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Blick über Mariupol auf das umkämpfte Stahlwerk Asowstal
© Reuters/Alexander Ermochenko
Update

„Könnte der letzte Appell unseres Lebens sein“: Verschanzte Verteidiger von Mariupol bitten um Evakuierung in Drittstaat

Im Stahlwerk von Mariupol harren ukrainische Soldaten und wohl viele Zivilisten aus. Der Kommandeur schickt eine dramatische Botschaft an die Welt.

In einem dramatischen Appell hat der ukrainische Kommandeur der verbliebenen Marineinfanteristen in der schwer umkämpften Hafenstadt Mariupol um eine Evakuierung in einen Drittstaat gebeten.

„Der Feind ist uns 10 zu 1 überlegen“, sagte Serhij Wolyna, Kommandeur der ukrainischen 36. Marineinfanteriebrigade, in einer am frühen Mittwochmorgen auf Facebook veröffentlichten einminütigen Videobotschaft. „Wir appellieren an alle führenden Politiker der Welt, uns zu helfen.“

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Russland habe Vorteile in der Luft, bei der Artillerie, den Bodentruppen, bei Ausrüstung und Panzern, sagt Wolyna weiter. Die ukrainische Seite verteidige nur ein Objekt, das Stahlwerk Asowstal, wo sich außer Militärs noch Zivilisten befänden.

[Lesen Sie auch: Dramatische Lage in Mariupol – das sind die letzten Ukraine im Stahlwerk Asowstal (T+)]

Wolyna bittet, das „Verfahren der Extraktion“ anzuwenden und alle - das Militär der Mariupol-Garnison, mehr als 500 verwundete Kämpfer und Hunderte Zivilisten - auf dem Territorium eines Drittlandes in Sicherheit zu bringen. „Das ist unser Appell an die Welt“, sagte Wolyna. „Das könnte der letzte Appell unseres Lebens sein.“

„Wir sehen hier vielleicht unseren letzten Tagen, wenn nicht Stunden entgegen“, sagte er.

Zum TV-Sender CNN sagte Wolyna, eine Evakuierung könne etwa per Schiff oder per Helikopter erfolgen. Auch eine internationale humanitäre Mission sei eine Möglichkeit. Zur Frage, wie viele ukrainische Militärs sich auf dem Gelände des Stahlwerks aufhielten, machte er keine Angaben.

Die ukrainische Regierung hat sich nach eigenen Angaben mit den russischen Truppen auf einen Fluchtkorridor für Zivilisten aus Mariupol geeinigt. „Wir haben es geschafft, eine vorläufige Einigung auf einen humanitären Korridor für Frauen, Kinder und alte Menschen zu erzielen“, erklärte die stellvertretende Regierungschefin Iryna Wereschtschuk am Mittwoch im Messengerdienst Telegram.

Die Zivilisten sollen demnach in die Stadt Saporischschja gebracht werden. „Angesichts der katastrophalen Lage in Mariupol konzentrieren wir unsere Bemühungen heute in dieser Richtung“, sagte die stellvertretende Regierungschefin.

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Es handelt sich um den ersten Fluchtkorridor aus Mariupol seit Samstag. Danach war keine Einigung mit den russischen Truppen erzielt worden, die ihre Angriffe im Osten der Ukraine in den vergangenen Tagen verstärkt hatten.

Seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs am 24. Februar wurden insgesamt 300.000 Ukrainer über Fluchtkorridore in Sicherheit gebracht, wie das zuständige ukrainische Ministerium am Dienstagabend mitteilte. „Seit dem Beginn des Krieges hat die ukrainische Regierung mehr als 340 humanitäre Korridore vorgeschlagen. Die (russischen) Besatzer haben rund 300 akzeptiert und de facto haben 176 wirklich funktioniert“, erklärte das Ministerium. Unabhängig überprüfbar sind die Angaben nicht.

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Die südostukrainische Hafenstadt Mariupol wurde am 1. März kurz nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs komplett von russischen Truppen eingeschlossen. Die Stadt und auch der Hafen gelten zu großen Teilen als zerstört. Zuletzt hielten sich russischen Angaben zufolge rund 2500 ukrainische Kämpfer und 400 ausländische Söldner in dem Stahlwerk verschanzt.

Ukrainischen Mitteilungen zufolge sollen rund 1000 Zivilisten dort Schutz gesucht haben. Russland hat die ukrainischen Truppen dort bereits mehrmals dazu aufgerufen, sich zu ergeben. (dpa)

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