ Es kam zu Morddrohungen und zu Äußerungen wie: „Wir kennen den Schulweg deines Kindes.“
Der Würzburger IT- Fachanwalt Chan-jo Jun rät, Beleidigungen und Bedrohungen in jedem Fall anzuzeigen. Auch muss die Staatsanwaltschaft von sich aus ermitteln, da ein öffentliches Interesse daran besteht. Allerdings verläuft das nicht immer erfolgreich.
„Die meisten Fälle wurden nicht weiter verfolgt oder eingestellt“, sagt Richard Gutjahr. Die großen Plattformen wie Facebook und Youtube reagieren manchmal und löschen die entsprechenden Beiträge – oder auch nicht.
„Die Anfeindungen sind mittlerweile sehr viel weniger geworden“, sagt Gutjahr. Aber er stellt auch fest: „Die Angriffe flammen mit jedem neuen Terroranschlag erneut auf.“ Wie etwa kürzlich bei dem Attentat auf die Synagoge in Halle. Mehrfach spricht er von „Gift“ und sagt: „Meine Familie und ich wurden zum Freiwild. Das macht etwas mit einem, das ändert die DNA unserer Gesellschaft.“
Dennoch meint er, der sich journalistisch viel mit Netzpolitik befasst: „Das Internet ist eine der größten Erfindungen der Menschheit.“ Und: „Ich bleibe optimistisch, wir kriegen das irgendwie gemeinsam wieder hin.“
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